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Die Risse im Gebälk

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Alle Jahre wieder um diese Zeit ist im österreichischen Cartellver-band (ÖCV) außergewöhnliche Emsigkeit zu verspüren. Diese Hektik und Nervosität sind daraus zu erklären, daß einerseits die jährliche Gesamtversammlung (CW) des größten österreichischen Akademikerverbandes ihre Schatten vorauswirft, anderseits die Brisanz mancher Themen einen spannenden Ablauf dieser Versammlung erwarten läßt.

Die Anträge liegen bereits schriftlich vor und es zeigt sich, daß insbesondere die künftige Gestaltung der Verbandszeitschrift „Academia“ ein ernstes Anliegen zahlreicher Verbindungen ist. Gerade die Verbandszeitschrift gehört nämlich in letzter Zeit zu den sehr umstrittenen Einrichtungen des Verbandes — nicht nur, was die personelle Besetzung des Redaktionsstabes betrifft, sondern in erster Linie bezüglich der inhaltlichen Gestaltung, die sich — so meinen viele — vom ursprünglichen Gedanken eines Kommunikations-organes aus dem Verband und für den Verband zu einem Organ mit inhaltlichem Eigenleben entwickelt hat. Die Verfechter der „Academia“ führen dahingegen ins Treffen, daß es sich bei diesem Blatt um die wohl beste Studentenzeitschrift Österreichs handle und daß sie durch ihre „erfrischend offene und kritische Schreibweise“ versuche, ein intellektueller Sauerteig des CV zu sein.

Ein personelles Revirement an der Redaktionsspitze halten viele für sicher. Um so mehr, als Herausgeber und Chefredakteur bereits angedeutet haben, ihre Ämter zurücklegen zu wollen. (Gegner des CV reiben sich die Hände und sprechen von einer „Krise“, doch wird es zu einer Spaltung sicherlich nicht kommen, steht doch die heurige Jahresversammlung im Zeichen des 40jährigen Bestandes des österreichischen Car-tellverbandes. 1933 erfolgte im Zuge der politischen Ereignisse eine Trennung der österreichischen CV-Ver-bindungen von den deutschen und die Gründung eines eigenen österreichischen CV.) Man wird also be-

müht sein, eine einheitliche Linie zu finden.

Außerdem stehen neben der „Academia“ noch andere wichtige Tagesordnungspunkte zur Diskussion:

• Die Bildungsakademie des ÖCV ist in der Zeit ihres Bestehens zu einer anerkannten Institution geworden. Es ist zu erwarten, daß sie sich auf der kommenden CW als indiskutabel (im positiven Sinn des Wortes) präsentieren wird.

• Inzwischen wurde vom geistigen Vater der Bildungsakademie, Maximilian Liebmann, ein Antrag eingebracht, der den Informationsfluß im CV wesentlich steigern soll. Es handelt sich um die Errichtung von jeweils einem „CV-Forum“ an allen Hochschulorten Österreichs. Sinn dieser Einrichtung ist es, neben der bereits erwähnten Verstärkung des Informations- und Meinungsbildungsprozesses eine Plattform für Aktivitäten auf den Gebieten der Gesellschafts-, Hochschul- und Bildungspolitik zu schaffen.

• Neben einer Reihe anderer Diskussionspunkte dürfte vor allem eine Standortbestimmung des CV nottun. Noch immer haben sich gewisse Kreise des CV mit den geänderten politischen, gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen nicht abgefunden. Eine Tatsache, die einen Polarisierungsprozeß eingeleitet hat, der offensichtlich nicht emotionsfrei zu bewältigen ist. In diesem Sinne soll auch die kommende Vollversammlung nicht als Retrospektive, selbstgefällige Nabelbeschau oder gegenseitiges Aufreiben, sondern als zukunftsorientierte Diskussion verstanden werden.

Der CV, so führen Verbandsfunktionäre aus, habe im vergangenen Arbeits jähr bewiesen, daß einem Verband katholischer Akademiker sehr wohl eine besondere Bedeutung zukomme; Stellungnahmen, wie etwa zum Universitätsorganisations-gesetz, zur Strafrechtsreform (insbesondere zur Abtreibungsfrage), zum Entwurf der Abänderung des Eherechts oder zum österreichischen Synodalen Vorgang zeigen, daß der CV „präsent“ ist. Dennoch hat die Schlagkraft des Verbandes mangels einer allgemein anerkannten Ideologie (hier im Sinne von Selbstverständnis) stark gelitten.

Der CV, der sich heute der Öffentlichkeit präsentiert, habe, so meinen nicht nur Außenstehende, keine „Linie“. Das soll nicht etwa heißen, daß die CVer gleichgeschaltet werden sollen, sondern daß es im Verband offenbar zuviel Trennendes gibt — wobei Risse im Gebälk sich nicht auf den einfachen Nenner „Generationenkonflikt“ reduzieren lassen, obwohl zweifellos dieses Problem heute zahlreichen Verbänden zu schaffen macht.

Die CW wird Ende Mai jedenfalls zeigen, wie stark die Regenerationskräfte des Verbandes sind. Am guten Willen wird es nicht fehlen, denn die Funktionäre wissen, daß nicht nur die Mitglieder ihrer Organisation am Geschick (oder Mißgeschick) des Verbandes interessiert sind.

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