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Die Schuldfrage

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Der Bericht der unabhängigen Kommission von Historikern über die Kriegsdienstzeit von Kurt Waldheim, am 8. Februar fertiggestellt, verneint nicht explizite ein persönliches schuldhaftes Verhalten von Waldheim, aus der Darstellung von Tatsachen und Zusammenhängen ist aber manifest: Persönlich hat Kurt Waldheim nicht am Vollzug von Kriegsverbrechen mitgewirkt. Wesentlich nicht zuletzt: Er besaß am Kriegsschauplatz Balkan keine Befehlsgewalt.

Der österreichische Bundespräsident ist kein Kriegsverbrecher, Alle diesbezüglichen Vorwürfe sind haltlos, alle Akten somit gegenstandslos.

Der österreichische Bundespräsident war auch kein Nationalsozialist. „Ein weltanschauliches Bekenntnis Waldheims zum Nationalsozialismus“, führt der Bericht aus, „konnte nicht festgestellt werden.“

Die immer wieder ins Gespräch gebrachte Dissertation über die „Reichsidee bei Konstantin Frantz“ vervollständigt diesbezüglich das Büd. Frantz war, schreiben die Historiker, „wie viele deutschnationale Denker der damaligen Zeit ein engagierter Antisemit, und es fällt auf, daß dieser Aspekt von Waldheim nicht aufgegriffen wird, obwohl dies von nationalsozialistischen Hochschullehrern zweifelsohne als positive Geste interpretiert worden wäre. Auch fehlen sonstige Phrasen, die auf eine nationalsozialistische Weltanschauung Rückschlüsse zuließen.“

Eigentlich hätte die Kommission mit dieser Rehabilitierung Waldheims ihr Mandat, „persönliches schuldhaftes Verhalten von Dr. Kurt Waldheim während seiner Kriegsdienstzeit“ zu untersuchen, auch überschritten.

Was soll das? Was soll jetzt, da der Bericht — so wie er ist — auf dem Tisch liegt, die nutzlose Diskussion über Umfang des Auftrages?

Man hätte eine andere Reaktion erwarten dürfen. Ein selbstbewußtes Verhalten, das jenen den Bericht unter die Nase reibt, die zuvor die Arbeit der Historikerkommission als Weißwaschungsaktion heruntergemacht haben. Jenen, die sich aber jetzt, unter Berufung auf den Bericht, die Finger wund schreiben und den Mund wund reden.

Die Überraschung über das kritische Resümee (siehe Seite 4) ist geheuchelt. Sind die Schlußf olgerungen denn so unabsehbar neu? Sie haben - unbestritten - nur eine andere Qualität erlangt.

Die Kommission betrachtet sich als rein wissenschaftlich feststellende Instanz. „Sie hat“, wie sie selbst unterstreicht, „keine richterliche Funktion.“ Wer ist jetzt berufen, eine Schuldfrage zu be-urteüen?

Alle, die jetzt den selbstgeschneiderten Richtertalar überstreifen, wären gut beraten, einmal bei Karl Jaspers nachzulesen, was er - noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Grauens — 1945 durchdacht hat, wenn sie sich moralische Urteüe anmaßen.

Ja, es gibt sie, die Mitverantwortung des Menschen „für Verbrechen, die in seiner Gegenwart oder mit seinem Wissen geschehen. Wenn ich nicht tue, was ich kann, um sie zu verhindern“, führt Jaspers den Gedanken weiter, „so bin ich mitschuldig. Wenn ich mein Leben nicht eingesetzt habe zur Verhinderung der Ermordung anderer, sondern dabeigestanden bin, fühle ich mich auf eine Weise schuldig, die juristisch, politisch und moralisch nicht angemessen begreiflich ist.“ Und er spricht menschlichen Instanzen das Recht ab, darüber zu urteilen.

Und die moralische Verantworr tung für sich? „Niemals“, schreibt Jaspers an anderer Stelle, „gut schlechthin .Befehl ist Befehl'. Wie vielmehr Verbrechen Verbrechen bleiben, auch wenn sie befohlen find, so bleibt jede Handlung auch der moralischen Beurteüung unterstellt.“ Wessen Beurteilung?

„Moralisch kann man Schuld nur sich selbst geben, nicht dem anderen“, finden wir als Antwort. Und: „Niemand kann den andern moralisch richten, es sei denn, er richtet ihn in der inneren Verbundenheit, als ob er es selbst wäre.“ Von dieser inneren Verbundenheit kann im konkreten Fall wohl nicht ausgegangen werden.

Moralische Schuld zwingt aber, fordert Jaspers, zu demütiger Einsicht „mit realen Folgen in der Welt“. Zwingt zur Erinnerung, auch wenn man sich nicht erinnern will. Unabdingbar. Kein von Inkompetenten inszenierter medialer Schauprozeß kann das vollziehen, sondern ausschließlich ein innerer Prozeß. Dafür fehlen — Grund, betroffen zu sein — Anzeichen.

Das Einprügeln auf Waldheim verhindert wahrscheinlich sogar diesen Prozeß der Selbstprüfung. Und das geht unzweifelhaft zu Lasten der moralischen Autorität des Amtes, das Kurt Waldheim übertragen wurde.

Nicht nur er, sondern ganz Osterreich wird, die Österreicher werden auf die Anklagebank gezerrt: Das ist eure Schuld, ihr seid verbrecherisch, eigentlich ein Auswurf der Menschheit. Edgar Bronfman (siehe Seite 2) steht nicht zu, als Weltanwalt Osterreich kollektiv anzuklagen. Und es gibt keinen Richterstuhl in dieser Welt, vor dem wir uns gegen diese selbstgerechten Vorwürfe zu verteidigen brauchten.

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