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Die Rehabilitierung einer Epoche

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„Wenn es immer noch Leute gibt, die die Ringstraße als Gruselarchitektur bezeichnen, so ist das kein kunsthistorisches Werturteil“, meint Professor Renate Wagner-Rieger, „sondern entspringt einem Generationsproblem. Ein bestimmter Personenkreis der älteren Generation wird sich nie frei machen können, die Kunst des Historismus zu lieben. Die Jungen aber sehen nicht ein, warum ein Makart weniger anerkannt sein soll als Rubens. Man hat heute ein ganz anderes Verhältnis zur Kunst des 19. Jahrhunderts als vor 20 Jahren, ja selbst vor zehn Jahren.“

Nicht unwesentlich hat Professor Wagner-Rieger, Ordinaria der Kunstgeschichte an ,der Universität Wien, zu diesem Gesinnungswandel beigetragen. Sie ist die Herausgeberin und zum Teil auch Verfasserin des umfassenden Werkes „Die Wiener Ringstraße, Bild einer Epoche“. Von den vorgesehenen 15 Bänden sind bisher zehn erschienen, vier stehen unmittelbar vor der Auslieferung. 1980 soll dieses Gesamtwerk vollendet sein. Die Idee, ein Werk über die Wiener Ringstraße zu publizieren, wurde bereits 1964 geboren.

Der erste Band, ein Bilderbuch der Ringstraße, erschien vor zehn Jahren und hatte Signalwirkung. Er hat eindeutig das Bewußtsein der Öffentlichkeit für einen starken denkmal-pflegerischen Einsatz mobilisiert. Die Arbeit bis zur Vollendung des Gesamtwerkes nimmt einen verhältnismäßig langen Zeitraum in Anspruch. Es gab Schwierigkeiten mit dem Verlag. Die ersten beiden Bände erschienen bei Böhlau, dann wurde der Vertrag durch den Verlag gekündigt. Wenngleich eine Wiener Anstalt die Arbeiten wesentlich erleichtert hätte, wollte kein österreichischer Verlag mehr in dieses große Projekt einsteigen.

So übernahm schließlich der Franz Steiner Verlag in Wiesbaden die Weiterführung. Außerdem verlangte die Fritz Thyssen Stiftung, die zwei Drittel der Kosten für die Drucklegung bestreitet, ab 1976 auch eine finanzielle Beteiligung Österreichs. Um das Werk zu einem Abschluß zu bringen, stellen nun das Ministerium für Wissenschaft und Forschung und die Gemeinde Wien ein Drittel der Kosten zur Verfügung.

x Wenn die Ringstraße selbst auch das beste Anschauungsmaterial liefert, mußte doch intensive wissenschaftliche Arbeit geleistet werden. Neben den Autoren der einzelnen

Bände gab es einen Stab von Mitarbeitern, die Hilfsdienste leisteten, Zeitschriften durchsahen und eine Kartei anlegten. Die Quellen über die Geschichte und Kultur jener Zeit mußten erst aufgespürt werden. Mit der Arbeit wuchs auch immer mehr das Verständnis für den Historismus.

Unter den Studenten wurde die Epoche für Dissertationsthemen außerordentlich behebt. Man interessierte sich nicht mehr nur für die Malerei; die Architektur trat allmählich in den Vordergrund: Die Plastik dieser Zeit wird erst jetzt nachgezogen. Man erkannte, daß der Historismus, der zunächst als kunstlose Produktion angesehen wurde, anderen Kunstepochen an Bedeutung und Qualität nicht nachsteht

Die Vorgeschichte der Ringstraße bis zum berühmten Handschreiben des Kaisers 1857 war weitgehend unbekannt Elisabeth Springer konnte nicht nur offizielle Archivquellen, sondern viele neue Belege zum Teil privater Natur in ihren Band über Geschichte und Kulturleben der Ringstraße einbringen. In der Planungsgeschichte steckt sehr viel Politik dieser Zeit. Die Autorin deckte ein unglaubliches Intrigenspiel auf.

Der Band von Prof. Rudolf Wurzer wiederum macht mit einer Fülle von Planungen bekannt, die nie zum Zuge gekommen sind. Man kann daraus die ganze Breite der Diskussion und das Durchdenken aller Möglichkeiten ermessen, bis das endgültige Konzept vorlag. Neue Gegebenheiten, die 1857 noch nicht existierten, wie etwa die elektrische Straßenbahn, konnten eingebaut werden. Schließlich hat sich zwischen 1857 und 1900 auch ein erheblicher Stü-wandel vollzogen, der ebenfalls in das Konzept integriert wurde.

Ein allgemeines Grundkonzept wurde zur Konkurrenz ausgeschrieben, aus den eingelaufenen Vorschlägen wurde dann eine Art Bautenprojekt zur Ausführung erstellt; dieses hat im Wesentlichen bis zum Schluß gegolten, auch wenn an gewissen Stellen Änderungen vorgenommen wurden,“ als etwa die Franz-Josefs-Kaserne und ihr Exerzierfeld in die Vorstadt verlegt wurde, und an ihrer Stelle Postsparkasse und Kriegsministerium entstanden. Selbst solche einschneidende Änderungen konnten durchgeführt werden, ohne das Konzept zu stören.

Den roten Faden für die meisten wissenschaftlichen Arbeiten lieferte das Archiv des Stadterweiterungsfonds, das bisdahin kaum beachtet worden war.

„Das Werk ist als Dokumentation des Wiener Bestandes der Architektur der Ringstraße gedacht“, sagt Professor Wagner-Rieger, „auf Bezüge zu anderen europäischen Großstädten wird immer wieder hingewiesen. So ist das Verhältnis zu Paris interessant da viele Dinge parallel liefen. Die Pariser Oper zum Beispiel wurde zur gleichen Zeit wie die Wiener Oper gebaut. Es gibt Berührungspunkte und Unterschiede, die für die ganze Situation symptomatisch waren. Ahnliches gut auch für London, während die Lage in den Städten der Monarchie wie Budapest oder Triest in einem ganz anderen Zusammenhang gesehen werden muß.“

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