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Die politische Macht ist weiblich

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Sie ist nicht gerade das Idealbild des Nationalcharakters einer von Männern beherrschten Gesellschaft. Kim Campbell, Kanadas erste Frau im Amt des Premiers, wurde auf dem letzten Parteikongreß der Progressiven Konservativen Partei zur Nachfolgerin des amtsmüden Brian Mulroney gewählt.

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Sie ist nicht gerade das Idealbild des Nationalcharakters einer von Männern beherrschten Gesellschaft. Kim Campbell, Kanadas erste Frau im Amt des Premiers, wurde auf dem letzten Parteikongreß der Progressiven Konservativen Partei zur Nachfolgerin des amtsmüden Brian Mulroney gewählt.

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Der sympathische Gegenkandidat, Umweltminister Jean Charest, im zweiten Wahlgang knapp unterlegen, hatte zwei Biirden zu tragen: er ist mit 34 Jahren für einen Führer zu jung, und er stammt aus Quebec, dem Heimatort der beiden ehemaligen Regierungschefs Mulroney und Pierre Tru-deau. Nach der Tradition war diesmal eine andere Provinz an der Reihe, den Landesführer zu stellen.

Mulroney ging rechtzeitig, weil er einer vernichtenden Wahlniederlage entgegensah. Er hat seinen Anteil daran, daß sich das Land derzeit in einem desolaten Zustand befindet. Die Rezession greift tief, die Arbeitslosigkeit steht auf über elf Prozent. Die Gewerkschaften behaupten, der von Mulroney forcierte Eintritt in die Nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) mit den USA und Mexiko habe über eine Drittelmillion Jobs in der Industrie gekostet. Die nationalen Schulden stehen auf umgerechnet fast

2.800 Milliarden Schilling.

Die heikle Frage des konstituellen Status von Quebec ist ungelöst. Kein Wunder, daß die oppositionellen Liberalen schon seit zwei Jahren in der Volksmeinung mit 20 Prozent vor den Tones in Führung liegen. Die Bürger, von Mulroney mit drückend hohen Steuern belastet, leiden weitgehend an politischer Verdrossenheit und mißtrauen den Politikern. Wie wird Miss Campbell mit diesem politischen Erbe fertigwerden?

Im Unterschied zu Charest hat sich die Frau mit dem Mulroney Regime identifiziert. Die Oppositionsparteien wähnen denn auch nichts Gutes: „Mulroney in Frauenkleidern”, schätzt Audrey Laughlin, Führer der linksgerichteten Neuen Demokratischen Partei, die neue Regierungschefin ein.

Wahlen sind spätestens im November fällig. Niemand erwartet, daß Campbell das fiskalische und politische Defizit über Nacht löst. Sie verspricht viel: Beseitigung des föderalen Budgetdefizits binnen fünf Jahren; Beschäftigung für die 1,5 Millionen Arbeitslosen; Sozial- und Gesundheitsfürsorge („Gerechtigkeit für alle”) jenen, die es am nötigsten haben: die Kinder, die Armen und die Eingeborenen.

Kontroversen sind Kanadas 19. Premier keineswegs fremd, aberKim Campbells Regierungszeit könnte eine der kürzesten in der Geschichte werden.

Eine Frau aus Istanbul soll der Türkei das Tor zur EG öffnen. Auf einer Sitzung der Regierungspartei, die über die Nachfolge von Ministerpräsident Süleyman Demirel entschied (er wurde Präsident als Nachfolger des verstorbenen Turgut Özal), wurde Tansu Ciller mit der Leitung der Regierung betraut.

Von Khalid Duran

Überrascht hat die Wahl von Ciller zur Ministerpräsidentin schon deshalb so sehr, weil die Delegierten in der Mehrzahl aus der bäuerlichen Osttürkei stammen, schnauzbärtige Patriarchen, von denen manche ihre eigenen Töchter nicht zur Schule schicken -aus „Schamgefühl”, wie sie sagen.

Zum Wahlsieg beigetragen hat die Tatsache, daß Ciller eine geschickte Taktikerin ist, die mit den Anatoliern umzugehen versteht. Kurz vor dem Kongreß flog sie nach Paris zum Empfang bei Präsident Francois Mitterrand. Damit führte sie der Männerwelt daheim vor Augen, daß sie die Interessen der Türkei zu vertreten weiß.

Als nächsten will die47jährige Bundeskanzler Helmut Kohl besuchen und mit ihm ein ernstes Wort über die Lage „unserer Jungs” dort sprechen. Nach ihrer persönlichen Einstellung befragt, gab sie zur Antwort, sie sei in erster Linie eine Nationalistin, aber eine religiöse. Wenn sie die Stimme des Muezzin erklingen höre, gehe ihr das durch Leib und Seele.

Die eigentlichen Islamisten, das heißt die antisäkularistischen Dog-matiker mit ihrer Ideologie von einem islamistischen Staat, müssen sich von dem Schock erst einmal erholen. Dann aber werden sie gewiß zum Sturm ansetzen, denn ihrer Meinung nach ist ein Volk mit einer Frau an der Spitze dem Untergang geweiht. Diese Art der Opposition bekam zum Beispiel Benazir Bhutto in Pakistan zu spüren.

Dennoch würde bei wirklich freien Wahlen auch Benazir Bhutto wahrscheinlich wiedergewählt werden. Für Tansu Ciller stehen die Chancen nicht schlecht; denn eine Mehrheit werden die Islamisten auf keinen Fall erhalten. Die Traditionalisten in ihrer Partei mögen stockkonservative Moslems sein, Islamisten sind jedoch nur die wenigsten.

Im Gegensatz zu Benazir Bhutto und Hasina Wadjid (Oppositionsführerin in Bangladesch) ist Tansu Ciller nicht die Tochter eines Ministerpräsidenten, der zur nationalen Figur wurde. Anders als Khalida Zia, Ministerpräsidentin von Bangladesch, ist sie auch nicht die Witwe eines ermordeten Führers. Tansu Ciller verdankt ihren Aufstieg einzig sich selbst, und das ist ein Novum unter den wenigen Frauen, die es bisher in der islamischen Welt zu dieser Position gebracht haben.

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