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Die Rettung im Sterben

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Der Mensch ist mitten im Leben mit seinem Tod konfrontiert und steht damit, ob er es verdrängt oder vorläßt und annimmt, vor der Frage, die ihn als ganzen betrifft. Die dem Tod eigentümliche Negativität zieht den ganzen Raum unserer freiheitlichen Humanitätsverwirklichung mit allen möglichen Sinnerfüllungen in eine letzte Fraglichkeit und macht die Bodenlosigkeit unseres Daseins im ganzen offenbar.

So „weiß“ der Mensch in der Todesbetroffenheit radikal um

die Unverfügbarkeit eines letzten Daseinssinns. Das paulinische „Ich sterbe täglich“ ist eine tiefe Wahrheit. Es ist der Wahn aller Ideologien, diese Offenheit der menschlichen Sinnfrage von innerweltlichen Prämissen her rational schließen, die Selbstentzo- genheit des Menschen negieren und ihn selbst für welche Zwecke auch immer verfügbar machen zu wollen.

Weil der Mensch seinen Tod vorwegnimmt, hat auch nur er ein „Unsterblichkeitsproblem“. Es finden sich auch überall in der Menschheitsgeschichte schon Zeichen der Hoffnung — Signale einer Freiheit, die nicht im Endlichen erstickt, was freilich die Frage aufwirft, woher denn der Mut solcher Hoffnung eigentlich lebt.

Die christliche Hoffnung weiß sich in ihrer sinngebenden Kraft von der biblischen Heilsgeschichte her eröffnet, in der Gott der Menschheit in oft schmerzlicher Läuterung allmählich zum Bewußtsein bringt, daß und wie alle innerweltlichen Heilserwartungen zerbrechen müssen, weil nur er selbst und nichts Endliches die erfüllende Wahrheit des Menschen sein kann.

Eben diese göttliche Selbstmitteilung, in der das Endliche als letzter Horizont vergeht und Gott selbst die wahre Wesenszukunft des Menschen und seiner Welt wird, ist der zentrale Sinn seiner geschichtlichen Offenbarung in Jesus Christus. Sie ist „Heilsoffenbarung“, die dem Menschen als ganzen zur sinngebenden Antwort wird. Nicht ein „Wort“ nicht ein abstraktes „Gesetz“—ein individueller Mensch ist diese Offenbarung.

Solange Gott sozusagen noch vor der Todesschwelle „redet“ und verheißt und den Tod selbst noch nicht in seine Offenbarung aufgenommen hat, kann ihn auch der geschichtliche Mensch noch nicht bestimmt als den hoffen, der im Sterben die Rettung, im Untergang des Endlichen der Aüfgang der wahren Wesenszukunft ist. Der Gekreuzigte und der Auferstandene - das ist der „Sieg“ Gottes in unserer Daseinsentfremdung und zugleich und darin seine unwiderrufliche Heilsverheißung an die Menschheit.

Was diese Hoffnung selber ist,

was in ihr geschieht, welchen tragfähigen Sinn sie den Menschen auch schon für dieses Leben ergreifen läßt, kann deshalb nicht mehr von den endlich-verfügbaren Sinnmöglichkeiten des Menschen her eingesehen und gemessen werden. Diese Hoffnung ist der durch Gott selbst ermächtigte und getragene Mut, die letzte Sinnfrage unseres Daseins, Sein oder Nichtsein, an Gott selbst vertrauend aufzugeben und die daraus erwachsende Freiheit in der Welt zu leben. Hoffnung in diesem Sinn wäre jener Grundakt der Freiheit, in dem ein Mensch seine innerweltlich entfremdete, zerrissene, schuldige Lebensgestalt in einem vertrauenden Aufschwung Gott selbst anheimgibt.

Man hüte sich vor einem „Pela- gianismus“ der Gnade, der von endlichen Gerechtigkeitsmaßstäben her Kriterien für das göttliche Erbarmen zu holen sucht. Gottes erwählende Gnade bindet sich nicht kurzschlüssig an endliche Qualitäten bzw.- Vorzüge, auch nicht an das moralische „Niveau“ eines Menschen.

Die Rede vom „ewigen Leben“ ist nun die Sprache dieser Hoffnung und so grundverschieden von einer heilsneutralen (den Vollzug der Hoffnung selbst eliminierenden) Jenseitsspekulation. Wer diese unsere todesfällige Innerzeitlichkeit über den Tod hinaus verlängert und sich das „ewige Leben“ trivial als eine Art Weitererstreckung derselben vorstellt, sieht freilich nicht, daß diese Innerzeitlichkeit im Tod zugrunde geht.

Im Begriff des „ewigen Lebens“ geht es um jene heilshafte Rettung, als die die Hoffnung Gott selbst zu hoffen wagt. Sie hofft nämlich, daß das konkrete Leben eines leiblichen Individuums mit seiner einmalig gewordenen Geschichte und allem, was als natürliche und geschichtliche Mitwelt dazugehört, in die frei gewährte göttliche Selbstmitteilung eingeht und darin seine wahre Vollendung findet.

Alles, was hier des Menschen Tat und Schicksal ist, seine Anläufe zum Guten ebenso wie das Scheitern, das Leben mit seinen Zweideutigkeiten, Dunkelheiten und Leiden# soll eingebracht, geläutert und verwandelt werden. Dann soll auch die Schuld eine „felix culpa“ und so noch einmal die Verherrlichung der Gnade Gottes selber sein.

Alle Ausgriffe nach Gott, die im alltäglichen Leben mehr oder weniger glücken mögen, werden umgeschlagen haben in ein ursprüngliches und alle innergeschichtlichen Wege umfangen habendes Erkanntsein durch Gott selbst (1 Kor 13,12). Der dieser Innerzeitlichkeit vorhergehende und sie umgreifende erwählende Wille Gottes, in der Zeit verborgen und der Sprache des Zweifels ausge- _ setzt, wird eindeutig offenbar sein.

Der Verfasser ist Vorstand des Instituts für Fundamentaltheologie der Kath.-theol. Fakultät der Universität Wien.

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