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Die Schatten der Nach-Tito-Ära

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Kroatiens Hauptstadt Zagreb präsentiert sich in ihrer interessanten Mischung von kultureller Metropole und Geschäftszentrum. Äußerlich deutet nichts auf zusätzliche Spannungen hin, auch wenn der politische Journalist sich einbildet, überall Anzeichen von kroatischem Nationalismus zu sehen. Es ist Illusion, in der Stimme des Zeitungsverkäufers einen antiserbischen Ton zu spüren, und selbst wenn er „Matice Hrvatska“ anpreist, dürfte die im Tonfall leicht gesteigerte Aggressivität weniger dem politischen Hintergrund als vielmehr der Umsatzsteigerung zugedacht sein (siehe auch unseren Bericht auf Seite 7).

Deutlich wird die gegenwärtige Spannung jedoch, wenn man sich mit der akademischen Jugend unterhält. Allerdings wäre es selbst in diesem Falle falsch, Einheitlichkeit zu erwarten. Es gibt lautstarke Wortführer, die sich zu kroatischen Sprechern aufgeworfen haben und deren abschätzige Redensarten sich mit der nach Süden hinziehenden Distanz verschärfen. Was einigen Schweizern die Italiener, was vielen Amerikanern die Neger, das sind diesen Kroaten die Makedonier oder Montenegriner. Die alte „königliche Freistadt“, die „Gradec“ im Herzen der Altstadt, erscheint ihnen als Mittelpunkt ihrer chauvinistischen Welt. Nationalistische und ökonomische Überlegungen vermischen sich und untermauern schließlich eine recht egoistische Haltung. Warum, so fragen diese Nationalpropagandisten, sollen wir auf unseren hohen Lebensstandard, der sich mit jenem der Österreicher vergleichen läßt, verzichten, nur um die Montenegriner und Makedonier zu unterstützen und so die Einheit des Landes zu sichern?

Zagreb im Schnittpunkt der Hauptstraßen, die Nord- und Süd-, Ost-und Westeuropa miteinander verbinden, sieht sich als Mittelpunkt eines weltweiten Systems und ist doch nicht einmal Hauptstadt des Vielvölkerstaates. Nicht zuletzt in diesem Widerspruch liegt eine der Ursachen des kroatischen Komplexes.

Neben dem ökonomischen und nationalen aber läuft noch der religiöse Unterschied. Das katholische Kroatien gegen das orthodoxe Serbien und das mohammedanische Makedonien. Welten prallen hier aufeinander. Allerdings hat sich die katholische Kirche bisher aus dem Streit herausgehalten. Wie lange sie dies tun wird und auch tun kann, ist aber eine andere Frage, denn teilweise sind die Führer von religiösen Laienorganisationen und jene der nationalistischen Bewegungen identisch. Die kroatischen Abzeichen an den Ärmeln der Jungen sieht man denn auch auffallend oft anläßlich des Kirchganges, und das Grab des einst von Tito verurteilten kroatischen Kirchenfürsten Aloys Ste-pinac wird in religiöser Verehrung, in menschlicher Anhänglichkeit, aber auch als politische Manifestation Sonntag für Sonntag von großen Scharen junger Kroaten besucht.

Zweifellos also trägt die Kirche schwer unter der Verantwortung, denn falls sie den Extremisten unter ihren eigenen Angehörigen allzu sehr Gehör schenken würde, so würde die Einheit zerfallen. Vorläufig ist die Gefahr nur latent, und die Kirche hält sich bewußt zurück, um nicht ihrerseits öl ins Feuer zu gießen. Sie hat ja schließlich in den vergangenen fünf Jahrzehnten in Jugoslawien und anderswo erlebt, daß Extremismus von ihrer Seite immer auch einen solchen der Gegenseite hervorruft. Das Risiko besteht in dieser Beziehung also vielmehr darin, daß sie sich — fast gegen den eigenen Willen — von Fanatikern hineinzerren läßt in diese akute Spannung.

Daß diese Spannung übrigens gerade jetzt ein solches Ausmaß angenommen hat, ist kein Zufall. Einmal hat sich hier wieder das alte physikalische Gesetz des Kochtopfes bewahrheitet: wenn der Dampf irgendwo entweichen kann, besteht die Gefahr, daß der Deckel weggesprengt wird. Die politische, vor allem aber auch die wirtschaftliche Liberalisierung, wie sie Tito eingeführt hat, hat diese Kräfte geweckt. Dazu kommt noch die Tatsache, daß Jugoslawien gegenwärtig im Begriffe steht, in die Nach-Tito-Zeit hinüberzuschreiten. Zwar hat Tito selbst durch das System des Präsidiums der Gefahr eines abrupten Wechsels vorbeugen wollen, aber allein schon der Umstand, daß früher oder später Tito als Symbolfigur der jugoslawischen Einheit nicht mehr an der Spitze des Staates stehen wird, ließ die Gefahr wachsen. Wladimir Baka-ric, einer der besten Freunde Titos aus der Partisanenzeit, Kroate wie er selbst, unterstrich in einem persönlichen Gespräch überdies die Gefahr der Einmischung von außen. „Wir haben die Beweise dafür“, sagte er, „daß sowohl vom Osten wie auch vom Westen her gewalttätige Einmischung für den Moment des Führungswechsels geplant wird.“ Er meinte die Stalinisten in der Sowjetunion, genauer gesagt die dort lebenden jugoslawischen Emigranten vom Schlage eines Rankovic, er meinte aber auch die fanatischen Rechtsextremisten in Westeuropa und Amerika, genauer gesagt die nationalistischen und monarchistischen Emigranten in jenen Ländern.

Ob Jugoslawien einem solchen Druck von innen und außen über die kritische Zeit hinweg standhalten kann? Alles hängt davon ab, wie stark die Kräfte der Einheit sind. Nicht ganz fünf Prozent der Jugoslawen haben anläßlich der letzten Volkszählung erklärt, daß sie sich in erster Linie als Jugoslawen und nicht als Serben oder Kroaten oder Montenegriner fühlten. Eine kleine, aber doch stets wachsende Zahl. Vorläufig hat sie eher symbolischen Gehalt, und entscheidend ist wohl, ob auch jene, die sich zur Nationalität einer Teilrepublik bekennen, von der Notwendigkeit der Einheit überzeugt sind oder nicht.

Vielleicht tragen gerade die erwähnten Extremisten in Ost und West dazu bei, daß dieses Einheitsbewußtsein gestärkt wird. Auf jeden Fall konnte man dies anläßlich der letzten Manöver der jugoslawischen Volksarmee deutlich erkennen.

Jugoslawien durchlebt eine recht kritische Phase seiner Geschichte, aber hoffnungslos ist sie keineswegs. Und diejenigen, die ihre Hoffnung auf die Aufsplitterung des Landes setzen, sollten sich vergegenwärtigen, daß dies nicht nur ein Schlag gegen Jugoslawien, sondern auch gegen Euopa als ganzes wäre.

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