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Die Politiker im Strich

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Es heißt: „Politische Karikatur". Stelle man'sich aber wirklich „politische" - also von Politikern, oder doch in ihrem Sinne gezeichnete - Karikaturen vor: Ähnlich einer politischen Rede müßte so eine Karikatur von weit ausholen; an den Rändern gäbe es viel Ornament; der Kern müßte so unklar gezeichnet werden, daß man ihn beliebig auslegen kann ... Politiker dürfen sich nicht beim Wort nehmen lassen, auch nicht in einer Aussage ohne Worte.

Karikaturen sind jedoch satirische Zeichnungen. In denen ist alles knapp, zusammengefaßt, auf den nackten Kern reduziert und klar - die Ausdrucksform sowie der Standpunkt des Autors. Die Satiriker sind das Gegenteil der Politiker - sie vereinfachen komplizierte Dinge.

Man könnte natürlich sagen, daß dies eben Aufgabe der Politik ist; viele Leute, politische Laien wie ich, glauben es. Es ist aber eben eine Laien-Auffassung, für Berufspolitiker unannehmbar - sollte sie sich durchsetzen, müßten sie alle umlernen und viele, mangels Lernfähigkeit, arbeitslos werden. Deshalb ist es gut, daß es Leute gibt, die eine klare, durch berufliches Politisieren nicht verklärte Meinung deutlich äußern, wie es die Karikaturisten tun.

Wenn ich einen Karikaturisten als politischen Laien bezeichne, will ich damit nicht sagen, daß er von der Politik nicht vierversteht. Ein Laie kann es sich heute gar nicht leisten, etwas nicht zu verstehen, außer vielleicht die Relativitätstheorie und ähnliche Dinge, die die Profis auch nicht verstehen.

Ein politischer Macher ist wie ein Dichter. Er. kann aus fester Uberzeugung handeln (und Festigkeit ist noch keine Garantie für Richtigkeit), aus Missionsbewußtsein, aus Sucht nach Ruhm und Applaus; er kann sich von Vorbildern inspirieren lassen, von Stimmungen, Impressionen, Launen oder meinetwegen von direkten Gesprächen mit Gott. Ein Laie hat all diese Stützen nicht, er mirß alles an seiner eigenen Situation und Lebenserfahrung messen, bis er versteht, annimmt oder ablehnt.

Demokratie ist schließlich die Herrschaft von Laien.

Jeder Staatsmann und jeder Politiker sollte eigentlich, bevor er eine wichtige Entscheidung trifft, sie zuerst einem guten Karikaturisten mitteilen und ihn bitten, das Ergebnis zu zeichnen - oft wird er dann selbst erkennen, daß er einen Unsinn machen will, was manchen Politiker sogar von seiner Absicht abhalten könnte, das Projekt zu verwirklichen.

Als Satiriker muß man natürlich sein Handwerk beherrschen, man darf jedoch kein Profi werden. Schon deshalb nicht, weil man sich nicht spezialisieren darf: Ein Karikaturist, der nur miese Strauße oder nur dusselige Schmidts, nur bärenhafte Breschnews oder nur Erdnuß-Carters zeichnen würde, ist kein Satiriker, sondern ein zeichnender Politiker - egal, wie gut er das kann. Satiriker engagieren sich nicht „politisch", sondern als Bürger und Menschen.

Die Politiker müßten dem Karikaturisten dankbar sein, daß er sie in seine Sammlung aufgenommen hat. Eine Karikatur hat für Politiker eine ähnliche Bedeutung wie eine Buchbesprechung für Autoren: selbst wenn man verrissen wurde, Hauptsache, man wurde erwähnt.

Wer karikiert wird, weiß, daß er bekannt ist. Eine Karikatur ist das dauerhafteste Denkmal, weil sie bei Regimewechseln nicht zerstört wird - und man kriegt sie doch leichter als eine Bronzestatue.

Objekte der Karikatur sind, wie es so schön juristisch heißt, Personen des Zeitgeschehens. Der Karikaturist fixiert also das Zeitgeschehen, so heiß wie es ist. Die Karikatur ist, wie auch der Witz, die zuverlässigste Geschichtsquelle. Ein Historiker, der sich in hundert oder zweihundert Jahrän mit unserer Zeit beschäftigen wird - ich hoffe doch sehr, daß es uns und unserem „Zeitgeschehen" nicht gelingt, die Geschichte unserer Zivilisation abrupt abzubrechen - wird sich durch Tonnen von Papier durchwühlen.müssen; wenn er zu Karikaturensammlungen greift, hat er fertige Stichworte. Stichworte, die wirklich stechen.

Die Politiker kommen freilich nicht als Personen in die Karikatur und in die Geschichte, sondern als Personifizierung zeitgenössischer Ereignisse und Prozesse. Dies macht ihre Rolle bedeutend, begrenzt jedoch zugleich ihre persönliche Bedeutung. Die heute karikierten Gesichter werden in zwanzig Jahren vergessen sein, viele hoffentlich noch viel früher.

In der Karikatur werden sie fixiert bleiben, wie versteinerte Fossilien, nach deren Ablagen man die Zeitläufe mißt; wie Steinchen eines Mosaiks, die das Porträt von Madame Geschichte bilden. Die Dame ist im nackten Zustand nicht sehr schön, dies ist aber nicht die Schuld des Porträtisten.

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