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Die Prolongation der Salzburger Misere

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„Unsere sogenannte Kultur scheint nur noch ein Kartenhaus. Jegliche Katastrophe kann schon morgen eintreffen. Wird dieses Festival in einem oder in zwei Jahren noch stattfinden?“ fragte der Pessimist Eugene Ionesco in seiner Salzburger Festrede und meinte, daß auch dieses Festival längt ein Routineunternehmen geworden ist, das kaum noch fruchtbare „Provokation“ ermögliche. Ionesco hat damit eigentlich nur noch einmal von der Warte des Dichters jenes Unbehagen in der Festivalkultur subsummiert, das internationale Kritik und internationale Künstler seit Jahren in Salzburg feststellen: ein Unbehagen, das aus dem Mangel an Konzepten resultiert, aus dem Mangel an großen Ideen, geistigen Zusammenhängen — kurz „Salzburger Dramaturgie“ genannt —, aber auch aus dem Mangel an rationellen Methoden, teure Künstler einzusetzen und die Finanzplanung möglichst effektiv zu verwirklichen.

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„Unsere sogenannte Kultur scheint nur noch ein Kartenhaus. Jegliche Katastrophe kann schon morgen eintreffen. Wird dieses Festival in einem oder in zwei Jahren noch stattfinden?“ fragte der Pessimist Eugene Ionesco in seiner Salzburger Festrede und meinte, daß auch dieses Festival längt ein Routineunternehmen geworden ist, das kaum noch fruchtbare „Provokation“ ermögliche. Ionesco hat damit eigentlich nur noch einmal von der Warte des Dichters jenes Unbehagen in der Festivalkultur subsummiert, das internationale Kritik und internationale Künstler seit Jahren in Salzburg feststellen: ein Unbehagen, das aus dem Mangel an Konzepten resultiert, aus dem Mangel an großen Ideen, geistigen Zusammenhängen — kurz „Salzburger Dramaturgie“ genannt —, aber auch aus dem Mangel an rationellen Methoden, teure Künstler einzusetzen und die Finanzplanung möglichst effektiv zu verwirklichen.

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All dies wird dem Salzburger Festspieldirektorium Jahr für Jahr wieder ins Stammbuch geschrieben. Das Ergebnis? Salzburg schlittert 1973 in eine Finanzkrise, wenn Bund, Stadt und Land Salzburg und Fremdenverkehrsförderungsverein nicht rasch noch tiefer in die Tasche greifen als bisher.

Hatten zuerst 36 Millionen Schilling genügt, um das künstlerische Profil der Festspiele zu garantieren, so mußte heuer dieser Subventionsetat auf 44 Millionen aufgestockt werden. Und nun sollen die zehn-prozentigen Kostensteigerungen im Personalaufwand durch eine Erhöhung des Festspielbudgets 1973 auf fast 50 Millionen Schilling aufgefangen werden. Aber Festspielpräsident Josef Kaut konnte bisher keine endgültige Entscheidung herbeiführen, so daß nicht einmal auslaufende Verträge erneuert wurden. Das mag den Festspielkonsumenten zwar wenig interessieren, um so mehr dafür die Tatsache, daß in den Opernaufführungen mehr Sitzreihen als bisher 1000 Schilling kosten und in der Felsenreitschule wegen der ungeheuren Kosten von Giorgio Streh-lers Shakespeare-Montage „Spiel der Mächtigen“ (etwa sieben Millionen Schilling) die teuersten Karten statt 400 Schilling 1973 600 Schilling kosten werden.

Wie stets in solchen Finanzkrisen retten sich die Organisatoren in das Teurerwerden der Karten, ins Reduzieren der Inszenierungen, in Auflösung sowieso nicht beliebter Produktionen, da man im Grunde echte Sparsamkeit, rationelle Spielplangestaltung und Besetzungspolitik, strenges Haushalten natürlich keinem der großen Stars zumuten will. Präsident Kaut läßt darüber keinen Zweifel: „Wenn wir im Landestheater spielen, steht uns dessen Bühnenpersonal nicht zur Verfügung.“ Also sähe er am liebsten das Landestheater zur Festspielzeit gesperrt und Schenks großartige „Was-ihr-wollt“-Inszenierung aufs Eis gelegt... Ohne Rücksicht auf den „Glanz des Theaters in Salzburg“ 1973, zum Fest des 100. Geburtstages und 30. Todestages des großen Max Reinhardt.

„Eingespart“ werden soll natürlich auch die seit fünf Saisonen sensationell erfolgreiche, in der Kollegienkirche stets ausverkaufte, aber bestens angefeindete Herbert-Graf-Inszenierung von Cavalieris „Rap-presentatione“: „Mit zwei Millionen Kosten unsere teuerste laufende Produktion“, argumentiert Kaut: „Wegen des aufwendigen Balletts und der Kosten der Chöre ist an ein Weitermachen nicht zu denken.“ Davon, daß allein „Orfeo“- und „Mitridate“-Produktionen 1971 — wahre Theaterdebakel! — und heuer der daneben bearbeitete „Cenodoxus“ ein Vielfaches an Millionen verschlungen haben und daß das Publikum die Karten dafür nicht einmal geschenkt nehmen wollte, spricht Kaut ungern: „Wir wollen mit der .Rappresentatione' keinen neuen jedermann' kreieren“, stellt er (wohl im Auftrag Karajans) diktatorisch fest. Und es stört ihn kaum, daß zum Beispiel Ionesco gerade diese Aufführung spontan als „das ' größte Festspiel der Welt“ apostrophiert hat. Fazit: Weil Regisseur Graf eben nicht gerade ein Liebkind des Direktoriums ist, wird er in Salzburg wohl kaum wieder inszenieren. Nicht seinen großartigen „Belsazar“ (Händel), der nach Genfer Erfahrungen eigentlich ein Idealwerk fürs Große Festspielhaus wäre, auch nicht „Idomeneo“ (1973 unter Böhm), obwohl man bis heute keinen geeigneteren Regisseur gefunden hat usw.

Aber so ist das nun einmal in Salzburg: bei Regisseuren, Dirigenten — der großartige junge Claudio Abbado ist mit einem Konzert pro Saison doch wohl reichlich unterbeschäftigt! —, Sängern ... Die diesjährige Absagewelle erkrankter Künstler hat es eigentlich erst richtig gezeigt, wie wenig rationell gearbeitet wird, wie schwer in den meisten Fällen Sängerersatz zu finden ist, wenn zum Beispiel eine „Figaro“-Vorstellung gerettet werden muß.

Aber es ist doch bloß Sache der Planung, daß man in dem in Salzburg verfügbaren Sängerheer Ersatz für diesen oder jenen findet, denkt der Laie. Gewiß! Das würde bedeuten, daß Programmierung und Opernbesetzungen in Hinkunft nicht nach Clan-Denken (Karajan, Böhm), privaten Verbindungen oder Wünschen von Schallplattenfirmen (wie Karajan-Ponelles diesjähriger Mit-telklasse-„Figaro“, dem die hervorragende alte Böhm-Rennert-Produk-tion weichen mußte!) zustande kommen, sondern daß gerade in Kara-jan-Produktionen Partien vor allem nach Gesichtspunkten der Qualität und der Verwendbarkeit der Sänger besetzt werden. Das hieße freilich enorme Beschränkung des Einflusses, den Karajan gerade durch seine mit Doktor Jucker gegründete Künstler -„Verwertungsgesellschaft“, auf Salzburgs Festspiele ausübt. Auf dieses Geschäft wird der Maestro wohl nie verzichten. Also kann man auch von Rationalisierung und Konzepten aller Art reden, solang man will. Und Salzburgs Festspiele müssen sich jedenfalls beugen. Ist nicht die Situation der Wiener Philharmoniker allein schon ein leuchtendes Beispiel dafür? Sie haben just zu ihrem 50 jährigen Salzburger Jubiläum längst in Salzburg nichts zu reden, obwohl Stadt, Land, Festspiele sie als „Hauptstützen“ feiern. Karajan läßt sie bei der Programmierung ihrer Konzerte nicht mitreden; Dirigenten müssen sie nehmen, wie es dem „Wunder Karajan“ oder seinen Plattenfirmen gefällt, junge Dirigenten, die man einem Gastorchester nicht zumutet, müssen sie ausprobieren. Und wenn man sie gerade „beiseiteschieben“ will, spricht man von ihnen als dem Opernorchester — und läßt zum Beispiel die Orff-Uraufführung 1973 dann lieber gleich das Kölner Symphonieorchester spielen!

Freilich, ein Atout hat Salzburg sich gewonnen: Giorgio Strehler, einen Regisseur, der Ideen, Mut zu Neuem, Phantasie hat. 1973 steuert er seine Shakespeare-Montage, ab 1974 einen Mozart-Zyklus mit Karajan bei. Aber schon sind wieder die Pessimisten am Werk. „Ich bin nur bis 1974 Festspielpräsident. Und was nachher ... argumentiert Josef Kaut, als wäre alles Weiterplanen sinnlos. Aber vielleicht denkt auch er jetzt schon wie so mancher, daß das bisher geübte Salzburger Weiterwursteln viel bequemer ist und daß sich der legendäre Glanz des Salzburger Theaters von selbst einstellen wird? Hält es am Ende jetzt auch schon Kaut mit Ionescos Satz: „Jegliche Katastrophe kann schon morgen eintreffen“?

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