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Die positive Vision

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Zum neuen römischen Dokument über die Theologie der Befreiung

Nicht mit dem strengen, fast inquisitorisch klingenden Ordnungsruf wie vor eineinhalb Jahren in ihrer ersten Instruktion zur Befreiungstheologie hat jetzt die römische Glaubenskongregation das Thema wieder aufgenommen. Kardinal Joseph Ratzinger war noch behutsamer als es ohnehin seinem Umgangston entspricht, als er in Rom das zweite, über 60 Druckseiten lange, Instruktionspapier seiner Behörde vorstellte.

Gewiß, er will es als Fortsetzung des ersten von 1984 verstanden wissen, er nimmt nichts zurück von der Beurteilung marxistischer Tendenzen in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, aber von Marxismus ist jetzt mit keinem Wort direkt die Rede, auch nicht von Lateinamerika, sondern für die gesamte Weltkirche soll die Instruktion, wie Ratzinger betont, „eine positive Vision“ dessen darstellen, was christliche Freiheit und Befreiung bedeutet. Ratzinger nennt das Dokument eine „offene Tür“, durch die nun die Theologen gehen sollen—wenn auch gewiß weiterhin begleitet von den wachsamen Augen römischer Glaubenshüter.

Anders als vor eineinhalb Jahren, als der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung des warnenden römischen Dokuments zum Verhör nach Rom gerufen und bald danach zum „Bußschweigen“ verurteilt wurde, bildete jetzt eine freundliche Geste gegenüber Boff das Vorspiel zum neuen Instruktionspapier. Boff durfte sein Schweigejahr einen Monat früher beenden. Die brasilianischen Bischöfe brachten ihm von ihren Gesprächen in Rom bereits den neuen Text mit, dem Boff bescheinigte, daß er der Befreiungstheologie „eine neue universale Dimension eröffnet“.

Tatsächlich ruft das Papier ohne geographische Begrenzung zur „Befreiung von Millionen Menschen, deren Lage durch wirtschaftliche, soziale und politische Unterdrückung unerträglich geworden“ sei. Zum ersten Mal würdigt ein doktrinäres Dokument aus Rom ganz ausdrücklich die — ohne ihre christlichen Wurzeln undenkbaren — Befreiungsbewegungen und Fortschrittsideologien der modernen europäischen Geschichte: von Luthers Reformation bis zur Französischen Revolution.

Allerdings wird zugleich auf die „Zweideutigkeit“ allen modernen

Fortschritts, des sozialen wie des technischen, hingewiesen, auf die neuen Unfreiheiten und Zerstörungspotentiale, die er heraufbeschworen hat. Nicht von Kapitalismus und Kommunismus ist die Rede, sondern davon, daß politische Systeme und soziale Strukturen nicht „als solche“ zu verurteilen seien, sondern ihre Ungerechtigkeiten, ihre—christlich gesprochen — Sündhaftigkeiten.

Offenkundig haben die Autoren der Instruktion, die das Dokument in langer Mühe fünfmal umgearbeitet haben, gelernt, worauf unlängst der Tübinger Theologe Walter Kasper hinwies: daß auch die lateinamerikanischen Befreiungstheologen, wenn sie Sozialkritik üben und von Sozialismus sprechen, nicht an einen bereits bestehenden und schon gar nicht an den „Realsozialismus“ Osteuropas denken und daß deshalb die Amtskirche „behutsamer“ mit ihrer Vision von Option für die Armen umgehen müsse.

Eben dies geschieht jetzt dadurch, daß die Beurteilung des konkreten sozialen Engagements der Kirche den lokalen Bischöfen überlassen wird. Nur die Basisgemeinden werden ausdrücklich gelobt, und die Ideologie der „nationalen Sicherheit“ lateinamerikanischer Rechtsdiktatoren wird gerügt.

Im übrigen begnügt sich die Glaubenskongregation damit, grundsätzliche Orientierungspunkte zu setzen. So lehnt sie den Klassenkampf und den Revolutionsmythos ab, schärft den Vorrang der Arbeit vor Kapital und Profit ein, warnt davor, unproduktives Kapital anzuhäufen, und fordert Mitbeteiligung der Arbeiter finanziell (auch bei Planung und Verantwortung), gewerkschaftliche Solidarität und Uberwindung der unerträglichen Arbeitslosigkeit.

Im Sinn der klassischen katholischen Soziallehre werden die Demokratien aufgefordert, nicht ratlos hinzunehmen, daß vielen Menschen ihre verfassungsmäßigen Rechte vorenthalten werden. Was aber tun? Da haben es die römischen Ratgeber nicht leicht, zumal christliche Feindesliebe weder Haß noch Gewalt erlaubt. Die Instruktion zitiert, was Paul VI. schon 1967 festlegte: daß im Extremfall, bei „langandauernder Gewaltherrschaft“ als letzter Ausweg bewaffneter Kampf erlaubt sei.

Dies wird jetzt nicht zurückgenommen, man will es — so Kardinal Ratzinger - auf den „neuesten Stand“ bringen. Heutzutage sei ein „passiver Widerstand“ katholischer und erfolgversprechender. Dies stützt sich nicht zuletzt auch auf die Erfahrung mit der passiven Rebellion auf den Philippinen.

So bleibt nur die Frage, warum diese positiven Aussagen nicht schon 1984 in die erste Instruktion der Befreiung eingebracht wurden. Hätten sich dadurch nicht manche Mißverständisse und Probleme vermeiden lassen? Als ich Kardinal Ratzinger danach fragte, sagte er: „Das ist richtig -man hätte es immer besser machen können als man es gemacht hat.“ Und aus Schaden wird man eben manchmal nicht nur klug, sondern sogar weise...

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