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Digital In Arbeit

Die Rechnung für einstigen Wohlstand ist fällig

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Das schwedische Volk ist nun gezwungen, eine Rechnung zu bezahlen, die seit Jahren fällig gewesen wäre, deren Berechtigung anzuerkennen man sich aber beharrlich geweigert hat. Die Arbeitskosten der Industrie erhöhten sich in den letzten zwei Jahren um 37 Prozent, in Westdeutschland beschränkte sich die Erhöhung auf 13 Prozent und in den USA auf 15. Auch für das Jahr 1977 erreichen die automatischen Ausgabenerhöhungen bereits 6 Prozent, ohne daß dabei schon die Forderungen der Gewerkschaften berücksichtigt worden wären. Die erzielten Einkommensverbesserungen wurden durch eine starke Erhöhung der Auslandsverschuldung erkauft. Die geforderten und teilweise auch schon zugesagten Verbesserungen der sozialen Fürsorge gehen weit über die Leistungsfähigkeit des Staates und der Gemeinden hinaus. Und bei alldem nahm die Arbeitsmoral in einem berunruhigen- den Maße ab. Nach einer Untersuchung des Verbandes der schwedischen Arbeitgeber verzeichnete man im Vorjahr 106 Millionen Krankentage der Arbeitnehmer. Das bedeutet, daß jeder Lohnempfänger an 22 Tagen im Jahr wegen Krankheit der Arbeit ferngeblieben ist. Das sind 10 Prozent der Gesamtarbeitszeit. Die entsprechenden Ziffern für Norwegen sind 9 Prozent, für Italien und Holland 8, für Frankreich und Westdeutschland 7. Dann folgen, in fallender Skala, die Länder Dänemark, Finnland, Belgien, England, Schweiz, Österreich und die USA. „Ist der schwedische Arbeiter wirklich der in gesundheitlicher Hinsicht am schlechtesten beschaffene Arbeiter der Welt?“ fragt die SAF in ihrem Bericht.

Die drei Monate vom Dezember 1976 bis Februar .1977 haben ein Außenhandelsdefizit von drei Milliarden Schwedenkronen gebrächt, obwohl man für das ganze Geschäftsjahr nur mit einem Fehlbetrag von 500 bis 600 Millionen gerechnet hatte. Der Staat rechnet für das kommende Geschäftsjahr mit einem Anleihebedarf von 17 Milliarden, wobei schon jetzt erkennbar ist, daß dieser Betrag nicht ausreichen wird, das große Loch in den Staatsfinanzen zu füllen. Der Anleihebedarf der Gemeinden ist mindestens ebenso groß. 30.000 Arbeitskräfte werden heute in Ausbildungskursen verschiedener Art auf Staatskosten notdürftig beschäftigt, obwohl man sie eigentlich nach Hause schicken müßte.

Nun wurde am 4. April eine Abwertung der Krone um 6 Prozent gegenüber der „Währungsschlange“ durchgeführt, die Mehrwertsteuer wurde von 17,6 auf 20,6 Prozent erhöht und dürfte damit die höchste der Welt sein.

Genügt nun das alles, um der schwedischen Exportindustrie eine bessere Ausgangsposition auf den internationalen Märkten zu verschaffen? Man kann da seine Zweifel hegen! Gleichzeitig mit der schwedischen Währung wurden auch die dänische und die norwegische Krone deval- viert, zwar nur um 3 Prozent, aber immerhin, und da in den ersten Tagen nach dem 4. April die schwedische Krone nur um 4 Prozent niedriger als vorher notiert wurde und die Finnen ebenfalls den Kurs ihrer Mark um 5,7 Prozent herabsetzten, kann angenommen werden, daß sich jedenfalls in der Konkurrenzkraft der schwedischen Industrie gegenüber den Nachbarländern nichts geändert hat. In diese Länder aber gehen 28 Prozent der schwedischen Ausfuhren. Da man sich außerdem gezwungen sah, die staatlichen Kinderbeiträge um 300 Kronen pro Jahr zu erhöhen und auch den Beziehern der Volkspension eine Kompensation für die Verteuerung der Lebenshaltung zusagte, ist ein wesentlicher Teil des Effektes dieser Krisenmaßnahmen bereits vertan.

Ganz sicherlich wird die Kaufkraft eines großen Teiles der Bevölkerung stark geschwächt werden; für die Betroffenen, die sich in keiner Weise schadlos halten können, ist das bitter genug. Um die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, den Schuldenberg abzubauen oder um wenigstens weitere Schuldenmacherei zu verhindern, dürften alle diese Maßnahmen nicht genügén. Bezeichnenderweise hat die Regierung auch zu verstehen gegeben, daß man mit weiteren verbrauchsdämpfenden Eingriffen rechnen müsse. Die Unternehmer bestehen zudem, zwecks Abstellung der Mißbräuche, auf einer Änderung der Krankenversicherung und auf der Einführung einer „gleitenden Arbeitswoche“, die der Konjunktur angepaßt werden soll. Es werden weitere Rechnungen kommen, für einen Wohlstand, der oft sinnlos vertan worden ist, und den wieder zu erreichen es viele Entsagungen und viel Arbeit kosten wird.

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