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„Die Polen meiden jedes Risiko”

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FURCHE: Jüngsten Umfrageergebnissen zufolge sind die Polen mit dem Reformprozeß sehr unzufrieden. Wie geht er voran?

KRZYSZTOF BIELECKI: Die Reformen in Polen bedeuten eine wechselseitige Durchdringung von Politik und Wirtschaft. Die politische Reform muß in erster Linie zu freien, vollauf demokratischen Parlamentswahlen führen und eine neue Staatsverfassung schaffen, meiner Meinung nach aufgrund eines Referendums. Diese Initiativen sind im allgemeinen gut akzeptiert worden. Doch gibt es in dieser Angelegenheit noch viel zu tun. Beispielsweise ist die vom gegenwärtigen Parlament in aller Eile gekochte Staatsverfassung nicht annehmbar. Es istnicht einmal noch die Grundfrage entschieden, welche Gesellschaftsordnung unser Staat haben soll: eine Präsidialoder eine parlamentarische Ordnung.

FURCHE: Fehlen nicht auch Antworten auf wirtschaftliche Fragen?

BIELECKI: Kurz gesagt: Die künftige Wirtschaftsordnung soll nicht nur auf der verbalen Zustimmung des ganzen Volkes beruhen; wir alle sollten die Marktwirtschaft anstreben. In der Praxis hat aber leider die Gesellschaft nicht selten kein Verständnis für diesen Typ der Wirtschaft.

Marktwirtschaft bedeutet für viele Menschen hier Stabilisierung des Staatseigentums. Das ist eine gefährliche Denkart. Sie zeugt von der Renaissance der Linkskräfte in Polen. Vertreter postkommunistischer Gruppen stimmen der Marktwirtschaft zwar zu, die wollen aber, daß das Staatseigentum eine erstrangige Rolle spielen soll und schränken dabei jene zur Bildung und Entwicklung eines Privatsektors notwendigen Bedingungen institutioneller Art bedeutend ein. Sollten wir uns jetzt zu sehr mit dem Schutz des Staatseigentums beschäftigen, wird sich daraus eine Art zwanghafte Marktwirtschaft auf viele Jahre hinaus entwickeln. Ohne kräftiges Privateigentum kann man leider über eine normale, gesunde Wirtschaft nicht sprechen.

FURCHE: Welchen Anteil an diesen Reformen hat der Plan von Finanzminister Leszek Bal-cerowicz?

BIELECKI: Das ist der Grundplan, der die Wirtschaftsänderungen in unserem Land erfaßt. Vizepremier Balcerowicz wagte es - im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der Tschecho-Slowakei -, das Risiko zu übernehmen, das die Ende 1989 gefaßten Entscheidungen mit sich brachten. Das war und ist auch weiterhin gewiß sein großer persönlicher Erfolg. Wir hörten auf, die Preise zu kontrollieren, dank der Konvertierbarkeit des Zloty haben wir unsere Preise unabhängig gemacht von ausländischen Währungen. Wir betonten nachdrücklich, daß uns die Inflation eine große Gefahr brachte - und konnten sie schließlich aufgrund der konsequenten Haltung meiner Vorgängerregierung dämpfen. Solche universale Lösungen sollen immer in Polen gelten.

Es bleibt aber die Grundfrage, wie man mittels der derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Polen eine Marktwirtschaft einführen kann. Zuletzt gab es in Polen eine Lockerung der finanziellen Disziplin, viele Arbeiterkreise stellten neue Lohnforderungen, man sah auch keine merkliche Belebung der Wirtschaft. Die Lohnforderungen haben wir vorläufig im Griff, die Preissteigerungen jedoch nicht. Unser Bank- und Kreditsystem funktioniert überhaupt noch nicht.

FURCHE: Was ist der Grund dafür?

BIELECKI: Erstens: Schlechte Leistungen der Unternehmen. Weitere Fehler sind: Man vermeidet Risiken, stellt sich auf Abwarten ein. Es zeigt sich, daß der Übergang zum Kapitalismus sehr schwer ist. Die Mechanismen der Marktwirtschaft sind kaum in Gang zu bringen - es wäre wahrscheinlich leichter, auf den Sozialismus zurückzugreifen und wieder die theoretische Maxime „Jedem das Gleiche” anzuwenden.

FURCHE: Momentan werden Streiks angedroht, weil man eine Steuerbefreiung für Überstundengehälter verlangt. Wie wollen Sie mit dieser Forderung fertig werden?

BIELECKI: Man sollte auf eine vernünftige monetäre Politik und ein rationales Gehalt zurückkommen. Zweitens sollte man probieren zu Übereinstimmungen, besonders mit der Gewerkschaft Soli-darnos”c\ zu kommen, um die allgemeinen Reformgrundsätze nicht ändern zu müssen. Im staatlichen Sektor sollte man jedoch in die entsprechende Angleichung der Ge-haltshöhe einwilligen. Andererseits sollte man die Finanzpolitik des Staates nicht in Frage stellen, weil man eine nochmalige Anheizung der Inflation nicht zulassen kann. Eine Frage bleibt noch offen: Wie kann man besser arbeitenden Unternehmen anstelle von Geld andere Anreize bieten. Ohne Zweifel sollte man auch den Privatisierungsprozeß damit beschleunigen.

FURCHE: Vor kurzem waren Sie in Davos auf dem Europäischen

Wirtschaftsforum. Wie bewertete man dort die polnischen Probleme?

BIELECKI: Wir haben es noch mit einer Bekundung des Wohlwollens zu tun, wie ich das empfinde. Ich glaube, daß es dafür einen guten Grund gibt, nämlich weil wir trotz der politischen Änderungen in Polen auch weiterhin hartnäckig in die richtige Richtung gehen. Unsere Westpartner möchten genau wissen, wer bei uns die Reformen verwirklicht. Der konkrete Mensch ist auch von großer Bedeutung so wie ein gutes Wirtschaftsprogramm, vielleicht sogar noch wichtiger.

FURCHE: Hatten die Westpartner außer dem konkreten Menschen auch etwas mit unserer Schuldentilgung im Sinn?

BIELECKI: Unsere Verhandlungsposition besteht auf 80 Prozent Schuldenerlaß. Im Westen sieht man die Notwendigkeit, hier eine besondere Lösung zu finden. Eine bloße Tilgung wäre gefährlich für die Kreditgeber, das schüfe einen Präzedenzfall. Daher sollte man die Tilgung der polnischen Schulden anders, zum Beispiel Sonderhilf e für Polen nennen. Auf eine solche besondere Lösung dürften dann andere Schuldner nicht Hoffen.

FURCHE: Kommen konkrete Fristen für die Schuldentilgung in Frage?

BIELECKI: Wir wollen ein bißchen Zeit gewinnen. Für uns sind drei Dinge wichtig: Wann, wie und wieviel. Anders gesagt: Polen kann mit großen ausländischen Investitionen nicht rechnen, weil nur eine geregelte Finanzsituation eine Garantie eines tatsächlichen Gewinntransfers erlaubt. Polen muß also folgendes erreichen: die Zahlungsfähigkeit mittels Produktion und Finanzfluktuation, das heißt, unser Staat muß imstande sein, ein bestimmtes Maß an konvertierbarer Währung zu besitzen.

FURCHE: Ist das Problem der Verschuldung auch ein politisches Problem?

BIELECKI: Ja. Wenn Polen in Zukunft ein Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sein soll, liegt jedem daran, daß ein zukünftiges Mitglied stark, stabil und nach Möglichkeit reich sein soll. Es wäre also logisch, jetzt Hilfe zu leisten. Das wäre auch eine langfristige Investition, die es den Polen in Zukunft erlaubte, sich ziemlich leicht an die Gemeinschaft anzupassen.

FURCHE: Im Westen - in Deutschland und in den USA - registriert man wohlwollend Polens Reformen. Wie reagiert die polnische Regierung auf diese Signale?

BIELECKI: Die Regierung schätzt vor allem die Bedeutung Deutschlands auf dem Weg Polens nach Europa hoch ein. Wir möchten nicht über die Köpfe der Deutschen hinweg handeln. Wir wissen, daß der Weg nach Europa über Deutschland führt.

FURCHE: Kann diesen Weg nicht unser Ostnachbar verstellen?

BIELECKI: Wir hoffen nein. Die Lösung des polnischen Sicherheitssystems suchen wir im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems.

FURCHE: Wegen ihrer Ostpolitik wird Polens Regierung scharf kritisiert.

BIELECKI: Das Problem besteht darin, daß die Interessen der Sowjetunion in Litauen einer der Schlüssel der Außenpolitik dieser Großmacht sind. Wir fuhren eine zweigleisige Politik: Wir stehen in Kontakt mit Moskau, aber auch mit den einzelnen Teilrepubliken der UdSSR. Wir fördern den Freiheitskampf Litauens durch unsere karitativen und diplomatischen Aktionen, aber auch durch die Eröffnung des Informationsbüros für Litauen in Warschau.

Mit dem polnischen Premierminister JAN KRZYSZTOF BIELECKI sprach PIOTR GERC-

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