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Die Rechnung Mitterrands

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Im Juni 1972 überraschten die sozialistische und die kommunistische Partei die französische Öffentlichkeit mit einem Wahlbündnis. Dieses kristallisierte sich um ein gemeinsames Programm. Selbst gut informierte Experten der Innenpolitik glaubten noch am Vorabend nicht an die Verwirklichung dieses Vorhabens. Trotz verschiedenster, schon ab 1966 eingeleiteter Kontakte und Gespräche stießen sich die beiden Linksparteien an zu großen ideologischen Gegensätzen. Die KPF, stalinistischer als jede andere westliche kommunistische Partei, sah trotz des kurzlebigen Experiments der Volksfront von 1936 den Hauptgegner Immer in der sozialistischen Partei. Die Geschichte der französischen Linken bis in die V. Republik hinein zeigt die Heftigkeit der Polemiken zwischen den beiden Zweigen des französischen Sozialismus.

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Im Juni 1972 überraschten die sozialistische und die kommunistische Partei die französische Öffentlichkeit mit einem Wahlbündnis. Dieses kristallisierte sich um ein gemeinsames Programm. Selbst gut informierte Experten der Innenpolitik glaubten noch am Vorabend nicht an die Verwirklichung dieses Vorhabens. Trotz verschiedenster, schon ab 1966 eingeleiteter Kontakte und Gespräche stießen sich die beiden Linksparteien an zu großen ideologischen Gegensätzen. Die KPF, stalinistischer als jede andere westliche kommunistische Partei, sah trotz des kurzlebigen Experiments der Volksfront von 1936 den Hauptgegner Immer in der sozialistischen Partei. Die Geschichte der französischen Linken bis in die V. Republik hinein zeigt die Heftigkeit der Polemiken zwischen den beiden Zweigen des französischen Sozialismus.

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Als Frangois Mitterrand beim Kongreß von Epinay (11. bis 13. März 1971) als erster Sekretär die Leitung einer der ältesten Parteien des Landes übernahm, war niemand von einem Erfolg überzeugt. Damals ging es um das Zusammenbringen der höchst intellektuell ausgerichteten, eine Form des theoretischen und abstrakten Sozialismus vertretenden ■ Klubs mit dem überalterten und wenig dynamischen Parteiapparat des SFIO. Die jahrzehntelang von Guy Möllet geprägte SFIO hatte die soziologische Basis einer Arbeiterpartei vollkommen verloren. Statt dessen träumten mittlere und höhere Beamte, sowie Angestellte der Eisenbahnen und Elektrizitätswerke, von den heroischen Zeiten eines Jaures und eines Leon Blum. Bei den Präsidentschaftswahlen 1969 konnten die sozialistischen Kandidaten Gaston Defferre und der von ihm als eventueller Ministerpräsident vorgestellte Mendes-France nicht einmal einen Achtungserfolg erzielen. Die linke Reichshälfte wurde damals von den Kommunisten so eindeutig beherrscht, daß ihre etwaigen Koalitionspartner unter „ferner liefen“ klassifiziert wurden.

Als Frangois Mitterrand einen Pakt mit der KPF einging, verkündete er offen sein politisches Ziel, aus der neuen sozialistischen Partei die erste Kraft des linken Lagers zu machen. Dieses Bestreben schien hochgeschraubt zu sein und mit Promissen verbunden. Selbst die eigene Partei glaubte nicht daran. Trotzdem schnitten die Sozialisten bei den Legislativwahlen im März 1973 besser ab als ihre kommunistischen Bündnispartner. Sie brachten 102 Abgeordnete gegen 73 kommunistische Abgeordnete ins Parlament. Es war allgemein bekannt, daß der Erste Sekretär den Parteiapparat verjüngt hatte und sich der Unterstützung der zweitstärksten Arbeitnehmerzentrale, der CFDT, erfreute. Diese einst als christliche Gewerkschaft gegründete' Organisation hatte zu Beginn der sechziger Jahre — zum Teil mit Zustimmung der Bischöfe — jede kirchliche Bindung gelöst. Obwohl die leitenden Funktionäre persönlich ihren konfessionellen Stan-punkt nicht leugneten, wurde die CFDT zum willkommenen Rahmen, in dem sich die junge sozialistische Intelligenz mit der extremen Linken treffen konnte. Der Anteil der CFDT an den Maiereignissen von 1968 war mehr als beachtlich.

Im Frühjahr dieses Jahres dokumentierte diese Gewerkschaftszentrale auf ihrem Kongreß ihre Absage gegenüber dem Kommunismus und — was nachgerade verwundern mag — auch gegenüber dem Trotz-kismus. Zur Sozialistischen Partei wünschte die CFDT in etwa dieselbe Position einzunehmen wie die CGT zur KPF. Somit fanden die Sozialisten zum erstenmal wieder eine Basis in der Arbeiterklasse. Daher wurde der Kongreß der Sozialistischen Partei vom 22. bis zum 24. Juni in Grenoble mit Interesse verfolgt. Würde Mitterrand seine Stellung und die Autorität des politischen Sekretariats über alle sehr nuancierten Fraktionen der Partei ausbauen können? Denn nicht nur die alte, sich um Guy Mollet scharende Parteigarde war gegen die Tendenzen und Reformen der neuen Leitung.

Am linken Flügel zeigte sich eine lautstarke Gruppe. Diese kam mit der Studienzentrale CERES hoch und ist eng verwandt mit den neuen, größtenteils aus der Gewerkschaftsbewegung und den katholischen Jugendorganisationen stammenden Anhängern. CERES proklamierte das gleiche Programm wie die CFDT und formulierte die Konzepte der Selbstverwaltung in Betrieb, Gemeinde und Staat. Gerade dieses Programm stößt nun auf den Widerstand der Kommunisten. Für sie bedeutet es eine Abweichung von den marxistisch-leninistischen Theorien. Die Gefahr der Fraktionsbildung wurde bis zum Kongreß von Genoble so oft an die Wand gemalt, daß viele Kommentatoren die Einheit der Partei bedroht sahen.

Frangois Mitterrand konnte allerdings diese Tendenzen unter einen Hut bringen. Er ging somit als der große Sieger der Gefechte in Genoble hervor. Er allein inkarniert nun die Hoffnung der Sozialisten. Selbst Mauroy, dem vielfach als Wunderkind der Partei bezeichneten neuen Bürgermeister von Lille, gelang es nicht, den Kandidaten der Präsidentschaftswahlen von 1965 zu überrunden. Aus den Ergebnissen von Grenoble ist zu ersehen, daß die Personalisierung der Sozialistischen Parteien Westeuropas weitere Fortschritte machte. Wenn die SPÖ in Kreisky, die SPD in Willy Brandt, die Schweden in Palme ihre Verkörperung fanden, so läßt sich das gleiche Phänomen auch bei den französischen Sozialisten feststellen. Obwohl er es häufig dementiert, ist

Frangois Mitterrand der einzig mögliche Kandidat der Linken für Präsidentschaftswahlen, wie immer auch der von der Mehrheit aufgestellte Gegner heißen mag.

Es gelang Mitterrand also, den Parteiapparat zu dominieren. Aber die Sozialisten hätten noch einen weiten Weg vor sich, um ebenbürtige Partner der KPF zu werden. Eine Zahl mag das unterschiedliche Kräfteverhältnis der beiden Linksparteien illustrieren; das Jahresbudget der Sozialistischen Partei beträgt 2 Millionen Franc, das der Kommunisten 20 Millionen. Die kommunistische Partei hat zur Zeit 350 hauptamtliche Mitarbeiter, die Sozialisten verfügen über deren ganze sechs. Wenn man bedenkt, daß die trotz-kistische Liga von Alain Krivine 30 Leute beschäftigt, muß man erkennen, wie schwierig es mit diesen Mitteln ist, der KPF entgegenzutreten. Die Kommunisten verzeichnen 450.000 Mitglieder, die Sozialisten gaben in Grenoble 105.000 bekannt. Zum Zeitpunkt von Mitterrands Amtsübernahme hatte die Partei lediglich 80.000 eingeschriebene Anhänger.

Der erste Sekretär konnte bisher keine größeren Beitragszahlungen einwirtschaften oder die Parlamentarier zur Abgabe eines Teils ihrer Bezüge an die Partei zwingen. Nach dem Vorbild der Kommunisten versuchen die Sozialisten, ebenfalls parteieigene Wirtschaftsunternehmen zu schaffen. Aber diese Bestrebungen stecken noch in den Kinderschuhen. Mitterrands Rechnung wird daher nicht leicht aufgehen.

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