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„Die Philippinen nicht kopieren“

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Die FURCHE sprach mit dem Vorsitzenden der RDP (Reunification Democratic Party), Kim Young- sam, über Probleme und Perspektiven demokratischer Entwicklungen.

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Die FURCHE sprach mit dem Vorsitzenden der RDP (Reunification Democratic Party), Kim Young- sam, über Probleme und Perspektiven demokratischer Entwicklungen.

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FURCHE: Herr Vorsitzender, wie würden Sie einem europäischen Leser die Situation in Korea erklären?

KIM YOUNG-SAM: Das ist einfach: es gibt keine Demokratie, wir haben eine Regierung der Militärdiktatur, wir haben keine Pressefreiheit, das Volk hat nicht das Recht, seine Regierung zu wählen, es hat überhaupt keine Grundrechte und keine Menschenrechte. Die politischen Mittel sind Polizei, Militär, Schlagstöcke und Tränengas, wie Sie gesehen haben. Wenn wir friedlich demonstrieren wollen, was überall, wo es Demokratie gibt, ein legitimes Grundrecht ist, dann läßt die Regierung 60.000 Polizisten aufmarschieren, überschüttet die Teilnehmer mit Tränengas, treibt sie mit Stöcken auseinander. Und wenn sich die Studenten wehren und es zu Tätlichkeiten kommt, was wir ablehnen, dann beschuldigt uns die Regierung, Gewaltaktionen zu setzen. So entsteht ein ständiger Teufelskreis.

FURCHE: Warum hat Ihrer Meinung nach Präsident Chun im April die Türe für Verhandlungen über eine Verfassungsreform zugeschlagen, anstatt bis zu den Olympischen Spielen das Gespräch in Gang zu halten (FURCHE 27/1987)?

1 KIM YOUNG-SAM: Hier geht es einfach um die Angst vor dem Verlust der politischen Macht. Deshalb hat er auch in aller Eile seinen Nachfolger Roh bestimmt. Das kann ihm niemand verwehren, aber eine Wahl wird er damit nicht gewinnen, das wird das Volk nicht tolerieren. Chun hat versucht, die Lage zu beeinflussen, indem er mit allen Mitteln die Spaltung der Opposition betrieben hat. Nun aber ist unsere RDP stärker, schlagkräftiger und geschlossener und genießt die Unterstützung der Bevölkerung. Wenn es jetzt ehrliche Wahlen gäbe, hätten wir eine Mehrheit von 80 Prozent, das zeigen die jüngsten Umfragen.

FURCHE: Bei all Ihrer Kritik ist doch nun der geplante Übergang von Chun zu Roh (Partei- Vorsitzender) ein friedlicher Wechsel, eine Wachablöse ohne

B lutvergießen und Gewalt. Ist das nicht doch ein gewisser Fortschritt?

KIM YOUNG-SAM: Schauen Sie doch einmal nach Seoul, nach Busan, nach Masan, Taegu und anderen Städten (siehe Graphik). Mehr als zwei Millionen Menschen haben dort demonstriert. Das zeigt, wie sehr sie diese friedliche Übergabe schätzen. Wenn das so demokratisch ist, warum demonstrieren dann die Menschen dagegen? Das beweist, daß die Bevölkerung enttäuscht und unzufrieden ist. Mit Roh wird nur ein Diktator durch einen anderen ersetzt. Mit dem Unterschied, daß dies nicht durch einen Staatsstreich oder ein Attentat geschieht. Aber es ist nicht das Volk, das seine Regierung auswechselt, sondern es übergibt ein Diktator die Macht an den anderen, das ist alles.

FURCHE: Wie ist Ihre Haltung zum christlichen Teil der Bevölkerung und insbesondere zur katholischen Kirche und ihrem Oberhirten, Kardinal Stephan Kim Su-hwan?

KIM YOUNG-SAM: Die Gläu-

bigen der christlichen Religionen nehmen regen Anteil an unserem Kampf um Demokratisierung. Priester und Nonnen stehen oft in vorderster Reihe. Ich bin selbst Christ, unser Ko-Vorsitzender Kim Dae-jung ist gläubiger Katholik. Kardinal Kim, den ich laufend treffe, nimmt ständig kritisch zu den politischen Ereignissen Stellung.

FURCHE: Der Opposition wird aber oft vorgeworfen, daß sie nur gegen die Regierung ist und keine positive Alternative zu bieten hat?

KIM YOUNG-SAM: Unser Programm ist klar genug: Wir wollen einfach die Diktatur durch die Demokratie ersetzen. Wir wollen, daß das Land durch eine vom Volk gewählte Regierung geleitet wird. Die Militärs sollen für die Landesverteidigung verantwortlich sein, aber sie sollen nicht Politik machen. In der Wirtschaft wollen wir wie bisher Industrie und Handel fördern, aber wir wollen nicht die Multis und Giganten mit besonderen Begünstigungen überschütten, wie das jetzt der Fall ist. Dafür wollen wir die Klein- und Mittelbetriebe mehr fördern, die das Rückgrat der gesunden Wirtschaft sein müssen. Viele von ihnen machen bankrott, weil sie jetzt nicht genügend gefördert werden. Dadurch wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer, darüber kann auch die Statistik des Pro- Kopf-Einkommens nicht hinwegtäuschen.

FURCHE:

Wie beurteilen Sie die Politik der USA gegenüber Korea?

KIM YOUNG- SAM: Unser Verhältnis zu den USA ist ein besonderes, schon deshalb, weil wir amerikanische Truppen

auf unserem Territorium haben und diese eine wichtige Rolle für die Sicherheit vis-J-vis Nordkorea spielen. Es ist richtig, daß sich die USA in Erklärungen oft für die Entfaltung der Demokratie, für freie Wahlen und die Beachtung der Menschenrechte aussprechen. Das sind schöne Worte, die uns gewiß helfen. Aber das kann nicht davon ablenken, daß sich die Militärdiktatur auf die Vereinigten Staaten stützt, von ihnen gehalten wird. Ohne diese Unterstützung der USA könnte dieses Regime nicht existieren, und sie tun es wohl in dem Glauben, das sei für die äußere Sicherheit notwendig. Die USA sollten jedoch auf Seiten des Volkes stehen und nicht auf Seiten der Militärdiktatur, denn eine freigewählte Regierung, die die Unterstützung der Bevölkerung genießt, ist ein noch viel besserer Garant für die nationale Sicherheit und auch ein wirkungsvollerer Partner in den Verhandlungen mit Nordkorea, als ein Regime, das sich nur auf Armee und Polizei stützt.

FURCHE: Welche Perspektiven sehen Sie nun für die Zukunft?

KIM YOUNG-SAM: Nach dem Plan der Regierung und ihrer Partei wird Roh nun der nächste Präsident nach den üblichen Methoden. Das würde den friedlichen Dialog in eine Sackgasse führen. Ich habe zur Interimslösung eine gemeinsame Prinzipienerklärung von Regierung und Opposition für die Demokratisierung vorgeschlagen sowie eine Novellierung der Verfassung bis September, sodaß noch eine Direktwahl des Präsidenten möglich gemacht wird. Damit wäre auch die Legitimität garantiert, mit der man aus der Olympiade ein freies Festival der Völker der ganzen Welt machen könnte. Geschieht nichts zugunsten einer Lösung, dann sehe ich nur eine Verhärtung der Situation, die Gefahr eines Bürgerkriegs oder einer Entwicklung wie die, welche zum Sturz der Ära Park Chung-hee oder dem Ende von Marcos auf den Philippinen geführt haben. Wir wollen solche tragischen Entwicklungen auf jeden Fall verhindern.

Mit Kim Young-sam sprach Harry Si- chrovsky

(Die politischen Entwicklungen in Südkorea lassen manche Befürchtungen Kim Young-sams heute glücklicherweise als überholt erscheinen. Anm. d. Red.)

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