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Die Rebellion der Ohnmächtigen

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In Südafrika rumort es wie schon seit langem nicht mehr - und das, obwohl sich Pretoria von einer neuen Verfassung eine innenpolitische Beruhigung erhofft hatte. Außenpolitisch aber konnte der Apartheid-Staat Erfolge verzeichnen und seinen Widersachern vom ANC das Wasser abgraben.

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In Südafrika rumort es wie schon seit langem nicht mehr - und das, obwohl sich Pretoria von einer neuen Verfassung eine innenpolitische Beruhigung erhofft hatte. Außenpolitisch aber konnte der Apartheid-Staat Erfolge verzeichnen und seinen Widersachern vom ANC das Wasser abgraben.

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Die Verfassung Südafrikas räumt sowohl aktives als auch passives Wahlrecht nur den weißen Bürgern des Staates ein. Das jüngste Zugeständnis der Regierung, auch Inder und Farbige ihre Vertreter in zwei zusätzliche Parlamentskammern wählen zu lassen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Der kleine „kosmetische Eingriff" in die Verfassung, der angeboten wurde, um gewissermaßen das Gesicht der Apartheid vor den Augen der Welt gerechter erscheinen zu lassen, wurde von der Mehrheit der Wahlberechtigten auch als solcher verstanden, was die geringe Wahlbeteiligung klar zum Ausdruck gebracht hat.

Dieser Wahlboykott der Inder und Mischlinge war gleichsam auch das Signal für die schwarze Bevölkerung zur Rebellion. Vor allem in den schwarzen städtischen Siedlungen (townships) demonstrierten die Opfer der Apartheid-Politik. Die südafrikanische Polizei schlug zurück, wie man es von ihr schon gewohnt ist: hart und rücksichtslos, mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition.

Die schlimmsten Rassenunruhen seit den Soweto-Ereignissen 1976 forderten in den letzten Tagen und Wochen über 50 Todesopfer und über 400 Verletzte. Mittlerweile begann auch eine Welle erbitterter Arbeitskämpfe in den Goldminen. Auch hier schritt die Polizei ein, auch hier gab es Tote und Verletzte.

Die Rassenunruhen und die Arbeitskämpfe aber zeigen überdeutlich, daß die Lage in Südafrika zunehmend explosiver wird. Die unterdrückte schwarze Mehrheit macht ihrer wirtschaftlichen und politischen Unzufriedenheit in spontanen Wutausbrüchen gegen das Unrechtssystem Luft. Bis jetzt hat freilich die Polizei durch ihr brutales Eingreifen die Lage in der Hand.

Hätten die Schwarzen die Möglichkeit, ihre Vertreter zu wählen, so würde laut Umfragen die große Mehrheit dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) die Verantwortung übertragen. Diese Befreiungsbewegung der Schwarzen ist, obwohl seit 1960 verboten, noch immer anerkannte Dachorganisation aller Freiheits- und Oppositionsgruppen der Bantu, Die politische Inkompetenz seit dem Verbot zwang den ANC aber 1960 in den Untergrund und ins Exili Terröranschläge und Sprengstoffattentate sind die Antwort der ANC-Guerillas auf die Ausweglosigkeit aus der politischen Ohnmacht.

Inoffiziellen Schätzungen zufolge sind von den rund 10.000 ausgebildeten Guerillas etwa 1000 in Südafrika in den verschiedensten Rollen aktiv, sei es in der Spionage, im Kampfeinsatz oder im

Nachrichtendienst. Der Großteil der Kämpfer aber ist im Exil, sowohl in afrikanischen Staaten als auch in anderen Teilen der Welt.

Tansania beherbergt das Hauptquartier der Organisation in Dar-es-Salaam und gewährt den Mitgliedern moralische Rük-kenstärkung und diplomatische Hilfe. Zu groß ist die Entfernung vom Mutterland, um von Dar-es-Salaam aus gezielte Operationen starten zu können.

Anders ist die Situation in den Frontlinienstaaten Mocambique und Angola. Angolas sowjetgestütztes MPLA-Regime, Südafrikas Widersacher in der Namibiafrage und der Helfer der südwestafrikanischen Befreiungsbewegung SWAPO, gewährt noch immer mehr als 6000 ANC-Guerillas Exil und Ausbildung in heimischen Trainingslagern. Dort werden sie von Instruktoren aus der Sowjetunion und ihren Bruderländern zum bewaffneten Einsatz geschult.

Der ANC empfängt aber nicht nur Hilfe von großzügigen Gönnern des Ostblocks. Die Tatsache, daß er den bewaffneten Kampf nicht als die einzige Form politischer Konfrontation sieht und nicht wenige Weiße in seinen Reihen kämpfen, hat ihm neben der militärischen Unterstützung der Ostblock-Staaten und radikaler afrikanischer Länder auch die Hilfe liberaler europäischer Regierungen eingebracht, unter denen neben Schweden, Dänemark, Finnland, Italien und Holland auch Österreich aufscheint. Die ANC-Vertreter in Dar-es-Salaam waren dem Autor gegenüber nicht bereit, Auskunft zu geben, worin die österreichische Hilfeleistung besteht.

Ein Treffen dreier Delegationen aus den USA, Südafrika und Angola im Frühjahr dieses Jahres hatte das Zustandekommen des

Lusaka-Abkommens zur Folge, das allerdings eher die Namibiafrage betrifft als die Problematik des ANC.

Angolas Präsident Jose Eduar-do dos Santos versprach darin, nach dem Rückzug der südafrikanischen Truppen aus dem Süden Angolas die Aktivitäten der SWAPO im betroffenen Gebiet zu unterbinden, sofern Südafrika vorher Bedingungen für die Anwendung der UNO-Namibia-Re-solution 435/78 schafft und auf die Unterstützung der prowestlichen UNITA-Guerillas in Angola verzichtet.

Ob das Entflechtungsabkommen ein erster Schritt zur Unabhängigkeit Namibias ist und in weiterer Folge vielleicht den Abzug der Kubaner aus Angola bewirkt, wird die Zukunft noch zeigen.

Das ebenfalls in diesem Jahr von Mocambique und Südafrika unterzeichnete bilaterale Nkoma-ti-Abkommen, das beide Seiten als Erfolg propagierten, betrifft den ANC aber in direkter Hinsicht. Lange Zeit hatte Mocambique den ANC-Guerillas sein Territorium für die Vorbereitung bewaffneter Aktivitäten innerhalb Südafrikas zur Verfügung gestellt und ließ diese unbehelligt die Grenze zum südlichen Nachbarn passieren. Das sollte sich durch die Unterzeichnung des Abkommens ändern.

In gleicher Weise verzichtet Südafrika darin auf die Unterstützung von Mocambiques Nationaler Widerstandsbewegung MNR mit Waffen und Geld. Sabotageakte der MNR hatten die Wirtschaft und Sicherheit des Landes schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Trotz Mocambiques Vorbehalt, dem ANC weiterhin diplomatische und politische Hilfe zu leisten und seine Vertreter nicht des Landes zu verweisen, ist das Abkommen für den ANC von existentieller Bedeutung und zwingt die Organisation zur Suche nach neuen Strategien.

Die anderen Frontlinienstaaten, die an der heißen Grenze zu Namibia und Südafrika liegen, Botswana, Zambia und Zimbab-we, unterbinden alle ANC-Akti-vitäten in ihren Ländern seit langem aus Gründen der eigenen Sicherheit, ohne je ein formelles Si-cherheitsabkornmeri mit Pretoria unterzeichnet zu haben.

Somit sind der Opposition der Apartheid die Hände gebunden. Es ist praktisch unmöglich geworden, eine anschauliche Zahl von Guerillas und Kriegsmaterial illegal über Südafrikas Grenzen zu schleusen.

Die strategische Bedeutung der beiden Verträge mit Mocambique und Angola liegt also — sofern sie von Dauer sind — in der Vollendung eines „cordon sanitaire", eines Sicherheitsgürtels rund um die Republik Südafrika. Die angrenzenden Binnenstaaten werden die Pufferzone nicht sprengen. Denn für sie ist die Zusammenarbeit mit dem Apartheid-Regime seines Wirtschaftspotentials und seiner Seehäfen wegen von unschätzbarer Bedeutung.

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