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Die Prioritaten in einer Kulturmetropole

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Auf das Stichwort „Prioritäten“ reagiert Leopold Gratz allergisch. Nach dem Krieg war es leicht, Prioritäten zu setzen, die eben das Unerläßliche vor dem Notwendigen, dieses vor dem Wünschbaren rangieren ließen. Heute sind im wesentlichen alle Notwendigkeiten gedeckt. Statt drei Prioritäten gibt es 400 Wünsche, die an sich gleichberechtigt nebeneinander stünden und auch auf gleicher Ebene berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören Wünsche, die im Bereich der Kultur an den Bürgermeister gestellt werden.

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Auf das Stichwort „Prioritäten“ reagiert Leopold Gratz allergisch. Nach dem Krieg war es leicht, Prioritäten zu setzen, die eben das Unerläßliche vor dem Notwendigen, dieses vor dem Wünschbaren rangieren ließen. Heute sind im wesentlichen alle Notwendigkeiten gedeckt. Statt drei Prioritäten gibt es 400 Wünsche, die an sich gleichberechtigt nebeneinander stünden und auch auf gleicher Ebene berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören Wünsche, die im Bereich der Kultur an den Bürgermeister gestellt werden.

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Das Gespräch sollte anknüpfen an jene Monate, da Leopold Gratz als Unterrichtsminister am Minoritenplatz saß. Wenn auch der Landeshauptmann - wenn er nicht speziell das Kulturressort mitverwaltet - keinen unmittelbaren Einfluß auf die Kulturpolitik des Landes ausüben kann, so muß es doch gerade für eine Stadt wie Wien, die sich so gerne als Kulturmetropole feiern läßt, von Bedeutung sein, was ihr oberster Landes- (und Stadt-)Vater von der Kultur hält. In früheren Epochen soll dieses Verhältnis nicht immer das beste gewesen sein.

Der Bürgermeister verhehlt nicht, daß er sich ebenso sehr seiner, wenn auch kurzen, Vergangenheit als oberster Kulturchef des ganzen Österreich wie der besonderen Situation Wiens bewußt ist, jener besonderen, in Jahrhunderten gewachsenen (mitunter auch verwachsenen) Atmosphäre, die seinen Menschen so viel Wahlmöglichkeiten bietet, Kultur im weitesten Sinn zu leben und zu erleben, wie keine andere Region Österreichs. Bü-dungsgänge, Wohnformen, Arbeitsmöglichkeiten, Freizeitangebot, passive wie aktive Kulturbetätigung stehen in schier unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten zur Verfügung, wie sie eben nur die Großstadt kombinieren kann.

Die Kehrseite der Medaille aber ist die Tatsache, daß Wien den „Fußboden für die Bundesbehörden“ abgeben muß - eine Erscheinung, die die Landespolitik erschwert, wenn so viele Fachleute und politische Kräfte von der Bundespolitik absorbiert werden und damit der Landespolitik verloren gehen-, und damit die verwaltungsmäßigen Zuständigkeiten des Bundes auch das Zugehörigkeitsgefühl zu Stadt und Umwelt überdek-ken.

So klagten lange Zeit die Professoren der Wiener Hochschulen, daß hierzulande die Stadtväter „ihrer Universität“ sehr viel reservierter, wenn nicht ablehnender gegenüberstanden, als in den anderen Bundesländern, wo Grazer, Innsbrucker, Salzburger, Linzer, Leobner oder Klagenfurter Gemeindepolitiker ein so viel besseres Verhältnis zu „ihrer“ Universität hätten. Leopold Gratz will nicht darauf eingehen, wie es früher war- daß es jetzt nicht mehr so ist, ist sein intensives Bemühen. Die Gespräche mit Rektoren und Studenten seien durchaus zufriedenstellend verlaufen, betont er.

Die Universitäten müssen in die Stadt eingebunden sein, betont der Bürgermeister und ist froh, daß die Diskussion um die Schaffung einer Campus-Universität irgendwo am Stadtrand wieder eingeschlafen ist. Fünf wissenschaftliche und drei Kunsthochschulen, die zusammen gegen 50.000 Studenten stellen, gut die Hälfte aller Studiosi in Österreich, bilden einen so integrierenden Bestandteil des Stadtlebens, daß es unmöglich wäre, sie zu separieren.

Ein alter Streitpunkt zwischen der Universität und der Gemeinde Wien ist das Areal des Allgemeinen Krankenhauses zwischen Spitalgasse, Sensengasse, Garnisongasse und Alser-straße. Schon vor 100 Jahren war es zum Abriß bestimmt, „wenn die neuen Kliniken fertig sind“. Seit bald zwanzig Jahren wird an diesen neuen Kliniken geplant und gebaut, und nun naht doch der Termin der Fertigstellung und damit die Frage, was soll aus dem alten Gelände werden - ein Areal in besonders günstiger Lage und mit seinen Innenhöfen eines der wenigen Luftreservoire des neunten Bezirks.

Ebenfalls seit zwanzig Jahren datieren die Forderungen der Universität, ihr dieses Areal zu überlassen, um dort die so dringend notwendigen Platzbedürfnisse befriedigen zu können.Auch die 600-Jahrfeiern 1965 gingen vorbei, ohne mehr als vage Versicherungen zu ergeben. Was wird nun?

Bürgermeister Gratz sieht die Wünsche der Universität als durchaus legitim an - nur spürt er ein Unbehagen in dem Gedanken, hier „zwischen Zweierlinie und Ring“ einen Zwickel zu erhalten, der mehrere Monate während des Jahres unbewohnt wäre, wenn eben die Universität Ferien macht. Man müßte einen internationalen Architektenwettbewerb ausschreiben, träumt er, um - unter Erhaltung der Grünflächen eine Lösung zu finden, die etwa universitären Einrichtungen mit allgemeinen Benützungsmöglichkeiten den Vorrang gäbe. In diesem Zusammenhang auch gleich ein klares, wenn auch bedauerndes Nein zu jenen anderen Wünschen der Universität, zugunsten des geplanten Chemiezentrums in der Sensengasse einen Teil des angrenzenden Parks zu opfern - das ist heute nicht mehr zu machen, meint der Bürgermeister (und denkt wohl an seinen Vorgänger und den Sternwartepark)>

Sonst aber betont er, die Hochschulen seien ein Teil Wiens und sollen auch das Gefühl haben, man sei da für sie. Ihr „Image“ werde in der Bevölkerung viel zu sehr von Minderheitsaktionen geprägt. Deswegen begrüßt der Bürgermeister Aufklärungsaktionen, wie sie etwa die Philosophische Fakultät oder die Technische Universität durchgeführt haben, um damit einem breiteren Publikum zu zeigen, was die Wissenschaft für die Gesellschaft zu leisten imstande ist. Eine engere Kooperation könnte etwa dort möglich sein, meint Gratz, wo die Weiterbil-dungsaufgabe der Universität nicht bei der etablierten Fortbildung der Akademiker stehen bleibt, sondern in einem weiteren Erwachsenenbü-dungsbereich ausgedehnt werden könnte.

Daß eine Stadt von der Größe Wiens vielfache Möglichkeiten hat, die Wissenschafter zur Hilfe heranzuziehen, liegt auf der Hand - nicht umsonst werden zwei Ressorts in der Stadtregierung von Universitätsprofessoren eingenommen. Gratz vermutet auch, daß ein Teil der Kampagne gegen den Planungsstadtrat Prof. Wurzer darauf zurückzuführen sei, daß dieser die verfügbaren Mittel im Planungsbereich umgeschichtet habe und nun für Grundlagenforschungen Universitätsinstitute heranzieht statt jener seit Jahren etablierten Institutionen, die vor seinem Amtsantritt die Forschungsaufträge erhielten.

Im Theaterbereich schließlich ist die Lage ähnlich wie mit den Hochschulen - die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehenden Häuser sind die Bundestheater, für die der Bund zuständig ist. Aber Wien hat so viele Theater wie keine andere Stadt im deutschen Sprachraum - und da gehören auch die Privattheater dazu, für die Wien große Summen auswirft, „Ich bin gegen eine Kulturförderung mit erhobenem Zeigefinger“, meint der Bürgermeister. Die Kulturförderungspolitik der Gemeinde Wien soll für das Publikum gemacht werden, nicht für die Kritiker und gewisse pressure groups.

Zur Zeit werden bereits die Wiener Festwochen 1979 und 1980 vorbereitet und geplant. Ihre Motivierung soll nicht nur im Fremdenverkehr liegen, viel eher in einem neuen kulturellen Selbstverständnis Wiens als ganzem.

Als man - noch während der Besatzungszeit - daran ging, die Wiener Festwochen als jährliches Kulturereignis aufzuziehen, da sollten sie den eigenen Menschen wie der Welt draußen in Erinnerung rufen und wieder bewußt machen, daß Wien nicht in einer Sackgasse des Weltgeschehens gelegen war. Heute braucht dies niemandem mehr bewußt gemacht zu werden.

Heute ist es notwendig, an eine andere Tatsache zu erinnern - an eine Tatsache, die auch jenseits unserer Grenzen immer stärker ins Bewußtsein kommt: Mitteleuropa wird wieder entdeckt Polen, Tschechen, Ungarn wollen nicht zu Osteuropa gehören. Sie fühlen sich als Mitteleuropäer - in einer Region, deren Atmosphäre -nicht nur deren Nostalgie - heute bis nach Oberitalien erneut lebendig wird. Dazu gehören Brünn und Budapest ebenso wie Triest und München. Und nicht zuletzt Wien selbst, das diesen Gedanken auch in den Festwochen der nächsten Jahre pflegen will.

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