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Die Rothaut muckt auf

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Noch denkt der Europäer eher an Karl May oder an einen alten Western, wenn er „Indianer“ hört, als an eine unterdrückte, am Rand des Existenzminimums dahinkümmernde Minderheit.

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Noch denkt der Europäer eher an Karl May oder an einen alten Western, wenn er „Indianer“ hört, als an eine unterdrückte, am Rand des Existenzminimums dahinkümmernde Minderheit.

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Sie demonstrierten, und prompt zeigte sich Nixon mit einigen von ihnen im Fernsehen. Es gilt, sie abzuspeisen, solange das noch relativ billig ist. Ihre Besitzansprüche in Alaska, die sie streng legal durchzudrücken gedenken, lassen den weißen Mann erblassen. Obwohl sie aus dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben der USA (ebenso Kanadas) total ausgeschlossen sind, studiert jetzt eine Anzahl von Indianern auf Kosten ihrer Stämme an amerikanischen Universitäten das Recht des weißen Mannes. Nicht, um Karrieren als Anwälte oder Richter zu versuchen, was dem Neger, ja selbst dem Puertoricaner aus dem letzten Slum eher gelingen kann als dem Indianer. Ihre Stämme lassen sie zu Anwälte ausbilden, damit ihre Interessen endlich vor Gericht kompetent vertreten werden.

24 Dollar in Glasperlen und Tuch Die Welt nimmt ihre Forderungen bestenfalls mit halbem Ohr zur Kenntnis. Aber mitunter machen sie auf so originelle Weise von sich reden, daß ihnen kein Happeningspezialist Besseres raten könnte. So besetzten sie bei Nacht und Nebel das aufgelassene Gefängnis auf der winzigen Insel Alcatraz in der Bucht von San Franzisko. Von dort wendeten sie sich mit einer Proklamation von ätzender Ironie an die weiße Weltöffentlichkeit:

„wir werden die besagte Insel Alcatraz für 24 Dollar in Glasperlen und Tuch erwerben. Als Präzedenzfall dient uns die vor ungefähr 300 Jahren erfolgte Erwerbung einer ähnlichen Insel durch den weißen Mann. Wir wissen, daß man für die Insel Manhattan weniger als 24 Dollar in Gebrauchsgütem zahlte, aber der Wert des Bodens ist im Laufe der Jahre gestiegen. Der von uns angebotene Preis ist höher als die zwei Cents pro Acre, die der weiße Mann heute den kalifornischen Indianern für ihr Land bezahlt.

Wir sind davon überzeugt, daß sich die genannte Insel als Indianerreservat in der vom weißen Mann selbst definierten Weise hervorragend eignet. Wir meinen damit, daß der Ort den meisten Inidianerreser- vaten in folgenden Punkten gleicht: • Er ist von allen Errungenschaften unserer Zeit abgeschnitten und hat keine angemessenen Transpartmöglichkeiten.

• Er hat kein fließendes Wasser.

• Die sanitären Anlagen lassen zu wünschen übrig.

• Es gibt keine Ölquellen oder Erze.

• Es gibt keine Industrie, daher ist die Arbeitslosigkeit verbreitet.

• Es gibt keinen Gesundheitsdienst.

• Der Boden ist steinig und unfruchtbar.

• Es gibt keine Bildungsmöglichkeiten.

• Die Bevölkerung war schon immer zu zahlreich im Verhältnis zum Boden.

• Die Einwohner wurden immer wie Gefangene beihandelt und in Abhängigkeit gehalten.

Wir fordern deshalb die Insel Alcatraz für unsere indianischen Völker zurück. Wir sind davon überzeugt, daß diese Forderung gerechtfertigt ist und daß dieses Land uns rechtmäßig gehören sollte, solange die Ströme fließen, solange die Sonne auf geht.“

Alcatraz ist ein gottverlassenes Eiland. Die Indianer hißten die Fahne mit der Aufschrift „Red power" und der zerbrochenen Friedenspfeife. Sie wurden gewaltsam weggeschafft und kehrten wieder. In ihrem Manifest kündigten sie an, auf Alcatraz ein geistiges Zentrum für die Indianer zu schaffen, zu dem ein

Indianermuseum, ein indianisches Lehrerseminar und ein Institut für indianische Geschichte gehören soll. Der weiße Mann hat ihnen nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Identität gestohlen. Sie versuchen in letzter Minute, sie wiederzufinden.

Anfang einer roten Solidarität

Die Aktion markiert den Beginn einer indianischen Solidarität. Denn der Individualismus der Indianer und der Mangel an Beziehungen zwischen den rund 300 Stämmen war ein Hauptgrund dafür, daß sie nach der Devise „Divide et tapena" so leicht unterworfen werden konnten und daß es solange gedauert hat, ehe sie begannen, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen.

Ein anderer Grund liegt in der — entgegen allem, was die meisten Weißen glauben — tief im Gemüt des Indianers verwurzelten Tendenz, individuelle Konfrontationen zu vermeiden. Der Indianer scheut selbst die Begegnung der Augen und hat die weiße Sitte des Händedruckes lange Zeit abgelehnt. Diskussionen über persönliche Angelegenheiten machen ihn verlegen, Indianer sitzen lieber stundenlang im Wartezimmer einer arroganten weißen Behörde, als sich zu beschweren.

Als Kolumbus in Amerika landete, lebten auf dem Gebiet der heutigen USA ein bis drei Millionen Indianer.

1860 lebten auf diesem Territorium noch 340.000 Rothäute, der Höhepunkt der Dezimierung wurde 1910 erreicht: 220.000. Heute hat ihre Zahl wieder knapp über 600.000 erreicht. Zwar ist ihr Geburtenüberschuß doppelt so groß wie der gesamtamerikanische, aber auch die KindersterbMch- kedt liegt erheblich höher. 40 Prozent der Indianer sind arbeitslos, in den ärmsten Reservationen bis zu 80 Prozent. In den Städten sieht man sie oft auf den Baugerüsten der

Wolkenkratzer, da sie als schwindelfrei gelten. Die US-Indianer werden durchschnittlich 44 Jahre alt, gegenüber einem „weißen“ Durchschnitt von 71 Jahren.

Ihr Durchschnittseinkommen beträgt 1500 Dollar im Jahr — ein Viertel dessen aller anderen amerikanischen Gesellschaftsschichten.

Es gibt im Innenministerium ein Bureau of Indian Affairs (BIA), in dem auf 18 Reservationsindianer ein Beamter kommt und das so schwerfällig ist, daß die Bewilligung einer Straßenbausubvention drei Jahre dauert. Der von Johnson installierte einzige indianische Chef, den dieses Amt (die Angestellten sind fast durchwegs weiß) in diesem Jahrhundert hatte, trat 1969 zurück.

Das Indianeramt soll die Anpassung der Indianer an das Leben der Weißen fördern, scheint aber oft eher auf das Gegenteil abzuzielen. Es betreut zum Beispiel Internate. Im Internat von Chilocoo blieben die Schüler bis zu 18 Stunden täglich gefesselt in die Schlafräume eingesperrt — nicht im vorigen Jahrhundert, sondern noch ta vor-vorigen Jahr. Eine Untersuchungskommission fand Beweise für „kriminelle Handlungen“, das Amt vertuschte den Bericht.

Im südlichen Kalifornien leben zahlreiche Indianer, teilweise in Reservaten, teilweise auf kleinen Ranches. Ihre Hütten haben weder fließendes Wasser noch Elektrizität. Das Amt für indianische Angelegenheiten gab 1968 einem einzigen Mann eine Subvention zum Bau einer Bewässerungsanlage. Es war ein Weißer, der das Land eines Indianers gekauft hatte.

Zwar, die Zeit der willkürlichen Vertreibung ist heute vorbei. Sie liegt aber nicht weit zurück und hat nur den schlechtesten Boden in der Hand der Ureinwohner gelassen. Sehr oft wurden ihnen die vertraglich („solange die Ströme fließen^ solange die Sonne aufgeht…“) zugesicherten Reservate weggenommen, wenn der Boden knapper wurde oder wenn man Bodenschätze fand, im Austausch gegen noch kleinere Reservate mit noch schlechterem Boden. Die Stadt New York erwarb vor Jahren für ein Wasserreservoir von den Tuscaroras ein Grundstück. Sie bekamen 850.000 Dollar. Später erfuhren sie, daß die Niagara University für ein nicht einmal halb so großes, ansonsten’gleichwertiges Stück Land fünf Millionen Dollar erhalten hatte. 1887 Waren 138 Milliidrien Acres in der Hand der Indianer, heute sind es noch 55 Millionen.

Wachsender Zorn

Viele kleine und große Vorkommnisse ließen den Zorn des roten Mannes reifen. Nixon weiß, warum er ihm wenigstens auf dem Bildschirm und in untergeordneten Angelegenheiten entgegenkommt. Die Indianer sind in einer für sie günstigen Stunde erwacht, da die Kluft zwischen Weiß und Schwarz tiefer und auch die weiße Gesellschaft gespaltener erscheint als je zuvor.

Obwohl zwischen dem schwarzen Mann und dem roten Mann zugunsten des weißen Mannes stets eher ein gespanntes Verhältnis bestand, haben die Indianer von Black Power gelernt — wie man es macht, aber auch, wie man es nicht macht. Ihre Aussprüche werden militanter, denn sie sehen, daß dies auf die Bleichgesichter wirkt.

Es fällt Indianern schwer, so zu reden, aber sie sehen ihre eigene Lage als die eines „Fremden in seiner Heimat“ und als „Amerikas Kriegsgefangene“, tatsächlich wird Reservationsdndianem nicht so ohne weiteres ein Reisepaß ausgefolgt, „Vollbürger“ sind sie seit 1924.

Indianerkinder sind besonders empfindlich. Das erste, was der Indianer in der Schule lernt, ist, daß er ein geborener Verlierer ist.

Diese früh und unbewußt angenommene Attitüde des Verlierers verhindert die Integration des Indianers in die Welt der Weißen, abgesehen von der mangelnden Bereitschaft der Weißen, einen Indianer als gleichwertig zu akzeptieren. Über 200.000 Indianer verließen die Reservationen, verzichteten damit auf die Wohltaten der Indianerunterstützungsfonds und wurden Arbeiter. Viele von ihnen sind isoliert und unglücklich. 60.000 leben in Los Angeles, gegen 20.000 in der Bay- Area, 15.000 im Norden von Chikago, sie leben verstreut. Nur in Minneapolis gibt es ein geschlossenes rotes Slum, von Insassen wie Polizisten als „Reservation“ bezeichnet.

Militante agitieren gegen Traditionalisten, Rückwärtsgewandte wie Anpassungswillige, auch „Uncle Tomahawks“ oder „Uncle Tom-Toms“ genannt. Der neue Slogan lautet: „Integrity, not Integration."

Da und dort wird ein neuer Versuch gemacht: Firmen wie General Dynamics oder Fairchild errichten (steuersparende) Produktionsstätten in Reservationen, in unmittelbarer Nähe billiger Arbeitskraft.

Die große Kraftprobe zwischen Weiß und Rot aber wird vor (oder hinter) dem Richtertisch stattflnden. 55.000 Indianer, Eskimos und Aleuten- Ureinwohner haben einige der besten amerikanischen Anwälte beauftragt, in ihrem Namen die Eigentumsrechte an 90 Prozent des gesamten Territoriums von Alaska zu beanspruchen, wo gigantische Ölfunde gemacht wurden.

Ihre Argumentation ist bestechend einfach: Amerika habe 1867 von Rußland nicht das Land, sondern lediglich die Zoll- und Hoheitsrechte gekauft, Grundeigentümer seien dessenungeachtet sie.

Ein voller Prozeßerfolg wäre ein so einzig dastehendes Beispiel von historischer Gerechtigkeit und würde die Vereinigten Staaten so belasten, daß er unmöglich ist.

Der Vergleichsvorschlag der Kläger ist fair, aber angesichts der Größe des Lamdės sind die Summen enorm: Rückgabe von zehn Prozent Alaskas, entspricht 150.000 Quadratkilometer oder fast dem Doppelten von Österreich. Für den Rest eine Entschädigung von 500 Millionen Dollar (13 Milliarden Schilling) plus, .„solange die Ströme fließen, solange die Sonne aufgeht“, zwei Prozent aller Erträge.

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