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„Die Priester müssen vom Altar herab“

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FURCHE: Herr Filip, Sie waren einer der ersten Autoren der Untergrund-Edition ,JrIinter Schloß und Riegel“ in Prag. Wie ist es möglich, daß in einem totalitären Staat wie in der Tschechoslowakei überhaupt ein solcher Verlag im Untergrund publizieren kann?

FILIP: Die Edition „Hinter Schloß und Riegel“ ist eine legale Edition, da die Bücher nur zu 30 Stück herausgegeben werden. Dieser Legalitätsanspruch ist das Wichtigste für die Prager Literaten überhaupt: Denn sie wollen sich auf keinen Fall in den Untergrund oder in die Illegalität drängen lassen. Wenn man nämlich da hineingerät„ kann man sehr schnell liquidiert werden.

Deswegen bestehen die Prager Literaten immer und hartnäckig auf dem Anspruch des Legalen. Sie beachten nicht sosehr das System, das jede freie Meinungsäußerung verbietet oder bestraft, sie benehmen sich, als ob das nicht wäre. Das ist natürlich ein gewagtes Spiel mit der Macht, denn die Macht dreht sehr oft durch, und dann ist sie gefährlich.

Diesen Anspruch auf die Legalität ihres Schaffens erheben natürlich nicht nur Literaten, sondern er betrifft auch die Gruppen junger Protestsänger und die Zirkel der Gläubigen. Man kann nicht sagen, daß diese Gläubigen katholisch sind. Sie reden mehr über Gott und Moral. Sie suchen nach Auswegen aus der morali-

schen Krise, fragen sich, wie man den Verfall der Gesellschaft - wie er sich in Prag und in der ganzen Tschechoslowakei deutlich abzeichnet - aufhalten kann.

FURCHE: Welche Rolle spielt die marxistische Ideologie heute überhaupt noch bei den Intellektuellen in der CSSR?

FILIP: Keine mehr. In der CSSR lief die große Diskussion über den Marxismus - und das hat man im Westen leider zu spät mitbekommen, nämlich erst, als der Prager Frühling ausbrach - schon vor 1968. Der Prager Frühling war für uns, die wir dabei gewesen waren, nur der letzte Ausbruch.

Für uns war viel wichtiger, was sechs Jahre zuvor geleistet worden war, also die intellektuelle Vorarbeit, die den Prager Frühling eingeleitet hat. Es wurde schon damals über den Marxismus als politische Strömung, über den Kommunismus, über die Möglichkeit, sich in dieser Gesellschaftsordnung frei zu entwickeln, sehr oft und äußerst intensiv diskutiert. Es war für uns dann auch keine Überraschung mehr, wie sich

der Prager Frühling politisch entwickelte.

Heutzutage redet man überhaupt nicht mehr über Marxismus, es ist auch gar nicht mehr notwendig: Alles, was für oder gegen den Marxismus spricht, ist in Prag schon vor rund 15 Jahren gesagt worden.

Die Prager Intellektuellen sagen heute ganz klar, daß die Probleme, die auf die Tschechoslowakei zukommen, mit der Ideologie nicht zu lösen seien. Die Ideologie habe bis jetzt immer versagt, sie führe zu nichts und die kommunistische Ideologie im Osten nur zum vollkommenen Zerfall. Man sucht also nach Auswegen, die abseits der Ideologie liegen.

Man muß im Westen auch eines begreifen: Es gibt zweierlei Kommunisten. Es gibt Kommunisten und es gibt Parteimitglieder. Ein Parteimitglied und ein Kommunist sind etwas Grundverschiedenes. Wenn Sie zum Beispiel heute ein Journalist in einer Prager Zeitschrift wären, wenn sie in einem kleinen Büro oder als kleiner Angestellter bestehen wollten, müßten sie Parteimitglied werden, sie müßten deswegen noch lange kein Kommunist sein.

Das ist auch das Schizophrene an der ganzen kommunistischen Bewegung, und da sehe ich die Chance, daß der Zusammenbruch des kommunistischen Systems wirklich einmal kommt.

FURCHE: Steht die Lebhaftigkeit der politischen Diskussion der Intellektuellen in der ÖSSR nicht im Widerspruch zur politischen Apathie, wie sie sich bei der breiten Masse der Bevölkerung in der Tschechoslowakei nach dem Prager Frühling breitgemacht haben soll?

FILIP: Als der Prager Frühling zu Ende ging, fanden riesige Demonstrationen statt. Uns hat das damals nicht sosehr beeindruckt. Die Russen haben damals etwas sehr Gescheites gemacht, als sie nicht die äußerste Gewalt gegen die Demonstranten angewandt haben. Denn sie wußten damals genauso wie wir, daß der Protest wieder abklingt, daß der Alltag wieder einkehrt. Und der kleine Beamte, der zuvor in der Front der Anti-kommunisten und auf Seiten der Reform gestanden war, hat - als es um die Existenz seiner Familie ging -dann auch tatsächlich die Schnauze gehalten.

FURCHE: Sie sprachen bei einem Vortrag in Wien von politischen Programmen, die im Exil lebende tschechoslowakische Intellektuelle miteinander ausarbeiten, um bei einer eventuellen Rückkehr in die CSSR nicht

mit leeren Händen dazustehen. Wie konkret sind ihre Konzepte und Programme?

FILIP: Man kann sich die schönsten Programme ausdenken, wenn man keine Macht hat, ist das Ganze nur Geschwätz. Wir können nur im breiteren Rahmen, in Vorträgen, Diskussionen und Seminaren die Möglichkeiten durchspielen: Was passiert, wenn ... Mich erfreut, daß das Exil nicht einheitlich ist, daß es Rechte Linke, darunter sogar einige echte Kommunisten gibt.

Das Exil ist eine vielschichtige, normal funktionierende Ersatzgesellschaft, in der die Konzeptionen für die Zeit nach einem möglichen Zusammenbruch des Kommunismus durchgespielt werden. Denn wir nehmen an, daß das, was wir hier durchspielen, uns auch zu Hause erwarten wird; daß wir dieselbe Gesellschaftsstruktur auch in der CSSR antreffen werden.

Dabei dürfen Sie sich natürlich kein Grundbuch vorstellen, in dem genau festgelegt ist, was man zu machen hat. Aber wir haben zum Beispiel hervorragende Zeitschriften im Exil, in denen diese Diskussionen geführt werden.

Den Herausgebern dieser Zeitschriften geht es vor allem auch darum, daß diese Zeitschriften auch in die (ÜSSR kommen, daß sie dort gelesen werden. Denn wir müssen ja auch wissen, was die Leute zu Hause dazu zu sagen haben. Es ist überaus wichtig, daß die Hälfte der Autoren dieser Zeitschriften noch in der CSSR lebt. Dadurch entwickelt sich der notwendige Dialog zwischen den Intellektuellen im Exil mit denen zu Hau-ge. , , _ „ ,iu-r„w i'y •

FURCHE: In einigen Ländern des Ostblocks orten westliche Beobachter eine Renaissance des katholischen Glaubens und der Religion überhaupt. Auch aus Prag hört man immer wieder Berichte von vollgestopften Kirchen. Und seit ein Pole zum Papst gewählt wurde, sollen sich die Anzeichen einer Wendung zur Kirche nur noch verstärkt haben. Wie sehen Sie die Situation?

FILIP: Die katholische Kirche in der Tschechoslowakei hat sich leider in einen Raum zurückgezogen, wo sie zwar noch leben kann, wo sie aber vom Staat so zusammengedrängt wird, daß sie keinen entscheidenden Einfluß auf die Gläubigen ausüben kann. Die katholische Kirche in der ÖSSR hat keine Möglichkeit, im Fernsehen oder im Rundfunk zu sprechen, sie ist als Institution isoliert.

Der gläubige Katholik ist vollkommen von seiner Kirche abgeschnitten. Er kann zwar in die Kirche gehen, aber das ist auch schon alles. Und dabei suchen vor allem die jungen Leute nach Gott. Es ist ihnen aber völlig egal, ob dieser Gott katholisch oder evangelisch ist.

Die Tatsache, daß die Kirchen in der Tschechoslowakei jetzt immer voll sind, bedeutet nicht die volle Zuwendung zum Katholizismus, sie ist vor allem auch ein Protest gegen das marxistische System.

Natürlich ist es ein Fehler der Kirche, daß sie diese Situation nicht ausnützt. Die katholische Kirche ist zwar innerlich erfreut, daß die Leute kommen, aber der Kontakt zwischen den Seelsorgern und ihrer Herde ist leider zu wenig vorhanden. Und die katholische Kirche wagt es nicht, diesen Kontakt anzuknüpfen.

Vielleicht wird die Wahl Kardinal Wojtylas zum Papst auch in der Tschechoslowakei bewirken, daß die Priester endlich von ihrem Altar herabsteigen und unter die Leute gehen. Das haben sie bisher nicht getan.

Es besteht auf Grund der Versäumnisse der katholischen Kirche nämlich die Gefahr, daß sich die Gläubigen in mehr sektenähnlichen Gruppen entfalten, die zwar sehr religiös sind und einen festen Glauben haben, denen aber der Kontakt zum großen Zentrum fehlt.

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