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Die programmierte Identitätskrise

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Alle reden vom „Draken“, kaum jemand spricht von der Landesverteidigung. Das ist ein schlechtes Zeichen. Denn Desinteresse schadet mehrals engagierte Diskussion.

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Alle reden vom „Draken“, kaum jemand spricht von der Landesverteidigung. Das ist ein schlechtes Zeichen. Denn Desinteresse schadet mehrals engagierte Diskussion.

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Der Tagesbefehl des Bundespräsidenten zum Jahreswechsel 1987 wäre wahrscheinlich als alljährliche Routinehandlung ohne großes Aufsehen geblieben. Dem grünen „Wehrsprecher“ Peter Pilz blieb es vorbehalten, diesen Tagesbefehl in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken, indem er zur „Befehlsverweigerung“ aufrief.

Dabei hat Peter Pilz offensichtlich Anstoß daran genommen, daß der Tagesbefehl von Bundespräsident Kurt Waldheim den

Hinweis zum Heeresausbau gemäß Landesverteidigungsplan enthielt. Übrigens die gleiche Zielsetzung, die sich auch die neue Koalitionsregierung in ihrem Regierungsprogramm vorgenommen hat.

Offiziell hagelte es zu Recht Proteste gegen diese Ungeheuerlichkeit seitens des sogenannten „grünen Wehrsprechers“. Wer jedoch die Zielsetzungen des militärischen Teils des Landesverteidigungsplanes und den Ansatz des Verteidigungsbudgets 1987 kennt, muß sich allen Ernstes fragen, wie es weitergehen wird. Peter Pilz kann sich freuen, alle an einer glaubwürdigen Landesverteidigung Interessierten werden von berechtigter Sorge erfüllt sein.

Der militärische Teil des Landesverteidigungsplanes (LV-Plan) wurde im Einvernehmen mit den Wehrsprechern von SPÖ, ÖVP und FPÖ und der militärischen Führung erstellt. Damit ist etwas für Österreich eher Ungewöhnliches gelungen: eine, zwischen den Parteien und der militärischen Führung einvernehmlich erzielte, verbindliche Planung, die das Verteidigungskonzept und einen Stufenplan zu dessen Verwirklichung in den neunziger Jahren vorgibt.

„Und so ist auch der Landesverteidigungsplan der sichtbare Ausdruck dafür, wie ernst es uns ist mit dem Eintreten für unsere Werte, für Demokratie und Freiheit, für ein Leben in Sicherheit und Frieden“ (aus dem Vorwort des ehemaligen Bundeskanzlers Fred Sinowatz in der öffentlichen Ausgabe des vom Bundeskanzleramt herausgegebenen Landesverteidigungs-Planes) .

Welche sind nun die Kernaussagen des LV-Planes? • Österreich braucht eine Verteidigungskonzeption, die sowohl den gesamten Raum berücksichtigt, als auch ihre Basis in der Bevölkerung finden muß.

Das somit angesprochene und für uns bindende Konzept der Raumverteidigung hat zum Ziel, das gesamte Staatsgebiet netzartig mit militärischen Kräften abzudecken - in manchen Räumen dichter (Schlüsselzonen) und in manchen weniger dicht (Raumsicherungszonen).

Der Landesverteidigungsplan sieht insbesondere den Ausbau der raumgebundenen Truppen nach dem territorialen Prinzip vor. So soll das Heer der neunziger Jahre in der sogenannten Ausbaustufe 300.000 Mann umfassen. Derzeit sind es etwa 190.000 Mann. Es ist undenkbar, diese Größenordnung anders als über ein Milizsystem zu erreichen. Ausbau und Festigung der Miliztruppen sind daher eine entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung unseres auf unsere Bedürfnisse und Möglichkeiten zugeschnittenen Konzeptes der Raum-Verteidigung.

Aus dem LV-Plan ist daher die entscheidende Aussage ableitbar, daß wir ab der Ausbaustufe — also in den neunziger Jahren — einen Verteidigungsfall glaubhaft bewältigen könnten.

Geht man von diesen objektiven Feststellungen aus, so wird deutlich, wel-

ches Unbehagen die Ungewißheit über die Weiterentwicklung des Heeres schaffen muß. Längst fällige Entscheidungen über den weiteren Heeresausbau wurden im letzten Jahr nicht getroffen. Schon fallen im Bereich der militärischen Führung Ausdrücke wie Aufstellungsstopp, Konzeption überdenken und ähnliche.

Dabei muß eines klar sein, daß jedes Vorsichherschieben oder gar Abgehen vom Weg des Wei-, terausbaues in Richtung Ausbaustufe und deren Rahmenbedingungen ein Vorsichherschieben oder gar Abgehen vom letztlichen

Sinn und der eigentlichen Rechtfertigung einer militärischen Landesverteidigung bedeuten würde: Nämlich der glaubhaften Bewältigung des Verteidigungsfalles.

Falls der derzeit vorhandenen Unsicherheit in absehbarer Zeit nicht begegnet werden kann, ist ein Weg in die nächste Identitätskrise nach dem Beispiel der sechziger Jahre als drohende Alternative nicht auszuschließen.

Es ist auf die Dauer für das Heer unerträglich, den politischen Auf-

trag zur Erfüllung eines glaubhaften Verteidigungskonzepts zu haben, den Weg dorthin auch grundsätzlich zu kennen, bereits, durchaus erfolgversprechend, erste Teilstrecken dieses Weges absolviert zu haben und über die Möglichkeiten, die noch zu verbleibende Wegstrecke bewältigen zu können, im unklaren gelassen zu werden.

In Zeiten mit den zu erwartenden Problemen wird es auch innerhalb des Heeres darauf ankommen, mehr als bisher deutliche Akzente zu setzen: • Divergenzen in konzeptiven

Vorstellungen abzubauen — sie haben bisher zuviel Kapazität gebunden und Reibungsverluste erzeugt —, eindeutiger als bisher den Weg zur Weiterentwicklung der Milizkomponenten zu gehen, diesbezügliche Vorbehalte und ideologische Verdächtigungen abzubauen und dafür Maßnahmen zu setzen, die tatsächlich dem Milizsystem dienen;

• mit Nachdruck der großen Anzahl an „Systemerhaltern“ entscheidend entgegenzuwirken (der jährliche Anteil von über 40 Prozent angesichts sinkender Geburtenraten wird untragbar und stört empfindlich den Aufbau der Miliz);

• Transparenz in Finanzierungsvorhaben entsprechend den Erfordernissen der Miliz, so wie es auch der Landesverteidigungsplan vorsieht;

• Konsequente Analyse der Anforderungen an die geforderte, Bereitschaftstruppe und Lösen von derzeit vorhandenen Halbheiten.

Der grundsätzliche Wert des Landesverteidigungsplanes als verbindliche langfristige politisch-militärische Planungsgrundlage ist unbestritten groß. Es scheint aber so, daß das Einhalten langfristiger Konzepte von allen Beteiligten noch gelernt sein will. Der reale Wert des LV-Planes wird am konkreten Umsetzungswillen und am Festhalten der darin verankerten konzeptiven Vorgaben zu messen sein.

Der Autor, Oberst des Generalstabes, ist Leiter der Ausbildungsabteilung 2 beim Armeekommando.

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