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Die provinzielle Inzucht

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Wiens hochgelobte Kunstkonjunktur, der aufblühende Handel, vor allem mit neuer und neuester Kunst, ist seit zwei, drei Jahren vieldiskutiertes Thema: In Kleingalerien, die, auf Spekulation und plötzliches Publikumsinteresse bauend, da und dort aus dem Boden schießen, brüsten sich Miniunternehmer mit — wie's ihnen scheint — epochalen Verkaufsziffern. Der Handel, speziell mit neuer, relativ billiger Druckgraphik hat gewaltig an Terrain gewonnen. Man spxicht von Kunsthandelssensationen, den „Aktien an der Wand”, der wundersamen Geldvermehrung durch Kunst... Und doch erinnert dieser Tageserfolg an den einst oftzitierten Witz vom Wirtschaftswunder, das in der BRD zwar die Folge von rastlosem Arbeitseifer, kühn planendem Unternehmergeist, harter Realpolitik gewesen sein soll, in Österreich aber ein echtes Wunder...

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Wiens hochgelobte Kunstkonjunktur, der aufblühende Handel, vor allem mit neuer und neuester Kunst, ist seit zwei, drei Jahren vieldiskutiertes Thema: In Kleingalerien, die, auf Spekulation und plötzliches Publikumsinteresse bauend, da und dort aus dem Boden schießen, brüsten sich Miniunternehmer mit — wie's ihnen scheint — epochalen Verkaufsziffern. Der Handel, speziell mit neuer, relativ billiger Druckgraphik hat gewaltig an Terrain gewonnen. Man spxicht von Kunsthandelssensationen, den „Aktien an der Wand”, der wundersamen Geldvermehrung durch Kunst... Und doch erinnert dieser Tageserfolg an den einst oftzitierten Witz vom Wirtschaftswunder, das in der BRD zwar die Folge von rastlosem Arbeitseifer, kühn planendem Unternehmergeist, harter Realpolitik gewesen sein soll, in Österreich aber ein echtes Wunder...

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Aufmerksamen Besuchern der Wiener Galerien wird es ja kaum entgangen sein: Die Zahl der Galerien hat sich zwar in den letzten Jahren von etwa zehn immerhin auf das Fünffache vermehrt. Und Galeriechef Manfred Scheer spricht beispielsweise von einer weiteren Galerienhausse: „Vielleicht gibt's demnächst 100 oder 300!” Aber in ihrem einheitlichen, akzentlosen Angebot decouvrieren sie sich allesamt: Übers spezifisch österreichische, nämlich über die gängige österreichische Druckgraphik und über Wiener Phantastenbilder, kommen Wiens Galerien in ihren Warenkatalogen nur selten hinaus.

Wo aber sieht man hier internationale Kunst? Gelegentlich in der Avantgardegalerie „nächst St. Stephan”, fallweise in McGuires „Ariadne”, wo immerhin vor kurzem

Tapies und Thiebaud gezeigt wurden, oder bei Klewan, der den Mut hatte, die großen ungarischen Maler der zwanziger Jahre zu zeigen ... Und wo bleiben die Klassiker der Moderne, die wichtigsten Künstler der Gegenwart, die man selbstverständlich auf Münchner, Züricher, Pariser Auktionen, auf dem Basler, Kölner, Berliner, und Düsseldorfer Kunstmarkt, in den Galerien Mailands, Venedigs, Genfs, Stuttgarts findet? Wo sind hier Aräkawa, Beuys, Arp, Archipenko, Kandinsky, Baj, Leger, Chagall, de Chirico, Dali, Delvaux, Dubuffet, Corbusier, Ri-chier und all die anderen Prominenten zu finden, von denen etwa auf der Juniversteigerung allein des Münchner Auktionshauses Ketterer an die 1500 Werke angeboten werden?

„Für uns zu schwer zu bekommen, weil wir den Händlern im Ausland Mindestabnahmegarantien geben müssen ... Und obendrein hier gar nicht abzusetzen!” bedauern achselzuckend Wiener Kunsthändler. Man staunt. Wo bleiben dann die vielgerühmten Kunsthandelserfolge?

Doch gerade da regiert in Österreich immer mehr kleinliche „Inzucht”. Ausschließlich österreichische Kunst der Gegenwart, vor allem Druckgraphik, und da nicht immer das Beste, bestimmt den Markt. Anderes ist ja angeblich nicht zu verkaufen.

Warum?

Weil Österreichs Sammler von Anfang an von Galerien und durch staatliche und Gemeindekunstpolitik daran gewöhnt, ja dazu erzogen wurden, nicht über die Grenzen zu schauen, sich möglichst in den eigenen vier Wänden zu bewegen und da das geschmackliche Auslangen zu finden. Offizielle Stellen haben ja auch konsequent zu tun verabsäumt, was jede deutsche Mittelstadt als Verpflichtung empfindet: Über neue Kunst zu informieren, große Internationale Ausstellungen zu bringen oder selbst zu veranstalten, die Museen bei Ankäufen großzügig zu unterstützen. Und ministerieller Kunstbericht und Dokumentationsschau neuer Ankäufe beweisen es Jahr für Jahr wieder: daß man im Kulturamt der Stadt Wien, das für viel zuviel Geld noch immer geradezu erbärmlichen sozial-karitativ orientierten Kunstkauf betreibt, und im Unterrichtsministerium es weiterhin als Verschwendung betrachtet, in die Information über alte und neue Kunst etwas zu investieren ... — Rausgeworfenes Geld? Offenbar! — Oder gar einige der wichtigsten Werke jetzt lebender und daher noch preiswert „einkaufbarer” Ausländer zu erstehen.

Was wäre da nicht alles für die sinnlos in provinzielle österreichische Dutzendkunst hineingepulverten Beträge zu kaufen! Will dieser Staat denn immerfort sich selbst und seine Bürger betrügen, indem er weiterhin für Kunst bestimmte Steuergelder statt in Spitzenwerke in wertlose Dutzendmachwerke stopft, die man dereinst bestenfalls in Depots verschwinden lassen kann? Denn daß einer in einem Museum vor solchen Werken einen Kunstgenuß erleben wird, ist bereits jetzt unglaubwürdig.

Letzte Konsequenz in diesem Teufelskreis: Unsere Galerien werden also auch weiterhin Österreichs Künstler nicht fürs Ausland aufbauen können ... Es wird weiterhin keine internationalen Tauschaktionen mit prominenten Galerien geben, weil man selbst die prominentesten Ausländer hier kaum absetzen kann. Man wird sich also auch weiterhin an provinzielle Inzucht halten und es (von ein paar Ausnahmen abgesehen) den Galerien der BRD überlassen müssen, für Österreichs Beste etwas zu tun, aus ihnen und mit ihren Werken ein deutsches Geschäft zu machen.

Wie lange noch?

Bis vielgerühmte Kunstkonjunktur und Kunstboom wieder verebbt sind?

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