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Die Porträtmaler Gottes

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(Das Stift. Abstufungen des Lichtes.) Nördlich von Sankt Pölten ist die Ebene fruchtbar, da und dort von Baumgruppen bestanden; dicht ist das Laub; fett hegt der goldumrandete Schatten auf dem matt glänzenden Beton der Straßen. Außerhalb der Schattenflecke flimmert das volle Licht der hohen Frühlingszeit.

In diesen steten Strahlen stehen Baukörper, große und noch größere, von Türmen und Dächern überragt, von wuchtigem Stein ummauert, doch ist der Eindruck nicht imperial und auch nicht eigentlich imposant. Was man sieht und was man bei diesem Anblick fühlt - wie soll man es nennen? Vielleicht: die auf das Heil konzentrierte Zweckmäßigkeit des Durchgeistigten. Das wirklich Geistige ist meistens ökonomisch, auch wenn diese Sparsamkeit die ganze fröhliche Vielfalt der Schöpfung mit- einschließt. Selbst die üppigsten Ausformungen des Geistes bleiben sinnvoll. Dieses Ensemble von Bauwerken ist aber auch bescheiden. Das Stift Herzogenburg wirkt architektonisch wie eine Werkstatt Gottes, das heißt: fast behäbig.

Das eigentliche Erlebnis, das wir durch diese Architektur gewinnen, ist das Licht in seinen verschiedenen Abstufungen: als pralles Glühen an hellen Mauern; als wohliges Dämmern in breiten Gängen; als heiteres Strahlen aus dem barocken Himmel in der Kirche, der scheinbar unendlich viel Platz bietet für das tänzelnde Schweben bunter Gestalten; als gleichmäßiges Leuchten durch große Fenster; als Spiegelung auf Steinquadern. Stift Herzogenburg folgt der Auffassung des Barock, das Licht und Schatten in die Architektur mit einbezog und dadurch die einfachsten optischen Elemente der Natur in die Kunst integrierte. Warum wohl? Aus bloßem Manierismus? In der barocken Freude am Spiel der Lichter liegt ein metaphysisches Erlebnis: Der Baumeister versucht, die Schöpfung ins Gebaute hereinzuholen, sich der Schöpfung unterzuordnen. Durch Demut gewinnt er Freiheit. Das sehr modern anmutende Paradoxon widerspiegelt Herzogenburgs handfeste Vitalität.

Und hier nun ist die große Ausstellung des Landes Niederösterreich zu sehen, „Die Kunst der Ostkirche“, bestehend aus 241 Exponaten. 42 Leih geber haben Ikonen, Handschriften, Kultgeräte zur Verfügung gestellt, Privatleute und vor edlem Museen in Athen, Belgrad, Berlin, Dublin, Kuopio (Finnland), München, Narbonne, Paris, Recklinghausen, Rom, Stockholm, Vaduz, Venedig und Wien.

(Das Subjekt hinter den Objekten.) Zusammengetragen wurde das alles von ein paar Leuten, die, wie in unserem Lande üblich, meistens klangvolle Titel tragen, aber dessen ungeachtet einem hohen und zuweilen sehr hohen geistigen Anspruch Genüge tun - einem Anspruch, den sie sich selbst stellen.

Da ist ganz offenbar ein Team entstanden; und der höchste Kulturbeamte Niederösterreichs, Johannes Grundier, um nur ein Beispiel zu nennen, war nun plötzlich nicht mit Verwaltung beschäftigt, sondern vertiefte sich in die Problematik der christlichen Kirchen des Ostens, während Otto Mazal von der Handschriftensammlung der österreichischen Na- tionalbibliothek seine profunden Expertisen zu Papier brachte: ein immer noch junger Mann mit dem ebenso zerstreuten wie vielwissenden Lächeln eines in Holz geschnitzten Götzenbildes. Viele waren am Werk. Viele? Acht wissenschaftliche Mitarbeiter werden im Katalog genannt. Unter ihnen die „Wiss. Ob.-Koär.“ Dr. Hanna Egger, Hausfrau der Ausstellung, eine schöne und kluge Dame, die in ihren gerundeten Augen byzantinische Geheimnisse mit lächelnden Blicken preiszugeben weiß.

Erträumt und verwirklicht wurde die Ausstellung von Gerhart Egger. Er gehört zu jenen Menschen, in denen sich die junge Tatkraft dieses alten Europa kumuliert: ein Mann der behutsamen Praxis und der lächelnden Metaphysik, ein forschender Geist, der sein kulturhistorisches Universum kennt und also auch dessen Endlosigkeit begreift. Wie jeder kraftvolle und originelle Geist- der es nicht nötig hat, als besondere Attraktion auch noch originell zu erscheinen - besitzt Egger einen geradezu muskulösen Humor. Seine Mundwinkel sind für ein vielwissendes archaisches Grinsen geeignet, das sich manches Mal zu einem lauten, die Augenschlitze verengenden, schelmischen Lachen entwickelt. Er gehört zu den Menschen, die den Christus Pantokrator analytisch darstellen können; gläubig und sachlich.

(Bilder einer Ausstellung.) Die ältesten Exponate stammen aus dem 4. Jahrhundert, führen in den Vorderen Orient, zeigen sehr klar die Verbindung zur Formwelt des römischen Reiches, auch zur Verehrung der Kaiser. Ein koptisches Relief aus Kalkstein ist das älteste Stück, Tuchfragmente folgen; bemerkenswert ist das syrische Silber aus dem Louvre; ein äthiopisches Evangeliar leitet weiter zu den einzigartigen Figuren, Kästchen und Reliefs aus Elfenbein. Acht Kulturkreise der Ostkirche sind hier vereint: neben dem Vorderen Orient, neben Westeuropa an erster Stelle Byzanz, dann Rußland, der Balkan, die Ukraine und Armenien, und die Zeit vom 11. bis zum 19. Jahrhundert umfassend das Gebiet der griechischen Kultur mit Objekten aus Zypern etwa und von der Halbinsel Sinai.

Was bei der ersten flüchtigen Betrachtung auffallt, ist die großartige Einheitlichkeit in all den Zeiten und Räumen, ist das Streben nach dem Begriff hinter dem Bild, nach dem nur ahnbaren Ideal. Unpersönlich wirken diese von Gold umgebenen Gesichter, der Welt entrückt, dem Zufall enthoben. Unpersönlich bleiben auch die Maler. Nur selten können ihre Namen genannt werden. Im Unterschied zum Lebensgefühl des westlichen Europa mit seinem ausgeprägten, ja leidenschaftlichen Individualismus herrscht hier die ruhige Würde einer dem einzelnen übergeordneten Gemeinschaft. In der Kontinuität dieses Stiles spiegelt sich auch das Prinzip des Kollektivs und das Vertrauen in seine ewige, in seiner Gottesahnung ewig gleiche Existenz.

(Das Turiner Leichentuch und der Christus Pantokrator.) Ist aber jede Abbildung wirklich unpersönlich? Finden wir nicht die Spuren eines durch zwei Jahrtausende hindurch wirkenden Porträts?

„Das Bild Christi als Erlöser und Gott-Mensch stellt das zentrale Problem der Ikonenmalerei dar“, schreibt Gerhart Egger, und weiter: „Zu den wesentlichen Zügen des Bildes gehört die strenge Frontalität, ... lange Haare, Bart und schmale, lange Nase. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt, wovon zwei kleine Locken in die Stirne hängen. Der Ausdruck der Augen ist ernst und mild zugleich und weist manchmal eine gewisse Strenge auf.“

Ein Antlitz genau solcher Art ist aber bekannt: als Abdruck. Könnte'das Turiner Leichentuch, das diesen Abdruck trägt, allen zukünftigen Bildern des Christus Pantokrator als Vorbild gedient haben?

Egger berichtet: „Der Abdruck besteht nach chemischer und röntgenologischer Untersuchung aus einer Verfärbung des Gewebes durch Einwirkung von Aloe durch kurze Zeit hindurch. Dadurch entstanden die Umrisse eines ganzen Körpers der Vorder- und Rückseite eines Leichnams, der in das Tuch eingeschlagen war und der nicht nur das für Christus in Anspruch genommene bärtige Gesicht mit langen Haaren und langer Nase, sondern auch Wunden mit Blutspuren an Händen und Füßen wie in der Seite aufweist.“

Wenn wir nun Eggers erregende Ausführungen zusammenfassen und vereinfachen dürfen, so ergibt sich eine erstaunlich große Anzahl von Zeugnissen über den Weg, den das Tuch mit dem Abdruck durch die Jahrhunderte genommen hat.

Im Jahre 554 taucht das Tuch in Edessa auf, unter der Bezeichnung „Mandilion“. Das Wort kommt entwe (Die Nähe als Kraft.) Sind achtzig Generationen viel? Von diesen achtzig kennen wir ja fünf und manchmal sogar sechs aus eigener Lebenserfahrung ... In Herzogenburg spürt man die Nähe jener Ereignisse in Palästina. Und auch all die namenlosen Maler und Silberschmiede und die Kodizes ausschmückenden Mönche scheinen nahe zu sein: Ihr ruhiger Eifer strahlt aus all den Figuren und aus der Ornamentik. So offenbart sich das Heil, das diesen Gegenständen anvertraut worden ist. Auch die Zurschaustellung profaniert nicht. Sie ist zudem beispielhaft, indem sie geistige Bezüge sinnvoll, jedoch ohne lästige Besserwisserei, hervortreten läßt.

So wird man in Herzogenburg auch Kraft schöpfen können: indem man die Wechselwirkung zwischen Kunst und Glauben erlebt. Das heißt, man entdeckt ein Kraftfeld, auf dem man sich ohnehin ständig befindet, ob man’s nun wahrhaben will oder nicht. In Herzogenburg wird Bewußtheit vermehrt.

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