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Die Rechte der Patienten klarstellen

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Ein Mensch fühlt sich krank. Er geht zum Arzt, wird in ein Spital eingewiesen. Nun ist er zwar Mensch wie eh und je. Vor allem ist er aber jetzt Patient. Das heißt, er ist mehr als sonst auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.

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Ein Mensch fühlt sich krank. Er geht zum Arzt, wird in ein Spital eingewiesen. Nun ist er zwar Mensch wie eh und je. Vor allem ist er aber jetzt Patient. Das heißt, er ist mehr als sonst auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.

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Was er will, ist wieder gesund werden. Was er aber sonst noch gerne hätte, ist, nicht als „Niere" von Zimmer zwölf oder als „Blinddarm" von Zimmer 307 behandelt zu werden.

Sondern er möchte weiter der Herr Maier oder die Frau Müller sein, der oder die man auch in gesundem Zustand immer war und in der besonderen Situation des Krankseins nach wie vor ist.

Das scheint zwar nur natürlich und selbstverständlich zu sein, aber die Realität ist nicht immer so! Überlastete Ärzte und Schwestern, Betten am Gang, Kommunikationsprobleme sind durchaus kein Einzelfall. Extremfälle wie Behandlungsschäden kommen leider auch immer wieder vor. Dazu kommt die moderne Frei-heits- und Selbstbestimmungsdynamik, die auch vor Behandlungszimmern und Operationssälen nicht Halt macht.

Tatsache ist, daß vielerorts Patienten auf ihre Rechte pochen und daß viele westliche Länder bereits darauf reagieren. Und zwar in der Form, daß sie sich darum bemühen, klare, eindeutige Rechte für die Patienten festzulegen, um so den zunehmenden Spannungen im Gesundheits- und Krankenpflegesystem entgegenzuwirken. „Eine erfolgversprechende Antwort!", so meint Universitätsdozent Johannes Pichler, Leiter des Österreichischen Institutes für Rechtspolitik in Salzburg, der die Entwicklung in den letzten Jahren genau verfolgt hat. Erfolgversprechend deshalb, weil damit Rechtssicherheit geschaffen wird; und Rechtssicherheit schafft Frieden, so der Wissenschaftler. Unklare Rechte sind oft erst die Quelle von Streit. Daher: „Der Patient soll wissen, woran er ist, und alle anderen Beteiligten ebenfalls!"

Behandlungsvertrag

Das scheint man sich auch bei großen übernationalen Einrichtungen wie Weltgesundheitsorganisation, EG und Europarat zu denken, die sich gegenwärtig alle um die Formulierung von Patientenrechten bemühen. In einigen Ländern wie den Niederlanden, die in diesem Jahr ein eigenes Kapitel über den „Behandlungsvertrag" in das Bürgerliche Gesetzbuch einführen, ist man schon weiter. Das gilt auch für Finnland, das mit seinem neuen, kurz und klar formulierten Patientenrechtsgesetz in Europa eine Vorreiterrolle übernommen hat.

„Der Trend geht eindeutig in diese Richtung", so faßt Dozent Pichler die Ergebnisse des kürzlich von ihm in Salzburg präsentierten Forschungsberichtes über die „Internationalen Entwicklungen in den Patientenrech-ten" zusammen. Der im Frühjahr 199? im Böhlau-Verlag erschienene 1.000 Seiten-Wälzer zeigt zum ersten Mal auf, was sich seit den frühen siebziger Jahren weltweit auf diesem Gebiet getan hat.

Begonnen hat es in den USA, wo eine Krankenhausorganisation und nicht - wie man vielleicht erwartet hätte - eine Patientenorganisation die erste „Patient's Bill of Rights" proklamierte. Der Grund dafür waren die hier damals schon herrschenden und auch bei uns gefürchteten „amerikanischen" Verhältnisse mit ganzen Lawinen von Prozessen gegen Ärzte und Anstalten. Die Folge dieser Rechtsunsicherheit war in den USA eine für Patienten und Ärzte unbefriedigende „Defensivmedizin". Beides ist heute zwar noch nicht ganz überwunden, aber - so zeigen die Ergebnisse Pichlers - man setzt auch in den Vereinigten Staaten jetzt auf klar formulierte Patientenrechte. Nahezu jeder amerikanische Bundesstaat verfügt bereits über ein derartiges Gesetz.

Auch heute nicht rechtlos

Was natürlich nicht bedeutet, daß dort, wo solche Gesetze noch nicht existieren wie etwa in Deutschland und Österreich, der Kranke völlig rechtlos wäre. Aber der Zugang zum Recht ist für viele derzeit nicht so offen, wie es nötig wäre. Es hat sich eben noch nicht überall jene Sicht durchgesetzt, die der Salzburger Landeshauptmann Hans Katschthaler bei der Präsentation der Studie vertrat: „Patientenrechte sind Bürgerrechte. Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Das gilt selbstverständlich auch für Patienten." Katschthaler setzt sich daher auch für ein österreichisches Patientenrechtsgesetz ein, wie es übrigens auch Gesundheitsminister Michael Ausserwinkler bereits angekündigt hat.

Bezieht man die in anderen Ländern gemachten recht unterschiedlichen Erfahrungen mit ein, so müßte es sich um ein bürgernahes Gesetz handeln, das vor allem die Grundrechte auf Zugang zu Behandlung und Pflege, auf Selbstbestimmung, Achtung und Würde und umfassende Information umfaßt. Wie Pichler vermutet, könnten bei der Durchsetzung solcher grundlegender Patientenrechte nationale Ethik-Räte eine wichtige Rolle spielen, wie jener in Dänemark.

Seit 1987 ist diese Einrichtung damit befaßt, alle im Medizinbereich ethik-relevanten Entwicklungen aufzugreifen und zum Gegenstand der öffentlichen Debatte zu machen. Auf diese Weise werde die notwendige Basis für eine breite Akzeptanz von Patientenrechten in der Bevölkerung gelegt.

Der Wissenschaftler sieht übrigens nicht die Gefahr, daß mehr Rechte für Patienten zur Folge haben könnten, daß eine zunehmende Zahl von Streitfällen zwischen Patient und Behandler vor dem Richter ausgetragen wird. „Im Gegenteil, es könnten sich mehr und bessere Selbstregelungsmodelle entwickeln", lautet seine optimistische Ansicht. Vor allem gehe es da um jene Fälle, in denen tatsächlich ein Behandlungsschaden aufgetreten ist. Als der eindeutig beste Lösungsweg habe sich dabei die in den skandinavischen Ländern mittlerweile bewährte außergerichtliche Einigung erwiesen. Das Prinzip: der geschädigte Patient erhält Recht und Geld, ohne dem Arzt vor Gericht ein Verschulden nachweisen zu müssen. Finanziert wird das ganze im Wege einer sogenannten Patienten-Direktversicherung.

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