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Die Schranken bleiben aufrecht

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Briefe, die wir schreiben oder die an uns gerichtet sind, wollen immer eine unmittelbare Bekundung von Gedanken und Wünschen sein. Je lebendiger sie gehalten sind, je mehr alles das zurücktritt, was zu Tinte und Papier gehört, um so lieber und höher schätzen wir die schriftliche Mitteilung. Der Brief, der vergessen läßt, daß er geschrieben ist, und uns anmutet wie eine an die Ohren gewendete Ansprache, scheint vielen die erstrebenswerte Stufe in der Kunst des Briefschreibens erreicht zu haben. Aber bei aller Vollendung, die den

Brief zum kleinen Kammerstück rundet, es läßt sich doch nicht übersehen, daß er — gerade durch die gewollte Unmittelbarkeit — an die Grenze seines Wesens gerückt ist. Bei der Betrachtung der Briefe bäuerlicher Menschen läßt sich durch die ungelenken Züge und Zeilen hindurchsehen und darunter eine von eigenen Gesetzen gelenkte Ordnung, leicht von Altertümlichkeit überstaubt und zugleich wieder treuherzig wie ein Kinderwort, erkennen.

Der Brief an das Weib wird eingeleitet mit „Werte Gattin". Das ist eine Anrede, die dem Bauern nie im Leben über die Lippen kommen könnte. Nur schreibend verwendet er diese, unseren Ohren schon ein wenig zopfig klingende Wendung. Bedenken wir, wie freizügig in unseren Briefen die erste gedachte Fühlungnahme mit dem Empfänger abgewandelt werden kann -von der immerhin auch umständlicheren Ansprache einer Respektperson über die ganze Stufenleiter sachlichen, freundlichen und herzlichen Zurufs —, beden-

ken wir dies, so spüren wir vielleicht schon, welche innere Einstellung dieses steife, ja eigentlich papierene Wort „Werte Gattin" an den Anfang eines Briefes schreibt. Hier gilt es nicht eine Herzensergießung zu bekennen, sondern ein Stück Papier mit einem Bericht an eine bestimmte, einer zukommenden Achtung würdige Person zu schicken. Was geschrieben ist und wird, muß mit Vorsicht gehandhabt sein in allen Fällen, muß eindeutig sein und klar. Was kann ein geschriebenes Stück, das irgend etwas verbrieft, bedeuten!

Wenn es auch nur ein kurzes, belangloses Brieflein ist, geschrieben wird es, darauf kommt es an, es kann in fremde Hände kommen, es bleibt, unbestechlich und unwandelbar. Jawohl, er hat recht, der Bauer, jeder Brief ist in einem gewissen Sinne eine Urkunde, ein Dokument. Mit diesem Respekt vor jedem, auch vor dem eigenen geschriebenen Wort, beginnt er den Brief. Mit dieser Anrede, die irgendwie doch ungewöhnlich ist, schlägt er den Ton an, der den Brief hindurchhalten soll. Damit will dieser in gar keinem Fall eine trauliche Zwiesprache ersetzen, er will nur ein beschriebenes Stück Papier sein, mit Tinte geschrieben und nicht mit dem Herzen. Und so ist er auch kein „Stück ues eigenen Herzens", sondern etwas von ihm völlig Losgelöstes, ein Drittes zwischen Schreiber und Leser, er ist

„objektiviert" oder, wie schon gesagt, ein Dokument. Noch stärker als die Anrede zeigt das der Schluß, an dem sich der Bauer unterfertigt wie in einem Rechtsstück: mit der Angabe des persönlichen Verhältnisses zum Briefempfänger und in jedem Fall — mit dem vollen Namen: es ist „Euer Sohn Christian Schober", oder „Dein Gatte Martin Klug", oder „Euer Freund Michael Ofner".

Was nun dazwischen steht, die Mitteilung der eigenen Gesundheit und die Frage nach dem Wohlbefinden auf der anderen Seite, besondere Dinge, wie einmal die Krankheit eines Kindes, der Verkauf eines Stückes Vieh, ob das Gras schon gemäht und das Korn gut in die Halme gegangen ist, all das ist in einfachsten Aussage- oder Fragesätzen gefaßt, die einer großen Wandelbarkeit nicht fähig sind. Aber auch sie lassen sich gerne an Formeln hängen, die gewissermaßen jede Vertraulichkeit des Stiles umgehen und vermeiden möchten und immer wieder an das Medium erinnern sollen, daß der Brief nun einmal ist — über das sich erheben zu können der Schulgebildete für das Zeichen eines guten Briefes hält. „Gebe bekannt, daß ich gesund bin", heißt es, und in dem Hauptsatz liegt diese absolute Anerkennung des Wesens schriftlicher Mitteilung.

In deutlich von früher her übernommener Form, mit kargem

Wortbestand und großer Gleichartigkeit des Aufbaues bewegt sich der Briefwechsel bäuerlicher Menschen. Fragen wir, warum sie, die im Umgang mit ihresgleichen über einen urwüchsigen und reichen Wortschatz verfügen, wohl auch klingende Redensarten, aber keine abgebrauchten Phrasen kennen, in ihrem schriftlichen Austausch so stark gebunden sind, so wäre manches darauf zu sagen. Viel ist die Einförmigkeit, verursacht durch die seltene Übung. Zeiten, wie die des Krieges, die dem Mann Anlaß geben, seiner Hausgemeinschaft zu schreiben, gehen, gewiß nicht ohne Nachwirkung auch in diesen Dingen, doch immer verhältnismäßig rasch vorüber.

Manches wird uns auch klar, wenn wir bedenken, wie lange in der bäuerlichen Welt Briefe geschrieben wurden und wer. und wes Standes der Lehrmeister gewesen ist, djr Form und Stil und überhaupt die Handhabung mit Feder und Tinte vermittelt hat. Nun, es ist der Schulmeister gewesen, ohne Frage, in den verschiedenen Bildern seiner Erscheinung durch die Jahrhunderte zurück, der lange wohl auch der Briefschreiber seiner ganzen Gemeinde war. Aber er war auch der Sekretär der Herrschaft, und die Amtssprache, kaum gewandelt durch Hunderte von Jahren, die er zu beherrschen hatte, hat in ihm einen ergebenen Pfleger und Weiterträger besessen. Mag sein, daß vieles, das uns steif und stockig -dokumentenmäßig — anmutet im Bauernbrief — sofern es nicht angelesen ist aus den zähe bis heute immer wieder auftauchenden haupt- und nebenamtlichen Wendungen -, über diesen Mittler gekommen ist.

Der Autor ist Ethnologe und Präsident des Steiermärkischen Landtages, der Beitrag ist — gekürzt — dem Styria-Band „Daheim" (1979) entnommen und wurde bei der ÖVP-Veranstaltung in Wien zu Ehren von Hanns Koren vorgetragen.

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