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Die Religion stimmt mit

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Protestantische Gemeinden, Sekten und Fernsehkirchen -Guatemalas neuer Präsident ist ein „wiedergeborener Christ" -machen der katholischen Kirche das alte Monopol auf Lateinamerika streitig. Neben diesem äußeren Druck steht der innere der Befreiungstheologie, die der römischen Amtskirche immer wieder den Gehorsam versagte.

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Protestantische Gemeinden, Sekten und Fernsehkirchen -Guatemalas neuer Präsident ist ein „wiedergeborener Christ" -machen der katholischen Kirche das alte Monopol auf Lateinamerika streitig. Neben diesem äußeren Druck steht der innere der Befreiungstheologie, die der römischen Amtskirche immer wieder den Gehorsam versagte.

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Interner und externer Druck auf Lateinamerikas Kirche haben miteinander zu tun: Jene zahlenmäßig so mächtigen gesellschaftlichen Randgruppen, um deren Wohl es den Befreiungstheologen seit Ende der sechziger Jahre geht, laufen heute scharenweise den evangelikalen Sekten und TV-Pfarrern zu.

Wenn hier die Rede von einem Monopol Roms ist, ist damit der Katholizismus als Staatsreligion gemeint, denn durchgehend kathol isch war der Kontinent nie. Über die Jahrhunderte hielten sich indianische und afrikanische religiöse Bräuche, die sich für die arme Bevölkerung zu einem wichtigen Synkretismus formten. Eine Renaissance der animistischen Volksreligionen ist seit Jahren zu beobachten. So wurde etwa Fidel Castro in seinerkämpfenden Untergrundphase als „El Caballo", das Pferd gesehen und verehrt. So wird heute in Venezuela in einer Spiritismusvariante eine aus Frauen und Mann verschiedener Hautfarben gebildete Dreiergruppe beschworen. An der Oberfläche jedoch zeigte sich Lateinamerika immer katholisch.

Erst liberale Aufbrüche im 19. Jahrhundert ließen für die Betreuung von Ausländerkolonien einige Türen für evangelische Kirchen offen. Die historischen Denominationen - Lutheraner, Methodisten und Anglika-ner - hatten im übrigen kein Interesse an Südamerika als Missionsland, sondern beschränkten sich auf soziales Engagement, sodaß nur in Chile und in Brasilien größere evangelische Gemeinden unter den Eingeborenen entstanden. De facto hielt deshalb das katholische Monopol bis nach dem Zweiten Weltkrieg, und seine Haltung war unangefochten sozialkonservativ, sodaß auch Diktaturen Zustimmung fanden, sofeme sie die Privilegien der Kirche schützten. Noch 1955 bei der ersten lateinamerikanischen Bischofskonferenz klagte man nur über Personalmangel für die Betreuung der Massen.

Von Torres zu BofT

Damals taten sich Nordamerika und Europa lose zusammen, um eine spirituelle Allianz für den Fortschritt neben das Modernisierungsprogramm des US-Präsidenten John F. Kennedy zu stellen. Die Katholische Universität zu Löwen in Belgien wurde wegweisend für das Training von lateinamerikanischen Jungpriestern, denen man das soziologische Werkzeug zur Feldforschung der Lage der Massen mitgab. Der Kaplan Camilo Torres lernte dort. Sein Abschied, ehe er zur kolumbianischen Guerilla ging, hieß: „Die Revolution - ein christlicher Imperativ!" Damit war 1966 das Saatkorn der Befreiungstheologie eingepflanzt.

Damals entstand auch die Zusammenarbeit zwischen Westeuropas jungen Christdemokraten und den neuen lateinamerikanischen Schwesterparteien. Ideologische, organisatorische und finanzielle Hilfe flössen über Jesuitenpater Roger Vekemans vor allem nach Chile, wo Eduardo Frei versuchte, der gewaltsamen kubanischen eine friedliche chilenische Revolution gegenüberzustellen. Pate standen politische Allianzen neuer Art, der „Dialog zwischen Christen und Marxisten".

Die nüchternen Nordamerikaner beschränkten sich damals jedoch auf

die handfeste Unterstützung durch Priester und Nonnen, die sie zur Entwicklungshilfe in den Süden schickten. Zur Vorbereitung auf den beträchtlichen Kulturschock machten sie bei einem Österreicher im mexikanischen Cuemavaca halt: Dort betreute sie der Feuergeist Ivan Illich.

Drei historische Ereignisse rahmen diese Entwicklung ein: die zweite Bischofskonferenz (1968) vollzog die Wandlung der lateinamerikanischen Kirche zur sozialprogressiven Kraft. Erstmals wurde für die armen Massen die Leibsorge vor der Seelsorge gefordert, Gewalt in besonderen Fällen auch für Christen legitimiert. In Chile kam es um 1970 zum „Comunitaris-mo" der Christdemokraten, der den Eigentumsbegriff soweit zugunsten von Landverteilung einschränkte, daß die Parteijugend dann prompt für den Marxisten Salvador Allende stimmte. Das dritte markante Ereignis ist die sandinistische Revolution 1979 in Nikaragua, die ohne das Bündnis von Marxisten und Christen nicht möglich gewesen wäre.

Für eine Befreiungstheologie diesen Zuschnitts gab es kein europäisches Vorbild mehr. Die in Südamerika gehegte Saat ging unter den Intellektuellen auf - nicht aber bei ihrer Zielgruppe, den Massen. (Vier oder

fünf Millionen Mitglieder von Basisgemeinden in ganz Südamerika fallen als politische Bewegung nicht ins Gewicht.) Verunsichert wurde aber zutiefst die Amtskirche. Die dritte Bischofskonferenz (1979) ließ zwar noch Spielraum, aber die achtziger Jahre legten wieder die Zügel an. Selbst Leonardo Boff, der brasilianische Franziskaner, von dem die Fortschreibung der Befreiungstheologie erwartet worden ist, ließ sich 1985/86 von Rom zum Schweigen mahnen. Und politisch zeichnete sich das Ende revolutionärer Entwicklungen ab. (Lateinamerika ist nach der „verlorenen Dekade" nur noch auf Konsolidierung bedacht.)

Heute wird der „Rebellion der Soutanen" eine unerwartete Rechnung präsentiert: Der Soziologenjargon der Befreiungstheologie verschreckte die besten lateinamerikanischen Katholiken, das Bürgertum. Jene, welche die radikale Theologie verfochten, rannten in den Kugelhagel von Armee und Polizei der autoritären Regime und Militärdiktaturen. Christsein in Lateinamerika wurde - insbesondere aber nicht nur für die unteren Schichten, welche die Befreiungstheologie beim Worte nahmen - lebensgefährlich. El Salvador belegt dies heute noch.

Hier finden sich die Erklärungen für den Erfolg der evangelikalen Missionen aus den USA - vorerst vor al-

lem in Mexiko und in Mittelamerika: TV-Prediger, Charismatiker, Pfingstl ler, Zeugen Jehovas, Sektengründer und unabhängige Wanderprediger erreichen unter Indianerbauern und Slumbewohnern Bekehrung um Bekehrung. Sie offerieren handfeste Hoffnung: mit finanzieller Hilfe, mit Ratschlägen für das Überleben in Armut, mit Kampagnen gegen lose Sitten, Alkohol und Machismus. Sie bieten Unterricht und betonen als Bibeltugenden Gehorsam, Disziplin, Fleiß, Obrigkeitstreue. Natürlich sind sie schroff antikommunistisch. Sieerklären die Armut Lateinamerikas nicht wie die Befreiungstheologen mit Kapitalismus und Imperialismus, sondern mit individuellem persönlichem Ungenügen, das korrigiert werden kann, wenn man tüchtig genug ist.

Für die Militärs ist die Befreiungstheologie „Subversion", die Arbeit der Evangelikalen jedoch willkommene Unterstützung. In diesen Ge-

meinden gibt es keinen Klassenkampf. Politische Führer bekehren sich selber zu den neuen Bewegungen, wie Guatemalas General Rios Montt, Putschgeneral von 1982/83.

Da die Verfassung Guatemalas eine Kandidatur des Generals verbietet, sprang sein Glaubensbruder von der Sekte „Verbo" (das Wort) Jorge Antonio Serrano Elias ein, und wurde prompt zum Präsidenten gewählt. Diese Wahl gibt Schätzungen Recht, die vermuten, daß bereits ein Viertel aller Guatemalteken dem evangelikalen Fundamentalismus als „wiedergeborene Christen" angehören, ja daß inzwischen 40 Millionen (zehn Prozent) der Gesamtbevölkerung Lateinamerikas in dieser oder jener nordamerikanischen protestantischen Kirche beheimatet sind.

So bildet Jean-Baptiste Aristide, der katholische Rebell, der in Haiti dieser Tage die Präsidentschaft antreten soll, nur noch die Nachhut einer historischen Reformbewegung. Als progressiver Katholik, den sein Orden bereits ausgeschlossen hat, will er soziale Reformen anpacken, die der Armee wegen „subversiver" Tendenzen Unbehagen bereiten. Während also in Haiti der nächste Putsch schon vorprogrammiert ist, lassen sich die Militärs in Guatemala als erste wiedertaufen, um sich mit einer neuen Spielart der „protestantischen Ethik" im Status quo einzurichten.

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