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Die Pflicht zur Information

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Die Verfassung, nicht nur in Österreich, anerkennt die Meinungsfreiheit ails eines der unabdingbaren Grundrechte. Diese Freiheit hängt in der Luft, wenn sie nicht auch als Informationsfreiheit verstanden wird — und diese wiederum bleibt leer, wenn ihr nicht die Informationspflicht der Beihörden gegenübersteht. Das deutsche Grundgesetz etwa setzt ausdrücklich fest: „Jeder hat das Recht, ... sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Nur — was als „allgemein zugängliche Quelle“ zum Sprudeln gebracht wird, das ist Sache der Behörden, und die Auffassungen, wie weit der Hahn aufgedreht werden soll, .gehen heute noch weit auseinander.

Immerhin beschäftigt dieses Problem die Fachleute seit Jahrzehnten, nicht nur die Journalisten, deren Aufgabe es ist, als „Schleusenwärter“ au wirken. Verfassungs- und Verwaltungsjuristen wie Politiker suchen nach einem Ausweg aus dem Dilemma, der Inf ormationspflioht genügen zu sollen, ohne deswegen legitime Ansprüche auf Geheimhaltung aufzugeben. Schon vor mehr als zehn Jahren legte der damalige österreichische Justiaminister Hans KlecatSky den in Berlin versammelten Kollegen aus ganz Westeuropa den Vorschlag vor, ein gemeinsames europäisches Pressereoht auszuarbeiten. In einer Empfehlung 'hieß es, der Staat habe für das Fehlen der Zensur, für die Freiheit der Gründung von Presseorganen, für den freien Zugang ziu den Presseberufen und schließlich für die Informationspflicht der Behörden zu sorgen. Seither scheint sich nicht mehr viel getan zu haben.

Immerhin hat nun der Europarat gemeinsam mit der Rechtswissen-sohaf tlichen Fakultät der Universität Graz zu einem Kolloquium in die steirische Landeshauptstadt eingeladen. In der kommenden Woche sollen je zwei Regierungsvertreter aus jedem der 18 Europarats-Mitglieds-staaten anhören, was zu diesem Thema au sagen ist. Die Referenten kommen aus Schweden, Österreich und Frankreich.

Sicherlich ein Fortschritt, wenn sich die Experten der Regierungen zu diesem Thema beraten — aber doch wohl unvollständig, wenn zu diesen Beratungen die unmittelbaren Gesprächspartner zwar zum Zuhören, aber nicht zum Mitreden eingeladen werden. Die Informationspflicht der Behörden beschränkt sich ja nicht darauf, der jeweiligen „Partei“ Auskunft über den Stand ihrer persönlichen Angelegenheit zu geben, sondern die Öffentlichkeit über Absichten, Fortgang, Ergebnisse der politischen Arbeit zu informieren, so zu informieren, daß sich der Staatsbürger ein abgerundetes Bild machen kann. Und hierbei ist die Mitarbeit der Medien und ihrer Gestalter, der Journalisten, unentbehrlich.

Alle bisher vorliegenden Äußerungen zu diesem Thema gehen entweder vom Standpunkt der Presse aus, die ihre Informationstätigkeit unbehindert ausüben muß, oder vom Standpunkt des Staatsbürgers, der die Möglichkeit haben soll, sich zu informieren. Sie lassen jedoch außer acht, daß der Träger politischer Verantwortung aus seiner Funktion heraus und nicht nur der Presse zuliebe die Pflicht hat, den Staatsbürger zu informieren. Er hätte sie in der Theorie ebenso, wenn er keine Massenmedien zur Verfügung hätte, sondern jeden einzelnen Bürger einzeln informieren müßte. Denn die Demokratie, die pluralistische Geselischaf t, kann nur funktionieren, wenn alle ihre Mitglieder optimal informiert werden und nach ihren Möglichkeiten mitgestalten. Die Komission II der Wiener Diözesansynode formulierte in diesem Sinn in einem Arbeitspapier: „Dem Recht auf Information entspricht die Pflicht zur Information auf Seiten der Amtskirche.“

Dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Information steht das Recht des einzelnen auf Schutz seiner Intimsphäre gegenüber, mitunter auch berechtigte staatspolitische Geheimhal-tungsvorsdhriften. Die Auffassung, möglichst wenig in die Öffentlichkeit dringen zu lassen, solange noch Entwicklungen gestört werden können, ist zwar für den Politiker verständlich, aber neben dem Recht des Bürgers nicht vertretbar.

In Österreich hat sich die Informationslandschaft in der Regie-, rungszeit eines pressebewußten Bundeskanzlers gewaltig verändert. So Informatiorisfreuidig sich aber die Regierung und ihr Chef zeigen, oft genug — vor allem, wenn es um Personalfragen geht — gewinnt man den Eindruck, daß mit einem Uberangebot an (Schein-) Information den Journalisten der „Knochen“ hingeworfen werden soll, der von den eigentlichen Problemen ablenkt. In der Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien gilt mehr und mehr die Frage „Was nützt's dem Ohef und der Partei?“ al9 Entsoheidungskriterium, nicht das Recht des Bürgers auf Unterrichtung. Daneben fühlen sich die Politiker der Opposition durch das Abgeschnittensein von allen Informationsquellen informations-ausge-trocknet und bemühen sich, dies durch eine Flut von parlamentarischen Anfragen wieder wettzumachen, womit wieder die Verwaltung überfordert ist.

Die praktische Ausformung der Informationspflicht der Behörden — einschließlich der politischen Gremien — gegenüber der Öffentlichkeit bedarf noöh einer intensiven Analyse und Diskussion, in der Rechte und Pflichten, Rechte und Gegenrechte abgewogen und gegeneinander -abgegrenzt werden müssen.

Vor allem aber wird sich das In-formationsverständnis selbst in allen beteiligten Kreisen noch wesentlich ändern müssen. Nicht alles, was aus gegnerischer Quelle kommt, ist eo ipso falsch und verlogen. Nicht jeder Journalist, der in seiner Kritik mit den Beanstandungen der Opposition konform geht, ist von dieser gekauft, nicht jede Zeitung ein „ÖVP-Blatt“, die andrer Meinung ist als die Regierungspartei. Um die Informationspflicht der Behörden in das politische Denken integrieren zu können, wird dieses noch viel Toleranz entwickeln müssen.

Die Tagung in Graz sollte nicht das Schicksal ähnlicher Initiativen erleiden, daß die Zusammenfassungen interessanter Referate in der Schublade verschwinden. Ein Aufgreifen der Gedanken speziell in und für Österreich wäre ebenso notwendig wie die Fortsetzung der Beratungen unter Beiziehung der Journalisten, die allein wissen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, daß sie ihre Funktion als Schleusenwärter der Information erfüllen können.

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