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Die Revolution der Barfußigen

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Die Entwicklungspolitik der letzten 20 Jahre ist gescheitert. Zu diesem Ergebnis kommt der Club of Rome in seinem jüngsten Bericht - und zeigt zugleich einen Ausweg.

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Die Entwicklungspolitik der letzten 20 Jahre ist gescheitert. Zu diesem Ergebnis kommt der Club of Rome in seinem jüngsten Bericht - und zeigt zugleich einen Ausweg.

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In den siebziger Jahren ist die Lebensmittelproduktion in Afrika je Einwohner um 1,4 Prozent zurückgegangen. In den sechziger Jahren konnten sich die Afrikaner, was die Ernährung betrifft, noch zu 98 Prozent selbst versorgen, heute nur noch zu 86 Prozent. Zwischen 1970 und 1980 haben die Lebensmittelimporte der afrikanischen Staaten pro Jahr um jeweils 8,4 Prozent zugenommen.

Laut FAO, der Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, müssen derzeit rund zwei Milliarden Menschen, das sind 40 Prozent der Weltbevölkerung, fast mittellos, schlecht ernährt, ungenügend versorgt und ohne jede Ausbildung dahinvegetieren.

Das Bevölkerungswachstum in den Ländern der südlichen Hemi-Sphäre geht indes ungebrochen weiter, zu den hohen Geburtenziffern kommt jetzt in vielen Ländern eine stark fallende Sterblichkeitsrate. Der Anteil der südlichen Länder an der Weltbevölkerung betrug 1981 bereits 74 Prozent (1955 noch 68 Prozent). Bis zum Jahr 2025 werden die Länder des Südens 85 Prozent der Erdenbewohner stellen.

Diese trockenen Zahlen illustrieren zweierlei: einmal die zunehmende Kluft zwischen Nord und Süd, was die Produktion und Verteilung der Güter dieser Erde anlangt, zum andern den Fehlschlag, ja das Versagen aller bisherigen Entwicklungsprojekte für die Dritte Welt.

So konstatiert denn auch der Club of Rome in seinem jüngsten Bericht „das Scheitern der Entwicklungspolitik der letzten zwanzig Jahre“: zu viele industrielle Großprojekte nach westlichem Vorbild, die völlig ungeeignet für die Bedürfnisse der Bevölkerung in der Dritten Welt sind; viel investiertes Geld, aber nur zugunsten weniger; eine Entwicklungspolitik, die frontal mit den örtlichen und nationalen Strukturen und Kulturen zusammenprallte und eine Abwehrreaktion seitens der Bevölkerung ausgelöst hat, für deren Nutzen sie eigentlich bestimmt war.

Exemplarisch für das Scheitern von Großprojekten in der Entwicklungspolitik sind die Folgen der Errichtung der großen Staudämme. Die meisten von ihnen, so auch Experten der Interamerikanischen Entwicklungsbank, haben gerade das Gegenteil von dem erreicht, worauf ihre Erbauer ursprünglich abzielten.

Am Beispiel des Assuan-Stau-damms in Ägypten: Beabsichtigt war, die jährliche Nil-Uber-schwemmung unter Kontrolle zu bringen und durch Bewässerung neue Anbauflächen zu gewinnen. Tatsächlich hat die Fruchtbarkeit des Ackerbodens stark abgenommen, die Sardinenindustrie mit ihrer wichtigen Eiweißstoffproduktion wurde praktisch vernichtet.

Viele ehrgeizige Prestigeprojekte stehen heute in den Ländern der Dritten Welt, von Raffinerien über Stahlwerke bis zu Zuckerrohrplantagen zur Biospriterzeugung, nur: an der tristen Situation der unterentwickelten Länder und ihrer Bevölkerung haben sie nur wenig ändern können.

Dagegen stellt der Club of Rome die Parole „small is beautiful“ als Leitlinie für ein neues Entwicklungskonzept, örtliche Initiativen mit intensiver Beteüigung der Betroffenen von Anfang an, sogenannte Mikroprojekte, zeigen möglicherweise einen Weg aus der Sackgasse bisheriger entwicklungspolitischer Maßnahmen, so das Urteil des Club of Rome.

Eine besondere Rolle spielen dabei die sogenannten Nichtstaatlichen Organisationen, die sich zumeist aus ethischen, humanitären oder religiösen Beweggründen der Entwicklungshilfe verschrieben haben. In den industrialisierten Ländern konzentrieren sich etwa 2.230 Nichtstaatliche Organisationen (NSO) auf Entwicklungsprobleme, zumeist schon seit vielen Jahren. In Österreich zählen dazu der österreichische Entwicklungshelferdienst (OED), das Institut für Internationale Zusammenarbeit (HZ) und die Caritas.

Auch in den Dritte-Welt-Ländern selbst ist in allerletzter Zeit ein regelrechter Boom solcher Nichtstaatlicher Organisationen festzustellen, teils als Ergebnis und Weiterführung der Arbeit der Organisationen aus den Industrieländern, teils auch als Ergebnis lokaler Initiativen selbst.

Diese Entwicklungshilfeorganisationen arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, aber eines ist ihnen allen — zumindest seit Beginn der siebziger Jahre — gemeinsam: sie konzentrieren sich auf Kleinprojekte in Dörfern, leiten dort die Bauern zur Selbsthilfe an, schaffen gemeinsam mit ihnen die Voraussetzungen zur Deckung der Grundbedürfnisse und geben ihnen Ansporn und Möglichkeit für eigene Aktivitäten.

Nicht der passive Almosen- und Hilfsgüterempfänger, der seinen Fatalismus angesichts einer scheinbar aussichtslosen Situation „kultiviert“, sondern der aktive Bauer, der trotz seiner Ausgangslage sein Schicksal zum Besseren verändern will, steht im Zentrum der Bemühungen.

Um ein deutlicheres Bild über die Arbeit, über Erfolge und Mißerfolge dieser Entwicklungsarbeit im Kleinen, die die Nichtstaatlichen Organisationen leisten, zu gewinnen, hat der Club of Rome zwischen September 1983 und Jänner 1985 in 19 Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens insgesamt 93 solcher Mikroprojekte vor Ort unter die Lupe genommen.

Im großen und ganzen fällt die Bilanz eindeutig positiv aus: „Die Ergebnisse der NSO, wie wir sie global beurteilt haben, sind weitaus zufriedenstellender, als es bisher den Anschein hatte“, resümiert der Autor des Berichts an den Club of Rome, Bertrand Schneider. Allerdings schränkt er gleichzeitig auch ein, „daß - gemessen an der Zielgruppe von zwei Milliarden Bauern, um die es bei der weltweiten Entwicklung geht - die Zahl von hundert Millionen Dorfleuten als bisherige Nutznießer der Bewegung noch sehr bescheiden anmutet.“

Der Bericht endet mit der Auf forderung an die Regierungen in Nord und Süd, ihre staatlichen Entwicklungshilfestrategien angesichts ihres oftmaligen Scheiterns zu überdenken. Die Orientierung der Entwicklungspolitik an der Arbeit der Nichtstaatlichen Organisationen würde beiden Seiten helfen. Die NSO könnten eine umfangreichere Rolle einnehmen, wenn ihnen nur jenes Geld zur Verfügung gestellt wird, das jetzt noch von den Staaten in fruchtlose Entwicklungshilfe-Großprojekte gesteckt wird.

Die Zeit drängt. Wenn es uns nicht noch in diesem Jahrtausend gelingt, die Kluft zwischen Nord und Süd zu überbrücken, bleibt — so die düstere Vision des Club of Rome — den Barfüßigen nur noch > der Umsturz der Weltordnung mit Gewalt. Die Revolution der Barfüßigen würde dann in einem globalen Krieg enden.

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