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Die Rebellion der Magyaren

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Uber diese heroischen Tage zwischen Donau und Theiss vor 25 Jahren ist seither sehr viel gesprochen und noch mehr geschrieben worden. Legenden entstanden und bewußt in Umlauf gebrachte Gerüchte versuchten den wahren Ablauf und die wahren Ziele der Ereignisse in ein trübes Licht zu rücken. Dies mißlang jedoch.

Ebenso konnte die Budapester regierungsamtliche Geschichtsschreibung sowohl der Welt wie ihren eigenen Staatsbürgern nicht die These aufzwingen, wonach in jenen schicksalhaften Tagen in Ungarn eigentlich eine „Konterrevolution" wütete:

Ein Unsinn, dem selbst die führende Parteischicht nicht Glauben schenkt, was auch in zahlreichen privaten Gesprächen zum Ausdruck gebracht wird.

Was geschah nun im Herbst 1956 wirklich in Ungarn?

Sieben Jahre waren seit 1949 vergangen, als die einheimische Kommunistische Partei unter Mätyas Räkosi mit Unterstützung der Sowjets, die Herrschaft über Land und Volk errichtete. Die Folgen zeigten sich bald: Die den politischen Zielen (und Moskaus Wünschen) untergeordnete sozialistische Planwirtschaft brachte Ungarn an den Rand des wirtschaftlichen Ruins.

Noch schlimmer stand es um die Rechte der Staatsbürger. Die ei-

gene Hausmacht der Partei, der Staatssicherheitsdienst, war unmittelbar dem Generalsekretär der Partei, Mätyäi Räkosi, unterstellt und jeglicher staatlichen Kontrolle entzogen.

Während der siebenjährigen Herrschaft dieses Mannes füllten sich die Kerker. Immer neue Arbeitslager wurden aus dem Boden gestampft, und auch der Henker hatte viel zu tun. Dabei waren von den Machenschaf ten des Staatssicherheitsdienstes nicht nur die Gegner der Volksdemokratie betroffen. Auch die einfachen Bürger, deren Tun und Lassen von den Verantwortlichen willkürlich als „feindliche Tat" gedeutet wurde, machten Bekanntschaft mit dieser Institution.

Die politischen Prozesse schienen kein Ende zu nehmen. Sowohl Angehörige des hohen Klerus, sozialdemokratische Parteifunktionäre, bürgerliche Politiker aller Schattierungen oder der Wirtschaftssabotage angeklagte Ingenieure als auch führende Mitglieder der Kommunistischen Partei selbst (in Ungnade gefallen) mußten sich vor Volksg^richten verantworten. Die Vei-fahren sprachen jeder normalen Prozeßordnung höhn. Dazu kamen Zwangsumsiedlungen, Kulakenverfolgung und ein Terror, der in der Geschichte Ui^^arns seines-. gleichen sucht.

Nach neueren offiziellen Budapester Angaben wurden allein zwischen. 1952 und 1955, also in einer Zeitspanne von vier Jahren, nicht weniger als 1 136 434 Menschen vor Gericht gestellt und davon 45 Prozent, d.h. 516 708 verurteilt! (VgL Berecz, Janos: EUen-forradalom 1956 — tollal ės fegy-verrel, Budapest 1969, S. 30.)

Wie die Staatsbürger ihrer elementaren Rechte beraubt wurden und dazu schweigen mußten, so wurde auch die nationale Kultur im Zeichen des „sozialistischen Realismus" uniformiert.

Schriftstellerverband und Journalistenverband, Verband der Bildenden Künstler — all dies

mußte der Parteilinie gehorchen. Und wenn es jemand nicht tat und noch das Glück hatte, daß man seine Abweichung nicht als parteifeindliche Tat bewertete, verlor er doch mindestens seine Mitgliedschaft und damit auch das Recht, seine Tätigkeit als „Kulturschaffender" weiter auszuüben.

Dann geschah jedoch etwas Unvorhergesehenes. Im Februar 1956 fand in Moskait-der XX. Parteikongreß der KPdSU statt, auf dem der Erste Sekretär, N. S. Chruschtschow, scharfe Kritik an der Regierungsmethode Stalins

übte und damit die Welle der sogenannten „Entstalinisierung" im Sowjetberejch einleitete. Die Wirkung zeigte sich bald — und zwar in jenen Ländern Osteuropas, die seit 1945 zum sowjetischen Machtbereich gehörten.

In Polen kam es schon im Juni 1956 zu scharfen Zusammenstößen zwischen Regierung und Bevölkerung (Poznan), die dann im Oktober in einer Krise gipfelten. In allerletzter Stunde gelang es dem in der Stalinzeit eingekerkerten und jetzt an die Macht zurückgekehrten \yiadyslaw Gomulka, die Lage zu meistern und die Gemüter seiner Landsleute durch eine Reihe wirtschaftlicher und kultureller Zugeständnisse zu beschwichtigen.

So einfach lag die Sache allerdings in Ungarn nicht. Schon im Frühjahr 1956 war aus den Reihen der neugegründeten und dem kommunistischen Jugendverband angeschlossenen Petöfi-Kreis Protest gegen die bisherigen Methoden der Partei erhoben und eine radikale „Entstalinisierung" gefordert worden. Moskau, das letzten Endes für die ungarische Entwicklung auch die Verantwortung trug,. hatte diesem Drängen zunächst nachgegeben.

Mätyäs Räkosi, unpopulär und verhaßt, mußte als Parteiführer zurücktreten. Er wurde im Juli durch den etwas wendigeren, aber noch immer ausgesprochen dogmatischen Ernö Gero ersetzt. Und auf Drängen der Schriftsteller und anderer reformfreudiger Elemente, die beinahe alle Mitglieder der KP waren, wurden dann auch tatsächlich die ungarischen Opfer des Stalinismus rehabilitiert.

Allein im Spätsommer 1956 verließen 474 Personen die Kerker, wobei noch immer über 3.000 politische Häftlinge zurückblieben. Dem 1949 in einem Schauprozeß zum Tode verurteilten und danach hingerichteten Kommunisten Laszlo Rajk wurde in makaber-düsterer Feierlichkeit mit drei seiner Genossen „nachträglich" ein Staatsbegräbnis gewährt, das am 6. Oktober 1956 in Budapest stattfand.

Diese Gesten der neuen Führung der ungarischen KP kamen jedoch zu spät, um das im Lande sich immer stärker ausbreitende Mißbehagen gegen die Obrigkeit zu steuern. Als dann um Mitte Oktober die polnischen Ereignisse in Budapest bekannt wurden, steigerte sich die oppositionelle Bewegung rasch in eine revolutionäre Stimmung hinein.

Die treibende Kraft der ungarischen Ereignisse war im Oktober zweifelsohne die Universitätsjugend. Am 15. Oktober hatten die Studenten von Szeged ihren Austritt aus dem kommunistischen Jugendverband erklärt und eine eigene Studentenvereinigung ins Leben gerufen. Am 22. Oktober schlössen sich die Budapester Studenten ihren Kommilitonen von Szeged an und formulierten ihre Forderungen an die Regierung in 16 Punkten.

Sie verlangten darin nicht nur Reformen und Demokratisierung des staatlichen Lebens, sondern auch freie Wahlen mit Einbeziehung demokratischer Parteien und vor allem den Abzug der sowjetischen Truppen laut des Friedensvertrages von 1947 aus Ungarn. Um ihren Forderungen mehr Bedeutung zu verleihen, sollte am nächsten Tag eine „stumme Demonstration" vor dem Denkmal des polnischen Generals Josef Bem - eines Generals des Freiheitskampfes von 1848/49 - abgehalten werden.

Ruf nach Innre Nagy

Der 23. Oktober 1956 wurde der entscheidende Tag der Ereignisse. Die Regierung erließ zwar vorerst ein Demonstrationsverbot, das jedoch nach einigen Stunden zurückgenommen wurde. Am Nachmittag des Tages kam es in vielen Teilen Budapests zu Versammlungen: beim Bem-Denkmal, vor dem Denkmal des Dichters San-dor Petöfi vor dem Rundfunkhaus und vor dem Parlamentsgebäude.

Hier erhob die Menge den Ruf nach Imre Nagy, von dem man hoffte, er würde die Führung der weiteren Ereignisse übernehmen.

Nagy, selbst Altkommunist, wegen seirter nationalen und demokratischen Gesinnung im Lande schon seit langem populär, war im Juli 1953 im Zeichen eines gelockerten Kurses schon Ministerpräsident. Ihm gelang es damals, manche von Räkosis Sünden gutzumachen. Aber im März 1955 wurde Nagy zur Demission gezwungen: in Moskau siegte wiederum der orthodoxe Flügel der Partei.

Erst kurz vor dem 23. Oktober Wurde Nagy nolens volens rehabilitiert und wieder in die Partei aufgenommen. Jetzt, wo er von einem Erker des Parlamentsgebäudes zu der Menge sprechen sollte.

war seine Haltung eher reserviert als zündend.

Am Abend des 23. Oktober kam es zum ersten Blutvergießen. Der Staatssicherheitsdienst schoß in die Menge vor dem Rundfunkhaus. Es kam daraufhin zu einer regelrechten Belagerung des Gebäudes. Die Leute beschafften sich Waffen und Munition aus den benachbarten Kasernen und aus den Waffenfabriken von Csepel und Köbänya. Auch die Arbeiter schlössen sich der Menge an. Man proklamierte den Streik.

Unter Jubel wurde das riesige Staliri-Denkmal von seinem Sok-kel in den Stadtpark gestürzt und der bronzene Diktator im Triumph durch die Straßen geschleift. Die Regierung bot nun die Armee auf, da die Polizei eher freundlich als feindlich zu den Aufständischen stand. Die Volks-armisten weigerten sich jedoch, auf ihre Landsleute zu schießen: vielmehr schlössen sie sich ihnen an.

Panzer in Budapest

Nun ließ Ernö Gero die Russen kommen: am Morgen des 24. Oktober erreichten die ersten sowjetischen Panzer Budapest und versuchten, vorerst noch ohne Waffengebrauch, die Ordnung in der Stadt herzustellen.

Mit dem Erscheinen der Russen wiederfuhr dem Budapester Aufstand eine Charakter-Änderung: er wurde nun nicht nur eine Revolution, sondern auch ein Freiheitskampf. Es ging nämlich jetzt, nicht mehr nur um eine innenpolitische Auseinandersetzung zwischen Volk und Regierung, es wurde jetzt auch ein Kampf zwischen Ungarn und Russen!

Die sowjetische Armee konnte indessen ihren ersten Auftrag nicht erfüllen. Sie wurde bereits in den Morgenstunden des 24. Oktober von den Aufständischen — Arbeitern, Studenten und Angestellten, bzW. Voks^rmisten - angegriffen und vielerorts zvun Rückzug gezwungen.

Die Kämpfe, die zwischen dem 23. und 29. Oktober in Budapest und auch in der Provinz entflammten, spielten sich nicht nur an den Barrikaden ab. Uber Nacht entstanden die politischen Organe der Aufständischen: die Arbeiterräte, die National- und Revolutionskomitees, die ihre Ziele (ein unabhängiges, demokratisches, aber dennoch sozialistisches Ungarn) auf politischer Ebene durchzusetzen versuchten. Es gab eine nationale Einheit, die jede Gesellschaftsschicht ansprach und beispiellos in der jüngsten Geschichte Ungarn dastand!

Inzwischen brach die Macht und die Autorität der Regierung rapid zusammen. Ministerpräsident Andräs Hegedüs und Parteisekretär Ernö Gero demissionierten. Imre Nagy, selbst von der Dramatik der Ereignisse mitgetragen, wurde Regierungschef. Jänos Kädär, einstiges Opfer der ungarischen Stalinisten, übernahm die Leitung der angeschlagenen Partei. Aber auch diesebei-den vermochten die revolutionäre Bewegung nicht mehrzu steuern.

Tag für Tag bröckelte nun Stück um Stück vom volksdemokratischen Regime ab. Die Staatspartei mit ihren fast 900.000 Mitgliedern löste sich einfach auf. Der Staatssicherdienst wurde in die Verteidigung gedrängt und fiel auseinander. Armee und Polizei schlössen sich den Aufständischen an. Die Sowjets blieben völ-

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