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Die Rezepte aus den Schubladen

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Ein Rückblick am Beginn einer lockeren Serie über die Zukunft der österreichischen Industrie zeigt: Vieles hat sich in diesem Wirtschaftsbereich nicht so entwickelt, wie es diverse Parteiprogramme vorsahen.

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Ein Rückblick am Beginn einer lockeren Serie über die Zukunft der österreichischen Industrie zeigt: Vieles hat sich in diesem Wirtschaftsbereich nicht so entwickelt, wie es diverse Parteiprogramme vorsahen.

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Amüsant, wenn auch nicht besonders überraschend ist, zu sehen, wie wenig sich politische Parteien in der Realität des politischen Alltags an ihre eigenen Konzepte halten. Erstaunlich — und beunruhigend — ist aber, wie aktuell viele der vor fast zwei Dezennien angestellten Analysen beziehungsweise die darauf aufbauenden Maßnahmen-Kataloge im Bereich Industriepolitik sind.

Haben unsere Regierungen, obwohl sie offensichtlich wußten, wo der Wurm sitzt, 20 Jahre ungenützt verstreichen lassen?

Im selben Jahr, nämlich 1968, veröffentlichten die ÖVP, damals allein an der Regierung, den „Koren-Plan“ und die SPÖ ihr oft zitiertes Wirtschaftsprogramm. Ausgangspunkt für die Betrauung des damaligen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt und nachmaligen Finanzministers Professor Stephan Koren mit der Ausarbeitung eines neuen wirtschaftspolitischen Konzepts waren die im Zuge der Rezessionserscheinungen des Jahres 1967 deutlich zutage getretenen „Mängel und Schwächen in der österreichischen Wirtschaftsstruktur“.

Für besonders alarmierend hielt die Regierung Josef Klaus damals die Entwicklung der Industrie-Investitionen: 1967 erreichten die Investitionen der Industrie nicht mehr das Niveau von 1961. Der Anteil an den gesamten Brutto-Investitionen ging darüber hinaus um die Hälfte auf rund 13 Prozent zurück. „Diese seit sechs Jahren anhaltende Investitionsschwäche der Industrie zählt zu den ernstesten Problemen der österreichischen Wirtschaft. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind bisher sicher nur zum geringen Teil spürbar geworden. Perioden unzureichender Investitionstätigkeit wirken sich erfahrungsgemäß nicht unmittelbar, sondern auf lange Sicht in Kapazitätsengpässen, verminderter Konkurrenzfähigkeit, unzureichender Anpassung der Produktionsstruktur und verminderten Wachstumschancen aus“ (Zitat Koren-Plan).

Viele der daraufhin zur Abhilfe

ausgearbeiteten Vorschläge Stephan Korens wurden tatsächlich verwirklicht. Oft freilich erst von sozialistischen Ministern, die dann geflissentlich den eigentlichen Erfinder unter den Tisch fallen ließen. So schlug Koren unter anderem folgende wachstums-und strukturpolitische Maßnahmen vor:

• Änderung des Kartellgesetzes und der Gewerbeordnung in Richtung Verstärkung des Wettbewerbs;

• Schaffung einer Investitionsbank für langfristige Finanzierung größerer Vorhaben (heute im wesentlichen die TOP-Kredit-aktion der Investkredit AG);

• Gründung einer Beteiligungsgesellschaft, die Anteile an entwicklungsfähigen Unternehmen erwirbt und nach Konsolidierung der Unternehmen wieder abgibt (ist erfolgt);

• Schaffung eines Entwicklungsund Erneuerungsfonds (erfolgt);

• Erleichterung der Umwandlung und Verschmelzung von Un-

ternehmen (erfolgt);

• Aufnahme von Bedingungen in Bauverträgen zur Abgeltung von Wintermehrkosten und Forcierung der Instandsetzungsarbeiten in den Wintermonaten (ähnliches wurde kürzlich von Minister Ubleis angekündigt — gut Ding braucht eben Weile!).

Ziemlich einig mit Koren war sich die damalige Oppositionspartei SPÖ bei der Analyse des Ist-Zustandes der österreichischen Industrie des Jahres 1968: „Die Rezessionserscheinungen der letzten Jahre haben die Strukturmängel der österreichischen Wirtschaft erkennen lassen“ (Bruno Kreisky im Vorwort des Wirtschaftsprogramms). Als Gründe für die Schwächen orteten die SPÖ-Experten (federführend: Ernst Eugen Veselsky, Heinz Kienzl, Josef Staribacher, Felix Butschek) damals:

• konventionelle Fertigungen zu stark vertreten (heute würde man sagen: zu wenig „high tech“);

• zu wenig Konzentration;

• zu wenig Kooperation;

• Rückstand bei Forschung und Entwicklung;

• zu wenig moderne Betriebsführung, selbst bei Großbetrieben fehlt langfristige Personalpolitik.

Anders als Stephan Koren, der 1970 in die Opposition mußte, hätten Bruno Kreisky und sein Team freilich Zeit genug gehabt, ihre Vorschläge auch zu verwirklichen. Aber bereits die erste angeblich unabdingbare Forderung für eine moderne Wirtschaftspolitik (siehe Kasten SPÖ-Pro-gramme), die Schaffung eines Wirtschaftsministeriums verstaubte in der Schublade. Zu wenig „high tech“ ist auch heute noch das große Problem unserer Industriestruktur, und auf unseren Rückstand bei Forschung und Entwicklung hinzuweisen wird die Industriellenvereinigung auch im Jahre 1986 nicht müde. Ein Kommentar zum Thema „moderne Betriebsführung“ und „langfristige Personalpolitik“ er-

übrigt sich angesichts der aktuellen Vorgänge in der Verstaatlichten Industrie.

Auch bei der 1968 getroffenen Programm-Feststellung „Die ÖIG (die spätere ÖIAG, Red.) hat sich angesichts der schwierigen und umfangreichen Koordinationserfordernisse bisher als zu schwaches Instrument erwiesen. Ihre Funktion als Koordinator in-

nerhalb der verstaatlichten Industrie soll gestärkt werden“, fällt einem nach dem jüngsten Debakel das Lachen schwer.

Warum erst Bautenminister Heinrich Ubleis und nicht schon seine Vorgänger die Programmforderung, die Baunachfrage der öffentlichen Hand über das ganze Jahr gleichmäßig zu verteilen, erfüllte, steht in den Sternen. Dagegen hätte ja auch die ÖVP nichts einzuwenden gehabt.

Daß sie, sechs Jahre vor dem Erdölschock, die Zukunft der Erdölindustrie falsch einschätzten („Der steigende Bedarf rechtfertigt die Errichtung weiterer Raffineriekapazitäten ... Errichtung einer Raffinerie in der Steiermark ...“), wird man den Programmschreibern nicht vorwerfen dürfen. Auch nicht, daß wir heute die Forderung, die Republik Österreich müsse als Eigentümerin der Verstaatlichten „die gleichen Verpflichtungen auf sich nehmen, die von Eigentümern in der Privatwirtschaft verlangt werden“ anders verstehen, als sie damals gemeint war. Ihrer Partei muß man aber vorhalten, daß sie erst 18 Jahre später die Konsequenzen aus der Erkenntnis, daß die Wiener Aktienbörse für die Industriefinanzierung ausfällt, mit der Entschärfung der Besteuerung gezogen hat.

Bei der ÖVP folgten dem Koren-Plan 1972 das „Salzburger Programm“, 1974 „Qualitative soziale Marktwirtschaft“ und 1981 „So sichern wir Arbeitsplätze“, die zwar alle wirtschaftspolitische Aussagen, aber keinen speziellen industriepolitischen Teil enthielten. „Mehr Chancen, mehr Fairneß“ (FURCHE 8/1986) enthält einen sehr guten ausführlichen Abschnitt über Industriepolitik, ist aber zu jung (Februar 1986), um im Rahmen einer „Retrospektive“ betrachtet werden zu können.

Die SPÖ behandelte 1978 in ihrem Parteiprogramm die Wirtschaft nur sehr allgemein. Das Wirtschaftsprogramm „Österreich muß vorne bleiben“ (1981) enthält zwar einen Abschnitt über „Industrie und Gewerbe.“, schreibt dort aber im wesentlichen das Programm von 1968 fort.

Die „Liberale Marktwirtschaft 90“, das Wirtschaftsprogramm der FPÖ, hält hinsichtlich Alter nicht mit den hier ausführlich behandelten 68er-Programmen von ÖVP und SPÖ Schritt, wurde aber immerhin vor dem Regierungseintritt der Freiheitlichen verfaßt, was offenbar Grund genug

ist, jetzt schon gelegentlich dagegen verstoßen zu müssen (zum Beispiel bei der Zustimmung zum neuen ÖIAG-Gesetz, siehe Kasten). Ansonsten ist es strikt marktwirtschaftlich orientiert und liest sich so, daß auch die Vertreter des ÖVP-Wirtschaftsbun-des keine Gewissensbisse beim Unterschreiben hätten. (Zurückdrängen der Bürokratie und Verwaltung, Vorrang der Klein- und Mittelunternehmen, Reprivati-sierung etc.) Deshalb fragt man sich auch unwillkürlich: Wie kommt eine Partei mit diesem Wirtschaftsprogramm dazu, mit der SPÖ eine Koalition einzugehen ...

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