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Die revolutionäre Lebenstat Jesu

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Jesus C hr i stus hat d i e Menschheit von dem Urdilemma des gleichzeitig zu liebenden und zu fürchtenden Gottes befreit und den Dialog mit dem Vater im Himmel vorgelebt.

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Jesus C hr i stus hat d i e Menschheit von dem Urdilemma des gleichzeitig zu liebenden und zu fürchtenden Gottes befreit und den Dialog mit dem Vater im Himmel vorgelebt.

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Wie jedes Zwiegespräch beginnt auch der Lebensdialog Jesu mit einer Frage, die ihm nach Ausweis der lukanischen Szene mit dem Zwölfjährigen im Tempel der Zwiespalt seiner Zugehörigkeitsgefühle auspreßt. Denn das fortbestehende Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Familie wird dem Höhepunkt der Szene zufolge überlagert von

einer neuartigen Zugehörigkeit, die sich in der Rückfrage Jesu auf den Vorwurf der Mutter niederschlägt: „ Wußtet ihr nicht, daß ich dorthin gehöre, wo mein Vater ist?" (Lk 2,49). Diese Spannung verfaßt sich in ihm unabweislich zu der Frage, die er wie jeder andere, nur mit unvergleichlich größerer Dringlichkeit und Radikalität stellt: Wer bin ich? Vor dem Hintergrund dieser Frage gewinnt der Zuspruch der Himmelsstimme bei der Taufe Jesu eindeutig den Charakter einer das Fragevolumen randvoll erfüllenden Antwort: „Du bist mein geliebter Sohn; dich habe ich erwählt." (Mk 1 , 1 1) ...

Auf die Frage nach dem Fortgang dieses Lebensdialogs wird man sich im Blick auf die Versuchungsgeschichte zunächst vergegenwärtigen müssen, daß Jesus im Widerstand gegen alle Verlockungen den schweren Weg zu den Menschen wähM. Deswegen J:?.esteht ,seine „;Antwort" auf den nm der RimmelsStirtüne in erster Linie·Ui der Umsetzung dessen, was in seinem Herzen brennt, also seines Wissens um die Gottessohnschaft, in eine für Menschen hörbare Botschaft.

Hier kommt, für die theologische Fragestellung ganz ungewohnt, die Sprachleistung Jesu ins Visier, die in letzter Hinsicht darin besteht, daß er seine liebende Selbstübereignung zu einem - von den johan-

neischen lch-bin-Worten gespiegelten, jedoch in ihrem „Originalton" wohl aufgrund medialer Restriktionen nicht erhaltenen - Sprachereignis werden läßt und dadurch die Menschheit dazu bringt, von der Sprache einen rückbezüglichen, konfessorischen Gebrauch zu machen. Nicht weniger bedeutsam ist jedoch die seinen - ebenso unableitbaren wie unnachahmlichen - Gleichnissen zugrunde liegende Sprachleistung, die einem buchstäblichen Schöpfungsakt gleichkommt ...

Indessen besteht die zentrale Antwort Jesu auf den an ihn ergangenen Gottesruf in dem, was als seine revolutionäre Lebenstat zu gelten hat. Denn Jesus führte dadurch die größte Revolution der Religionsgeschichte herbei, daß er die Menschheit von dem Urdilemma des gleichzeitig zu liebenden und zu fürchtenden Gottes befreite, daß er also, konkre????er ausgedrüc!t t, _ qen Schatten det Apgstund Gr;menerregenden aus . dem Bild Gottes tilgte und darin das Antlitz des bedingungslos liebenden Vaters zum Vorschein brachte. Das bewirkte er mit dem Wagnis, Gott anstatt mit der Unterwürfigkeitsformel „Herr" mit dem Zärtlichkeitsnamen „ Vater" anzureden. Mit diesem Wort durchbrach er den Ring der Unnahbarkeit, der sich um das Gottesgeheimnis legte; mit

diesem Wort verschaffte er sich - und den Seinen - Zugang zum Herzen Gottes.

Daran wird Paulus anknüpfen, wenn er an zentralen Stellen seines Briefwerks (Gal 4,6 und Röm 8,15) das inwendige Walten des Gottesgeistes beschreibt. Die mit einer Absage an eine Religiosität der Furcht und Heteronomie einherge:.. hende Römerstelle lautet: „Ihr habt doch nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, so daß ihr euch aufs neue fürchten müßtet, sondern den Geist der Sohnschaft, in dem wir rufen: Abba, Vater! " (Röm 8, 15) Wenn die Selbstvergegenwärtigung Jesu in dieser Zeit als realisierte Utopie bezeichnet werden kann, dann beginnt die Erfahrung dieses Ereignisses hier, im Erlebnis der geistgewirkten Befreiung von den Fesseln der Angst, zumal in ihrer Radikalform als Gottesangst, und in der Erhebung des Befreiten zum Stand der Gotteskindschaft.

Dem entspricht im Ganzen der Selbstdarstellung Jesu eine dritte Umsetzung: die Proklamation des Gottesreichs durch seine Wundertätigkeit. In ihrer Ursprungsgestalt begriffen wollen seine Wunder nichts beweisen, sondern in der Eindringlichkeit der „Tatsprache" verdeutlichen, daß Gott die Hand an die Wurzeln der Dinge gelegt, den Mächten des Verderbens Einhalt geboten und im Wirken Jesl,l den Anfang mit der endzeitlichen NeuordnungderWeltgemachthat. Deshalb hält Jesus den Gegnern, die ihn des Satansbündnisses bezichtigen, entgegen: „Wennichdm:chden Finger Gottes die Dämonen. austreibe, ist das Reich Gottes in Wahrheit schon zu euch gekommen" (Lk 12,20). Doch eben damit, daß Jesus seine Antwort auf den an ihn ergangenen Zuspruch nicht nur an Gott, sondern auch, seiner Bestimmung gemäß, an die Menschen richtete, beginnt das Drama, um nicht zu sagen, die Tragödie seines

Lebensdialoges. Denn in der Stunde, in der er seine Botschaft mit ' dem Satz „Ich bin das Brot des Lebens" (Job 6,35.49) auf die denkbar eingängigste Formel bringt, erleidet er den größten Rückschlag seines Wirkens, artikuliert in dem zum Massenabfall aufreizenden Wort: „DieseRedeisthart; werkann sich so etwas anhören" (Joh 6,60).

Nach dem von Martin Buher erschlossenen Sinn des Parallelberichts in Gestalt der Jüngerbefragung bei Cäsarea Philippi (Mt 16, 13-19) wirft diese Reaktion Jesus mit niederschmetternder Wucht auf seine fragende Ausgangsposition zurück. Da sich ihm mit dem Sinn seiner Sendung auch d:er seiner selbst bis zur Unkenntlichkeit verdunkelt, da aber, anders als bei der Taufe, der Himmel schweigt, wendet er sich mit der keineswegs didaktisch gemeinten, sondern aus tiefster Hetzensnot gestellten Frage an die Jünger: „Für wen haltet ihr mich?" (Mt 16,15)

ln diesem Augenblick ereignete sich der wunderbarste Erweis der von Jesus je erfahrenen Mitmenschlichkeit. Anstelle des schweigenden Himmels, aber ganz im Sinne dessen, was er zu sagen hätte, ergreift der Jünger das Wort und versichert: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! " (Mt 16,16)

Und Jesvs bestätigt ihm sogar in aller Form, daß er in diesem Zuspruch die Stimme des „ Vater5, der im Himmel ist", vernahm. Doch das ist dann auch die letzte Aufhellung einer sich zusehends und schließlich tödlich verdüsternden.Szene.

Zuletzt, hilflos am Kreuz hängend, bleibt ihm nurnoch der unartikulierte Todesschrei, der in seiner Ausdeutung durch das Eingangs- · wort des 22. Psalms Joseph Bernhart vor die Frage stellte, warum er gerade jetzt, in der Todesstunde - „ wie jedes Geschöpf in Not" - nach Gott und nicht, wie es doch seiner ureigenen Lebensleistung entsprochen hätte, nach seinem „Vater" schrie. Die Lösung findet sich in der Versicherung des Hebräerbriefs,. daß das „ unter lautem Wehgeschrei und Tränen" an Gott gerichtete De . profundis Jesu „erhört" und daß der Sterbende „aus seiner Todesnot befreit" worden sei (Hehr 5,7).

Somit bleibt der Todesschrei Jesu nicht illibeantwortet. Nure:{ltsprach · seineErhönmjf nicht mensclii iCher Heils- und Hilfserwartung; vielmehr antwortete Gott auf den Notschrei des Gekreuzigten durch und mit sich selbst, also dadurch, daß er den sterbenden in seine Lebensfülle aufnahm. Das aber besagt, daß das GottesverhältnisJ esu am Kreuz seine letzte Steigerung und Vollendung erfuhr. Sterbend holte er endgültig ein, was er aufgrund seiner Gottessohnschaft von Ewigkeit her war. Und deshalb hat der Todesschrei als die äußerste, die Artikulationsgrenze übersteigende Steigerung des Abba-Rufs zu gelten, mit dem er sich nun definitiv Zugang zum Herzen Gottes verschafft. In dieser Erkenntnis gipfelt die „akustische Biographie" und „dialogische Lebensgeschichte" Jesu ...

Was das dialogische J esusbild für die Glaubensfrage bedeutet, sagt, ebenso bewegend wie unmißverständlich das johanneische Schlüsselwort: „Nicht mehr Knechte nen..: ne ich euch; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Freunde habe ich euch vielmehr genannt, weil ich euch alles gesagt habe, was mir von meinem Vater mitgeteilt worden ist" (Joh 15,15). Denn in diesem Wort verbindet sich die Absage an eine Religiosität der Heteronomie mit der Eröffnung einer Dimension, die dem Glauben den Charakter einer - durch Jesus vermittelten - Einweihung ins Gottesgeheimnis verleiht.

Glauben ist, so gesehen, ein Initiationsgeschehen zu dem Ziel, zur Mitwisserschaft mit dem ins Got- . tesgeheimriis eingeweihten Offenbarer des Vaters zu gelangen. Anders als auf der Stufe der heteronomen „Knechtschaft" ist Glaube jetzt ein lebenslang unabgeschlossenes Gott-Verstehen, also der stets neu ansetzende Versuch, sich das, was durch Jesu Wort und Schweigen, Handeln und Leiden, zumal aber durch seine Auferstehung von und über Gott „gesagt" ist, verstehend anzueignen. Dazu verhilft der Aspekt des „Freundes", zu dem sich

der des „Helfers" nunmehr klärt . . . Indessen erzwingt die gegenwärtige Kirchenkrise eine dritte Sicht. Durch die - trotz des vom Zweiten Vatikanum eingeführten DialogPrinzips - immer noch fortbestehende einseitige Kanalisierung des innerkirchlichen Informationsstroms entstand ????in kommunikatives Defizit, weil dem „Wort von oben" keine Instanz entsprach, die über seine Rezeption hätte wachen können. Die Frage, ob und wie es verstanden würde, blieb ebenso wie lie nach seiner Annahme offen. Hier bedurfte es somit einer Instanz von gleichem Gewicht wie die Autorität, in deren Namen die Kirche sprach.

Zum gleichen Desiderat führt, mit David Riesman gesprochen, die übergewichtige „Außenlenkung" gegenüber dem unabweislichen.

Bedürfnis des heutigen Menschen nach Selbstbestimmung und „In- . nenleitung", gerade auch in seinem religiösen und sittlichen Verhalten. Wenn es hier zu keinem aggressiven Gefühlsstau kommen soll, bedarf es wiederum eines inneren Gegengewichts vom Rang jener siimme, die Nikolaus von Kues-als mystischen Identifikationsimpuls - in der Tiefe seines Herzens vernahm: „Sei dein eigen; dann bin auch ich dein eigen! " In dieser Stimme meldet sich, nur akustisch, die gesuch-· te Instanz, von der allein eine Cegensteuerungzur bestehenden Einseitigkeit zu erwarten ist. Doch worin besteht sie?

Aus augustinischer Sicht lautet die Antwort: in dem „inwendigen Lehrer", dem Magister illterior, den Augustin in seinem Dialog „De Magistro" mit dem im inneren Menschen wohnenden Christus gleichsetzt und von dem er die geistige Aneignung dessen erwartet, was in Gestalt von äußeren Zeichen an jeden Menschen herantritt. Damit. nimmtAugustinim Grundenureine bereits vom Neuen Testament ausgelegte Spur atif. Dort ist zunächst eher sachlich von der „Salbung" die Rede, deren Empfänger „ von niemand belehrt" zu werden brauchen (1 Joh 2,20.27)...

Doch damit ist nicht nur die Instanz gefunden, welche die kopflastigen Verhältnisse im kirchlichen Binnenraum ins Gleichgewicht bringt, sondern zugleich das Prinzip jener mystischen Glaubens-und Gebetsform, der nach Karl Rahner die Zukunft gehört; denn der Christ von morgen wird seiner Ankündigung zufolge „ein Mystiker oder überhaupt nicht sein".

Auszug aus dem Referat des ehemaligen Inhabers des Guardini-Lehrstuhls in München 0974-1986) zum Abschlußder 39. Jntemationalen Pädagogischen Werktagung {16. bis 20. Juli 1990) in Salzburg.

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