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Die Pfarre gibt uns Heimat

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Die Autorin, Mutter von vier Kindern, ist Professorin an einem katholischen Mädchengymnasium

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Die Autorin, Mutter von vier Kindern, ist Professorin an einem katholischen Mädchengymnasium

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Ich wohne in Wien, in einer kleinen Pfarre am Rand der Großstadt. Wie 80 Prozent der etwa 3000 Katholiken dieser Pfarre sind auch mein Mann und ich nicht hier aufgewachsen, sondern in den letzten zwanzig Jahren zugezogen.

Und gerade die Pfarre ist es, die uns, wie vielen in unserer Situation, das Gefühl gibt, dazu und zusammen zu gehören. Die Pfarre ist es, die Heimat gibt, Heimat in der Kirche und Heimat in unserer Stadt. Beide Aspekte halte ich für wichtig.

Wie sie uns Heimat in der Kirche gibt?

Ebenso wie ich Christus in Menschen erlebe, die- ihr Christsein glaubwürdig leben, erlebe ich Kirche in der kleinen überschaubaren Gemeinde.

Ich kann nicht für mich allein Christ sein, ich kann mich auch nicht allein, sozusagen ohne Hinterhand, für ein Amt, eine Aufgabe, ein Werk in dieser Kirche engagieren. Ich muß in ihr zu Hause sein können - und das kann ich in meiner Gemeinde.

Das Miteinanderleben in dieser Gemeinde vollzieht sich nicht in großangelegten Aktionen, sondern eher schlicht und sehr ursprünglich. Vielleicht ist das Wesentliche, daß

menschliche und christliche Urbedürfnisse abgedeckt werden:

Freunde Gottes sind Freunde untereinander aus Gleichgesinnung, sie wollen einander wohl, wissen umeinander und kümmern sich um die Freuden, Probleme und Nöte des anderen, jeder nach seinem Vermögen, mehr oder weniger . ..

Und es gibt erstaunlich wenige Außenseiter.

Man findet zwanglos Gesprächspartner bei Pfarrcafe und Gemeindeabend, nimmt in Familienrunden Lebensprobleme gemeinsam in Angriff und begegnet Gott gemeinsam im Gebetskreis und vor allem

im Sonntagsgottesdienst. Auf den freut man sich, weil es eben schön ist, miteinander zu feiern.

Freilich gibt es auch Konflikte und Schwierigkeiten, wie überall, wo man nicht nebeneinander, sondern miteinander lebt. Und man muß lernen, sie auszutragen. Für unsere heranwachsenden Kinder bietet diese Gemeinde die Chance, über die Familie hinaus Gleichgesinnte mit ähnlicher Lebensart zu treffen. So kann Familie Zelle sein statt Ghetto.

Wenn Kirche leben will, Leib Christi sein will, muß sich Gemeinde bilden. Es muß dies nicht immer eine Pfarre sein,

auch die Betriebs- oder Hochschulgemeinden haben große Bedeutung.

Und wie uns die Pfarre Heimat in der Stadt ist?

Die Großstadt verliert mehr und mehr an natürlichen Kommunikationsmöglichkeiten. Man trifft sich nicht mehr an der Bassena oder im Stiegenhaus, denn es gibt Fließwasser in der Wohnung und den Lift zwischen den Etagen. Der kleine Greißler ist dem Supermarkt mit Selbstbedienung gewichen. Man fährt im Auto zum Arbeitsplatz, jeder in seinem eigenen Stahlkasten.

Wo neue „Treffs" entstehen, sind sie fast ausschließlich schichtspezifisch. Es gibt

Disco-Besucher, Kaffeehausbesucher, Opernstehplatzbesu-cher...

Wo trifft man Leute, die nicht zur eigenen Schicht gehören? In den in Wien zahlreich eröffneten „Häusern der Begegnung" findet kaum die echte Begegnung statt.

Für katholische Christen -und hoffentlich nicht nur für diese - kann die Pfarre ein solches Zentrum sein. Ich bin, neu im Viertel zugezogen, nicht beim Kaufmann oder auf der Straße, sondern nach einem Sonntagsgottesdienst auf dem Pfarrplatz angesprochen worden.

„Wieso kennen Sie so viele Leute aus der Umgebung, ich wohne doch schon fünf Jahre länger hier als Sie und kenne niemanden?" sagte meine Nachbarin einmal zu mir. Deshalb.

Der Großstadtvereinsamung und damit den Großstadtpsychosen entgegenzuwirken, ist ein Dienst, den die Kirche der Gesellschaft leistet.

Wird er anerkannt? Erkennen wir selbst diese unsere Stärke? Oder trauern wir immer noch der Zeit der Volkskirche nach, statt die Chance der kleinen Gemeinde wahrzunehmen?

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