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Die „römischen Diebe" am Ende

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Die Wochenzeitschrift „L'Espresso" hat in der letzten Woche die richtige Wahlprognose gestellt: auf dem Titelbild, einer Karikatur, packt ein betagtes Orchester seine abgenützten Instrumente ein und kündigt an: „Si cambia musica."

Was der „L'Espresso" geahnt und viele Politiker, je nachdem, befürchtet oder erhofft haben, haben Italiens Wähler nun bestätigt: die alte Musik ist passe.

In Italien hat bei diesen Parlamentswahlen nicht nur eine Regierungskoalition die Mehrheit verfehlt. In Italien ist eine Ära zu Ende gegangen, die am 18. April 1948 mit dem Sieg der westlich ausgerichteten Demo-crazia Cristiana über die Kommunistische Partei begann - und so lange hielt wie der reale Sozialismus.

Das ist nun alles wie mit einem Schlag vorbei. Der Zusammenbruch im Osten hat offensichtlich auch die Schleusen im Süden geöffnet: die lange Jahre aufgestaute Verbitterung über Korruption und Parteienmißwirtschaft, über Klientelismus und moralischen Verfall, über Terrorismus und Kriminalität hat sich bei diesen Wahlen explosionsartig entladen und beinahe vergessen gemacht, daß die DC und ihre Regierungspartner Italien in den letzten Jahrzehnten immerhin auch aus einem Entwicklungsland zur fünftgrößten Industrienation der Welt emporbrachten.

Das fällt aber, vorerst wenigstens, kaum ins Gewicht. Was für den Mann der Straße zählt, sind die Probleme, mit denen er sich täglich herumschlagen muß: Bürokratismus, Steuerdruck, Einwanderer aus der Dritten Welt, Parteien willkür bei Posten- und Wohnungsvergabe.

Das Ergebnis liegt seit Montag vor: ein neues Parlament mit „polnischen" (so hieß es am Montag häufig in Rom) Merkmalen. Ein extremes Verhältniswahlrecht, von dem alle Parteien seit Jahren behaupten, es abändern zu wollen, versperrt kaum einer Partei den Weg ins Parlament. Tatsächlich werden im neuen Parlament vermutlich 18 Parteien sitzen, davon 14 mit einem Stimmenanteil unter fünf Prozent. Die logische Folge: Unsicherheit nicht nur über die möglichen Regierungspartner, sondern Chaos auch bei der Opposition.

Der bisherigen Vierer-Koalition aus Christdemokraten (minus fünf; jetzt bei 29,2 Prozent), Sozialisten (minus eins; 13,3 Prozent), Sozialdemokraten (minus 0,1; 2,9 Prozent) und Liberalen (plus 0,4; 2,5 Prozent) fehlt die Mehrheit. Auf der Suche nach der Partei, die eine solide Mehrheit garantieren könnte, bietet sich fast zwangsläufig nur eine einzige politische Kraft an: die Partei der demokratischen Linken PDS. Sie ist eine der beiden Nachfolgeparteien der früheren KPI, hat vom früheren Besitzstand von 27 Prozent immerhin knapp 16 Prozent herüberretten können (die orthodoxen Kommunisten kamen auf sechs Prozent) und präsentiert sich als eine Reformpartei, die unter gewissen Bedingungen auch Regierüngs-verantwortung zu übernehmen bereit ist. Ob damit aber die Sozialisten, die unter Bettino Craxi schon seit langem, aber bisher und auch dieses Mal wieder vergeblich um den Primat im Linkslager kämpften, einverstanden sind, ist mehr als fraglich.

Noch viel undenkbarer freilich ist eine Regierungsbeteiligung der „Leghe", die zum großen Wahlsieger avancierten. Erstmals in großem Stil zu Parlamentswahlen angetreten, hat diese vor allem im Norden des Landes angesiedelte Protestbewegung gegen römische Mißwirtschaft auf Anhieb einen Stimmenanteil von elf Prozent erobert und damit Italiens Parteienlandschaft völlig durcheinandergebracht. Mit ihrem Wahlplakat („Ladri di Roma, e finita"; „römische Diebe, euer Spiel ist aus") haben sie zwar vorderhand recht behalten, doch wie es nun konkret weitergehen soll, wissen vermutlich auch die „Leghe" und ihr Führer Umberto Bossi nicht.

Dabei steht Italiens Politik gerade jetzt vor hohen Hürden: die Wahlrechtsreform, die unerläßlich gewordene Reduzierung der Staatsverschuldung und die Entscheidung über den EG-Vertrag von Maastricht warten vor der Tür.

Wie und wer dies alles über die Bühne bringen soll, ist unklar. Italien steht vorerst noch wie unter einem Schock: vom „Erdbeben" ist die Rede, vom „Einsturz der DC-Mauer", und vor allem von der „ingovernabilitä", der Unregierbarkeit. Eine leichte Brise des neuen Windes streifte übrigens auch Südtirol: auch dort verbuchten die „Leghe" einen ersten Erfolg (auf Kosten der Neufaschisten), und auch die Südtiroler Volkspartei mußte Stimmenverluste hinnehmen, mit minus drei Prozent freilich nicht so schmerzliche wie die DC.

Rom hat aber jetzt vermutlich andere Sorgen als an die Südtirol-Autonomie zu denken.

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