6846439-1976_23_07.jpg
Digital In Arbeit

Die Resignation

Werbung
Werbung
Werbung

Die äthiopische Fluggesellschaft führt ihren täglichen Inlandsdienst von der Hauptstadt Addis Abeba nach Asmara in Erythräa immer noch mit einem halben Dutzend Zwischenlandungen an der sogenannten „Historischen Straße“ durch, was früher Touristen und Kunstbeflissenen den Besuch der Klosterinseln im Tsana-See, der Kaiserpfalzen von Gondar, der monolithischen Felskirchen Lalibalas und der frühchristlichen Obelisken von Axum ermöglichen sollte. Auf dem Höhepunkt im erythräischen Bürgerkrieg, als im Februar und März 1975 die letzten Garnisonen der Regierungstruppen in Asmara, Massauwa und Assab vor der Ubergabe standen, waren in Richtung Norden nur militärische Verstärkungen und südwärts nur evakuierte Frauen und Kinder geflogen worden. Ein Jahr später hatte sich die Lage so weit normalisiert, daß auf dem Flughafen von Addis überhaupt niemand mehr kontrolliert, wer sich in die überfüllte DC-3 nach Erythräa setzt. Dennoch ist das 1975 erlassene Ausländer- und vor allem Journalistenverbot für das unruhige Küstenland bis heute nicht aufgehoben worden. An diesem Morgen setzen sich die Passagiere fast durchwegs aus loyalen erythräischen Muslimen zusammen, die von ihrer Pilgerfahrt nach Mekka zurückkehren.

Die islamische Bevölkerung macht von der ihr eingeräumten „Hadsch“-Erlaubnis überhaupt reichlich Gebrauch. Zugleich ist dieser nach Jahren wieder auflebende „religiöse Reiseverkehr“ ein Symptom der Normalisierung zwischen der zweiten revolutionären Führungsgarnitur um General Taffari Baratt und den arabisch-islamischen Hintermännern des erythräischen Aufstandes. Der letzte kaiserliche Regierungschef, revolutionäre Informationsminister und jetzige Sonderberater, Taffari Ban-tis, Mikael Imro, gilt in der Hauptstadt als Architekt dieser überraschenden Zusammenarbeit mit Saudis und Kuwaitern, Ägyptern und Golfscheichs. Er soll die einstigen Schirmherren der ELF mit dem Angebot „Besser ganz Äthiopien samt Erythräa auf eurer Seite, als nur ein kleiner Küstenstrich am Roten Meer im Aufstand und dann wahrscheinlich bald kommunistisch“, auf seine Seite gezogen haben.

Noch immer recht unruhig scheint es hingegen im restlichen Nordäthiopien zu sein, wo es beim Widerstand gegen die Revolutionsregierung nicht so sehr um separatistische Anliegen wie in Erythräa geht, sondern der Bodenreform und der Bildung von Dorfkollektiven Widerstand geleistet wird. Hat sich die Zwischenlandung in der Industriestadt Bahar Dar am Blauen Nil noch ordnungsgemäß abgewickelt, so sind nach der Landung in Gondar Schüsse zu hören. Die Maschine steigt nach Ablieferung des Postsackes sofort wieder auf, und der Kapitän gibt über den Lautsprecher bekannt, daß die anschließend in Lalibala vorgesehene Landung aus „technischen“ Grün den unterbleiben müsse. Dort behauptet sich der adelige Großgrundbesitzer Berhane-Maskal Desta seit März 1975 in einer alten Bergfestung und unternimmt immer wieder Ausfälle gegen die einst berühmte Touristenstadt.

Von der gepflegten Atmosphäre einer italienischen Provinzstadt, die Reisende an Asmara bis 1974/75 zu rühmen wußten, ist seit dem Exodus der hier aus der Kolonialzeit zurückgebliebenen Italiener während der schweren Kämpfe des Vorjahres nichts mehr zu spüren. Immerhin sind einige wenige Europäer, Griechen und Armenier wieder zurückgekehrt. Sie betreiben das recht lukrative Geschäft, die einzigen passablen Gastwirte. Geschäftsleute und Mechaniker in der immer noch halb ausgestorbenen Stadt zu sein.

Draußen, in den Hütten der Vororte, drängen sich hingegen jene Einheimischen zusammen, die auf der Flucht aus umkämpften Gebieten hier eine relative Sicherheit gefunden haben. Diese erythräischen Zaungäste leben in ihren Baracken erstaunlich sauber und befleißigen sich gewinnender Gastfreundschaft.

Während der traditionellen Zeremonie der Kaffeebereitung aus grünen Bohnen, die erst auf Holzkohle geröstet und dann gemahlen werden müssen, erzählt die Sippenchefin Negesti in gutem Arabisch vom Leidensweg und den Zukunftshoffnungen ihres Volkes. Nicht nur die Muslimen, auch die erythräischen Christen äthiopischer oder katholischer Konfession wollten von Addis Abeba im Grunde nichts wissen, mag dort nun ein kaiserliches oder ein revolutionäres Regime sitzen. Der Traum ist nach wie vor ein eigenes Staatswesen, das sich mit dem Sudan, Saudi-Arabien und dem Jemen vorteilhaft zu einer Rotmeerföderation zusammenschließen könnte. Immer weniger Erythräer seien jedoch nach der Enttäuschung vom Vorjahr bereit, für diese Ideale die Waffen zu ergreifen.

Damit wäre also Erythräa wieder an genau demselben Status angelangt, dessen Liquidierung 1962 zum Auftakt für nun bald fünfzehnjährige Unrast geworden ist.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Erythräa mit Äthiopien, das als Verbündeter der Siegermächte nach einem Zugang zum Roten Meer drängte, auf konföderativer Basis vereinigt. Dem Land blieb nach 1952 eine gewisse Autonomie und die Zentralregierung in Addis Abeba war nur für Erythräas Verteidigung, für die gemeinsame Außenpolitik und für Finanzfragen zuständig.

Schon bald darauf kam es aber zu Differenzen zwischen den kaiserlichen Statthaltern und der Regionalregierung von Asmara. 1961, als sich Erythräa noch seiner Selbstverwaltung erfreute, entstand sodann die für die volle Unabhängigkeit von Addis Abbeba eintretende „Erythräische Befreiungsfront“ (ELF). Sie rekrutierte ihre Gefolgschaft vorwiegend unter den Tigrin-ja-sprechenden Muslimen der Küstenebenen und -berge, während die christlichen Trigreaner des erythräischen Hochlandes noch treu zu der — einer Legende zufolge — bereits in Axum an der Macht befindlichen „Salomonischen Dynastie“ hielten.

Im Vertrauen auf die volle Loyalität dieser Bevölkerungsgruppe, als Reaktion auf den Unabhängigkeitsappell der ELF und vor dem Hintergrund des panarabischen Griffes Abdel Nassers nach dem gegenüberliegenden Jemen wurde Erythräa 1962 voll in das äthiopische Kaiserreich integriert. Dieser Schritt wurde Immerhin von der sich im Anschluß daran auflösenden „Erythräischen Nationalversammlung“ in Asmara gebilligt.

Fand die ELF nach ihren eher bescheidenen Anfängen nun erst recht Zulauf, so lebte sie in den ersten Jahren fast ausschließlich von sudanesischer Unterstützung, die sich immerhin in einigen Propagandaerfolgen niederschlug. Vorübergehend wurden die Rebellen später auch von Syrien, dem Irak und Libyen unterstützt, doch waren es dann nach 1973 die arabischen ölstaaten mit Saudi-Arabien und Kuwait an der Spitze, die den Siegeszug der ELF bis vor die Tore Asmaras möglich machten. Mit dem Ausbleiben dieser massiven Unterstützung ist die Freiheitsbewegung zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken und macht nur noch durch vereinzelte Entführungen oder nächtliche Überfälle von sich reden. Nur ein von allen Seiten einsetzender nationaler und politischer Zerfall Äthiopiens im Zeichen des Widerstandes gegen die revolutionäre Zentralverwaltung könnte heute noch Erythräas Weg in die Unabhängigkeit ebnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung