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Die Schule ins Dorf

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Die österreichische Regelschule war und ist auf die Verhältnisse in den Ballungsräumen ausgerichtet. Die mangelnde Rücksichtnahme auf die Bedingungen im ländlichen Raum wird besonders deutlich an der neuen Stundentafel, die viele Landhauptschulen vor schier unlösbare Probleme stellt.

Landhauptschulen unterscheiden sich in folgenden Merkmalen grundsätzlich von Stadthauptschulen:

• Weite Schulwege: Die Geh-, Fahr- und Wartezeiten je Schüler machen in der Woche oft zwölf und mehr Stunden aus. Viele Landhauptschulen haben einen Fahrschüleranteil von 60 bis über 80 Prozent. Spärlicher Linienverkehr oder Gelegenheitsverkehr erschweren den Schülertransport und die schulische Organisation. Ein warmes Essen zu Mittag ist für die Schüler eher die Ausnahme.

• Familienstruktur: Es gibt kaum Schlüsselkinder. Die Eltern wollen ihre Kinder nicht möglichst lange in der Schule untergebracht, sondern daheim haben.

• Dorfgemeinschaft: Die Hauptschule entzieht viele Kinder ihrer Dorfgemeinschaft. Es werden Bindungen gelöst, welche sowohl für die Kinder als auch für die Dörfer wertvoll wären. Ein rapider Rückgang der Heimatverbundenheit, Unkenntnis der Heimatkunde sind zu beobachten.

• Begabungen: Diemeisten Schüler besuchen nach der Volksschule die Hauptschule. Es gibt an der Landhauptschule echte erste, zweite und dritte Leistungsgruppen sowie mannigfaltige Begabungen in den einzelnen Bereichen.

Aus diesen Überlegungen heraus ist in Tirol die Idee entstanden, ein Landhauptschulmodell zu entwickeln. Die Schwerpunkte dieses Landhauptschulmodelles, das an fünf entlegenen Hauptschulen in Tirol derzeit in Erprobung ist, sind:

Der verpflichtende Unterricht wird in der „Landhauptschule“ für jede Schulstufe auf 29 Wochenstunden gekürzt, sodaß in der Regel der Pflichtblock an den Vormittagen untergebracht werden kann. Durch die Reduzierung des Pflichtunterrichtes fallen der Nachmittagsunterricht und die so unergiebigen sechsten Stunden weg.

Es gibt keine Wartezeiten im Schulhaus und an den Haltestellen. Die Familie wird wieder mehr zusammengeführt, ein gemeinsamer Mittagstisch ist wieder möglich. Bei den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch wurde auf eine Stundenkürzung verzichtet, weil die Befürchtung um einen Niveauverlust der Landhauptschule hier am größten waren.

Gemessen wird der Erfolg der Hauptschule weitgehend an den Erfolgen bzw. Schwierigkeiten, die die Abgänger an den weiterführenden Schulen haben. Die Schwierigkeiten in diesen weiterführenden Schulen treten nun erfahrungsgemäß fast ausschließlich in diesen drei Gegenständen auf. In diesen Fächern soll daher nach wie vor den bisherigen Forderungen entsprochen werden. Bei den übrigen Pflichtgegenständen wurde getrachtet, möglichst gleichmäßig zu kürzen.

Die beiden Fächer Geschichte und Sozialkunde (GS) und Geographie und Wirtschaftskunde

(GW) werden zum Fach Geschichte-Geographie (GG), die Fächer Biologie und Umweltkunde (BU) und Physik/Chemie (PC)

zum Fach Biologie-Physik (BP) zusammengezogen.

Die Fächer mit verminderter Stundenanzahl eignen sich in besonderem Maß für interessengeleitete Angebote außerhalb des Pflichtblocks, an denen die Schüler freiwillig teilnehmen können. Nach Möglichkeit finden diese Angebote in Projektform statt.

Diese Projekte werden meist an den Volksschulen der Einzugsdörfer unter Einbeziehung von Fachleuten der einzelnen Orte wie Förster, Bauer, Jäger, Handwerker, Geistlichkeit, Lehrerschaft und Eltern durchgeführt. Dabei können Sachthemen aufgegriffen werden, die sonst im Unterricht kaum Platz finden und die für den jeweiligen Ort bedeutungsvoll sind.

Das kulturelle Leben am Ort kann dadurch besser erfaßt und die Natur durch besseres Beobachten bewußt verwertet werden. Es können Aktivitäten gesetzt werden, die für das kulturelle Leben der einzelnen Schulorte direkten Nutzen bringen, z. B. durch Schülerchöre, Spielmusikgruppen, Schulspiel, Projekte zur Erforschung der Heimat und der Alltagsgeschichte der einzelnen Dörfer, besondere sportliche Aktivitäten.

Ein Vortei^gdieser ganzen Projektarbeit liegt auch darin, daß die Volksschullehrer an den je-weüigen Standorten miteinbezogen werden. Das Volksschulgebäude erfährt eine besser Ausnutzung.

Ein Grundsatz dieses Modells besteht darin, daß Schule dann effektiver wird, wenn sie stärker als bisher auf die regionalen Besonderheiten der einzelnen Schulen Rücksicht nimmt. Es soll daher einer stärkeren Föderalisierung und einer stärkeren Autonomie der Schule Platz gemacht werden. Das Modell, das hier beschrieben ist, wird deshalb an Hauptschulen im ländlichen Raum, auf den es von seiner Konzeption her abgestimmt ist, erprobt.

Der Autor ist Bezirksschulinspektor in Imst.

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