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Die prolongierte Profilneurose

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Die Bonner Koalition, unter dem Schlagwort „sozialliberaf* einige Jahre hindurch scheinbar unverrückbares Faktum, ist in eine ernste Krise geraten. Das Zerwürfnis zwischen den politischen Ehepartnern SPD und FDP ist unübersehbar, der Krach der bereits via Fernsehen ausgetragenen Koalitionsstreitigkeiten für jeden Wähler unüberhörbar. Jüngste Erklärungen des FDP- Generalsekretärs Martin Bangemann und eine knappe Unterstützung seines baden-württembergischen Landesverbandes in der Ablehnung des Koalitionskompromisses sind daher aktuelle Auswirkungen eines bereits länger andauernden Konflikts. Und der Beschluß der FDP, in Rheinland-Pfalz nach den nächsten Wahlen mit der CDU zu koalieren, macht die neue Linip deutlich-

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Die Bonner Koalition, unter dem Schlagwort „sozialliberaf* einige Jahre hindurch scheinbar unverrückbares Faktum, ist in eine ernste Krise geraten. Das Zerwürfnis zwischen den politischen Ehepartnern SPD und FDP ist unübersehbar, der Krach der bereits via Fernsehen ausgetragenen Koalitionsstreitigkeiten für jeden Wähler unüberhörbar. Jüngste Erklärungen des FDP- Generalsekretärs Martin Bangemann und eine knappe Unterstützung seines baden-württembergischen Landesverbandes in der Ablehnung des Koalitionskompromisses sind daher aktuelle Auswirkungen eines bereits länger andauernden Konflikts. Und der Beschluß der FDP, in Rheinland-Pfalz nach den nächsten Wahlen mit der CDU zu koalieren, macht die neue Linip deutlich-

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Nach dem Ausscheiden Scheels aus der Regierung und der Nachfolge Genschers im Amt des FDP-Vorsit- zenden und im Außenministerium hatte es bereits zu kriseln begonnen, doch schien sich das Verhältnis des SPD-Bundeskanzlers zu Genscher zu bessern, als statt Willy Brandt der pragmatische Helmut Schmidt dieses Amt bekleidete. In dem Maße, in dem jedoch die beiden Koalitionsparteien bei den zurückliegenden Landtagswahlen Federn lassen mußten, war es mit der Harmonie zwischen FDP und SPD dahin.

War es in den Anfangsjahren der sozialliberalen Koalition noch möglich, daß die SPD mit ihrem starken Stimmenpotential dem kleineren Koalitionspartner Stimmen „abgeben” konnte, so sahen sich nun Sozialdemokraten wie Freie Demokraten vor die Notwendigkeit gestellt, eisern um jede Stimme für die eigene Partei zu kämpfen, wollten sie nicht untergehen. In Hessen und Bayern verlor die FDP derartig an Stimmen, daß ihre noch vor etwas mehr als Jahresfrist unternommenen Ansätze, zur „Volkspartei” zu werden, Züge der Lächerlichkeit bekamen.

Die FDP, für die es bei Stimmenverlusten nicht nur um die Frage geht, ob sie in der Regierungsverantwortung bleibt, sondern oft genug schlicht um das Verbleiben in den Landesparlamenten, begann angesichts dieser Existenzkrise gegenüber der SPD die Zähne zu zeigen. In Hessen riskierte sie einen massiven Koalitionskonflikt bei der Regierungsbildung, der nur durch ein Bonner Eingreifen bereinigt werden konnte. Aus ziemlich heiterem Himmel verlangten die Freien Demokraten, daß der umstrittene SPD-Kultusminister Professor von Friede burg nicht mehr der Regierung angehören dürfe. Damit verstieß die FDP eklatant gegen den Grundsatz, daß der eine Koalitionspartner dem anderen nicht in personellen Dingen Vorschriften macht.

Das Vorgehen der FDP kam um so überraschender, als diese Partei zuvor die von vielen Eltern massiv attackierte Bildungspolitik dieses Ministers mit verantwortet hatte.

Auch auf Bundesebene häuften sich bald die Uneinigkeiten und die rauhen oder zumindest lieblosen Töne zwischen FDP und SPD. In der Frage von Konjunkturprogrammen konnten sich Wirtschaftsminister Friedrichs und seine sozialdemokratischen Kabinettskollegen kaum einigen und trugen in aller Öffentlichkeit ihre divergierenden Ansichten vor. Während die Sozialdemokraten, um Stimmen in der Arbeitnehmerschaft fürchtend, eine baldige globale Ankurbelung befürworteten, plädierte Friedrichs für weitere Zurückhaltung.

Bundeskanzler Schmidt erlaubte 2s sich, seinen Innenminister Professor Maihofer, Repräsentant des linken Flügels in der FDP, in einem Fernsehmagazin mitleidig als einen „sich einarbeitenden Polit-Amateur” abzuqualifizieren. Das vernichtende sachliche Urteil wurde dabei durch die maliziöse Bemerkung, Maihofer sei menschlich eines der liebenswürdigsten Kabinettsmitglieder, nahezu rufschädigend. Dabei war es Maihofer, der, kaum zum Minister ernannt, eine ideologische Lanze für das sozialliberale Bündnis brach, diese Koalition als das lange notwendige Bündnis von Bürgertum und Arbeiterklasse pries und ihm mehr oder weniger Unzerstörbarkeit nachsagte.

Als wäre das Maß noch nicht voll, wurde’nun auf dem Landesparteitag der FDP Baden-Württembergs vom Generalsekretär Bangemann der Sturmangriff gegen das bereits ausgehandelte Mitbestimmungsmodell eröffnet. Plötzlich fand Bangemann den im Februar vergangenen Jahres im Kabinett mit den Stimmen seiner Parteikollegen gebilligten Kompromiß veränderungsbedürftig. Statt der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch Wahlmänner verlangte Bangemann die Urwahl. Für diesen Änderungswunsch fand er in seinem baden-württembergischen Landesverband die hauchdünne Mehrheit von nur einer Stimme.

Nicht nur, daß es eigenartig anmutet, wenn eine Partei plötzlich den von ihr selbst gebilligten Kompromiß in, Teilen wieder ablehnt, so zeigt auch der Punkt, an dem Bangemann und seine Partei nunmehr Kritik üben, daß es ihnen um mehr als um eine Detailänderung geht. Denn wenn an der Frage, wie die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden und welche Mehrheiten dafür notwendig sind, neu verhandelt werden soll, so bedeutet dies, daß die ganze Mitbestimmungsfrage neu verhandelt werden muß. Zu ausgewogen war der beschlossene Kompromiß, als daß ein Punkt für sich geändert werden könnte.

Es ist daher zu vermuten, daß es einem Teil der Freidemokraten schlichtweg darum geht, sich in der Frage der Mitbestimmung, wo ihnen die Einigung mit der SPD bei Wählern und Spendern schon herbe Kritik und Ablehnung eingetragen hat, nun klar von den Sozialdemokraten abzusetzen. Die in den Anfängen der FDP-Koalition mehr belächelte als emstgenommene Profilneurose der FDP wird nun zu einer die Koalition lähmenden Krankheit. Angesichts von sechs in diesem Jahr bevorstehenden Landtagswahlen ist der Wunsch der FDP nach Eigenständigkeit zwar verständlich, stürzt aber beide Koalitionsparteien nur noch tiefer in ihre Krise.

Die österreichische Hochschülerschaft, der alle Studenten bei der Inskription ihren Obolus entrichten müssen, bietet einen chaotischen Anblick. Wahlen und Abwahlen, Hauptausschüsse im Clinch mit einem lahmgelegten Zentralausschuß, leere Kassen, dafür undurchsichtige Konkurrenzmanöver in einem undurchdringlichen Interessendschungel — es ist durchaus zu verstehen und zu begrüßen, wenn das Wissenschaftsministerium neuerdings alle Subventionsmittel zurückhält. Denn unter den gegebenen Umständen wäre es schwer, den Steuerzahler davon zu überzeugen, daß die widmungsgemäße Verwendung seines Geldes sichergestellt ist. Genau dies müßte garantiert erscheinen. Begreiflich, wenn sich die Studentenvertreter jetzt „finanziell ausgehungert” fühlen, aber dies ist eine Folge ihrer internen Querelen. Es sollte ihr Hauptproblem sein, den Rest der Studentenschaft von der Nützlichkeit der „Berufsstudenten” zu überzeugen. Denn das Desinteresse der österreichischen Studenten an Politik (siehe auch Seite 2) ist zwar traurig, aber ihr Desinteresse an der Politik, die ihre eigenen Funktionäre gegenwärtig machen, ist nur zu begreiflich.

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