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Die Phase der Umbildung

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Friedensbewegungen gibt es in diesen Jahren in vielen europäischen Ländern — auch in Österreich. Aber auch in bezug auf die Friedensbewegungen gilt in etwa der Satz: In Österreich gehen die Uhren anders.

Das wird vor allem deutlich, wenn man wahrnimmt, daß es Bestrebungen gegeben hat, bestimmte Parolen und Intentionen aus der Bundesrepublik Deutschland zu importieren; denn „die Verhältnisse, die sind nicht so".

Natürlich spielt es dabei eine Rolle, daß Österreich ein neutrales Land ist, daß das Bundesheer von niemandem als friedensgefährdend eingeschätzt werden kann, daß Österreich keine Entscheidung über die Stationierung von Atomwaffen zu treffen hat.

Aber auch andere Umstände spielen mit, nicht zuletzt solche der österreichischen politischen Kultur. Sie wirken sich unterschiedlich aus, je nach Standort des Beurteilers zuweilen positiv, zuweilen negativ.

Positiv ist es beispielsweise, daß die Polarisierung der Uberzeugungen, trotz mancher Zuspitzung, sich immer noch in Grenzen hält. Ein charakteristisches Symptom dafür mag die Weisung des Verteidigungsministers sein, daß keine Bedenken gegen die Teilnahme von Bundesheerangehöri-gen an den Friedensdemonstrationen bestehen ( - freilich nicht in Uniform). Ein anderes Symptom ist die in Gestalt der „Hüt-teldorfer Thesen" gewonnene gemeinsame Plattform von Anhängern der militärischen Landesverteidigung und Anhängern der Friedensbewegung.

Ob es auch ein positives Merkmal ist, daß selbst die anderswo so spontane und „nonkonformistische", nicht in das politische System „integrierte" Friedensbewegung in Österreich viel stärker in eben dieses System eingebunden ist, darüber mag man diskutieren.

Nicht so sehr darüber, daß diese Einbindung besteht, mindestens dadurch, daß „etablierte" Organisationen und Einrichtungen innerhalb der Friedensbewegung eine relativ wichtige Rolle spielen: von den Jugendorganisationen der Großparteien bis zum Bundesjugendring und zur österreichischen Hochschülerschaft, immerhin einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Zu diesen Einrichtungen, die sozusagen gleichzeitig zur Friedensbewegung wie zum politischkulturellen „Establishment" gehören, zählt in besonderer Weise die Katholische Kirche. Zwar gibt es auch in ihr bemerkenswerte Positionsdifferenzen von beträchtlicher Spannweite, aber diese lassen sich keineswegs, wie man meinen möchte, entweder entlang einer Skala „Amtsnähe — Amtsferne" (Bischöfe — Spontangruppen) einordnen, noch auch entlang einer Skala „ältere-jüngere Generation".

Das Meinungs- und Einstellungsfeld ist komplexer. Das bedeutet eine Chance der gegenseitigen Anregung...

Das heißt zugleich, daß die Position der Kirche in Gesellschaft und Politik eine Schlüsselposition ist, und daß sie sich, wie schon vor einigen Jahren angedeutet, in einem Prozeß der Neubestimmung befindet.

Zugleich ist deutlich geworden, daß auch das vielfältige Beieinander von Bestrebungen und Gruppen, das man „Friedensbewegung" (oder: „Friedensbewegungen") nennen mag, noch mitten in einem Prozeß der Umbildung und der Selbstfindung steht. Angesichts der (hier nicht ausdrücklich thematisierten) Verbindungen zwischen Friedensbestrebungen und Alternativbewegungen heißt dies, daß man annehmen kann, auch die österreichische politische Kultur befindet sich in einer Phase der Umbildung.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Der Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem Aufsatz „Zur Entwicklung der • Friedensbewegung in Osterreich" in: ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH'83 FÜR POLITIK. Hrsg. Khol/ Stirnemann, Oldenbourg und Verlag für Geschichte und Politik, München/Wien 1984, öS 298,- (Subskriptionspreis).

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