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Die SA malte nachts Schuschnigg-Losung

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Mit seinem Werk „Verfolgung und Selbstbehauptung - Die Juden in Österreich 1938-1945“ betritt Herbert Rosenkranz ein überraschend wenig beackertes Feld der Zeitgeschichte. Auch historisch gut beschlagene Österreicher werden erst durch dieses Buch erfahren, daß die Drangsalierung, Enteignung und Vertreibung der österreichischen Juden keineswegs eine Neuauflage dessen darstellt, was zwischen Hitlers Machtergreifung 1933 und Österreichs Anschluß an das „Altreich“ 1938 dort geschehen war.

In Österreich wurde, so der Autor, „picht nur in Monaten aufgeholt, was dort Jahre brauchte, sondern Neues gesetzt...“

Herbert Rosenkranz wurde in Wien geboren, verließ Österreich 1938 als 14jähriger, lebte fast ein Jahrzehnt als Emigrant in Riga und als Internierter in der Sowjetunion, studierte nach dem Krieg in Wien, lebt seit 1955 in Israel und ist bei Yad Vashem in Jerusalem tätig, also jener Institution, die das Andenken an die Naziopfer pflegt. Er hat bereits zwei zeitgeschichtliche Werke geschrieben und ist als besonders intensiver Archiv-Rechercheur bekannt.

„Verfolgung und Selbstbehauptung“ ist die umfangreichste, kompakteste, an Fakten reichste Materialsammlung über das Schicksal der österreichischen Juden zwischen Einmarsch und „Endlösung“, die je publiziert wurde. Die ungezählten Mosaiksteinchen summieren sich zu einem neuen Bild dessen, was in Österreich nach Hitlers Einmarsch geschah. Es wurden hier, und vor allem in Wien, neue Maßstäbe der Brutalität gesetzt - und zwar von oben wie von unten.

Eichmann beginnt unmittelbar nach dem 12. März 1938 in Wien zu amtieren. Resultat einer nur wenige Wochen dauernden Eskalation: „Von einem taktvoll stillen, korrekten Beamten, der um Belehrung bittet und seine Versprechen einlöst, verwandelte er sich schlagartig in einen aufbrausenden Herrenmenschen, der den jüdischen Untermenschen' zu züchtigen hat. Bei der ersten Begegnung mit Dr. Josef Löwenherz, den Eichmann aus dem Gefängnis vorführen ließ, ohrfeigte er den um 20 Jahre älteren Mann.“ (Löwenherz war von Eichmann als neuer Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde ausersehen worden!)

Auf der Straße aber mußten unterdessen Juden Parolen der letzten österreichischen Regierung unter Bundeskanzler Schuschnigg, wie etwa das „Rotweißrot bis in den Tod“, mit Zahnbürsten und scharfen Laugen (!) von Gehsteigen und Wänden kratzen, und dabei handelte es sich keineswegs um Auswüchse, die im verborgenen gediehen.

„Es kam vor, daß bereits weggeriebene Losungen nachts von SA nachgemalt wurden, um für diese monatelang betriebene Volksbelustigung, deren Opfer teils von SA (Sturmabteilung) und Hitler-Jugend spontan zusammengetrieben ..., teils von SS entsprechend den jeden Morgen vor-

geschriebenen Zahlen organisiert wurden, Beschäftigung zu finden.“

Zum größten Teil neu ist das Material, das Rosenkranz zu zwei besonders wichtigen Aspekten der Judenverfolgung in Österreich vorlegt. Der eine ist die jüdische Selbstbehauptung. Dieses Buch ist ein Denkmal für ungezählte Menschen, die sich für andere exponierten, die die Gemeinde zusammenhielten, die lawinenartig anwachsende Menge der hungernden und frierenden Juden mit dem Nötigsten zu versorgen suchten. (In einer Ausspeisung im zweiten Bezirk schütteten zweimal SA-Männer den Inhalt der Suppentöpfe auf die Straße!)

Es ist ein Denkmal des Mutes, der Standfestigkeit, der Menschlichkeit. Und es bietet, erstmals, auch einen Uberblick über die Tätigkeit zionistischer Gruppierungen, die alles Menschenmögliche unternahmen, um die Auswanderung nach Palästina zu forcieren.

Der andere Aspekt ist die düstere Rolle, die viele Regierungen, Botschaften, Konsulate damals gespielt haben. Sie sprachen von Hilfe, taten aber nichts, um die Einwanderung von Juden zu erleichtern. Was dieses Thema betrifft, so harren auch in vielen Ländern Berge von brisanten Akten, die heute noch der Archivsperre unterliegen und wohlweislich nicht so bald freigegeben werden dürften, künftiger Generationen von Zeitgeschichtlern.

In der Schweiz etwa erhöhte sich die Zahl der dort lebenden Juden unter dem Druck dieses Elends nur um rund zweitausend Köpfe. Auf zunehmende Not der Juden reagierten viele Länder nicht mit einer großherzigen, sondern mit einer schärferen Einwanderungspolitik. In der Schweiz wurde die visumfreie Einreise von Österreichern aufgehoben, andere Länder sperrten sich dagegen, Juden auch nur als Transitreisende zuzulassen. Zuletzt wurde selbst Juden, die Schiffsfahrkarten und „Vorzeigegeld“ in der Hand hatten, das Erreichen der rettenden Häfen unmöglich.

Wenn in diesem wichtigen, großartigen und lesenswerten Buch ein Aspekt der Tragödie zu kurz kommt, dann allenfalls die Auswanderung österreichischer Juden nach China, das für viele zur Rettung wurde. Von Österreichs Anschluß bis zum 10. November 1941, als der Vorhang endgültig niederging, verließen 128.500 Juden Österreich. 30.850 gingen nach England! 28.615 in die USA (Kanada ließ ganze 82 ein!), und nicht weniger als 18.124 nach China, fast durchwegs nach Schanghai, wo allerdings die Kolonialmacht ihre geschützten Viertel, die „internationale Konzession“, für sie schloß. 9165 gelang es, Palästina zu erreichen.

VERFOLGUNG UND SELBSTBEHAUPTUNG (Die Juden in Osterreich 1938-1945). Von Herbert Rosenkranz, mit einem Geleitwort von Erika Weinzierl. Herold-Verlag, Wien, 1978, 400 Seiten, öS 480,-.

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