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Die Schule steht und fällt mit den Lehrern

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Wenn über die Bedeutung des Lehrers reflektiert werden soll, so kann man davon ausgehen, daß der Lehrer bereits vor der Installation der Schule existierte. Menschen,dieihre Unzulänglichkeit sowie Ihre Entwicklungsfähigkeit spürten, folgten ihrem Lehrer. Es entwickelte sich, wie wir es am Beispiel der griechischen Weisen sehen, ein persönliches Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Es war nicht der Intellekt allein, auch nicht lebenspraktische Fertigkeiten, die zur Nachfolge antrieben, sondern der ganze Mensch als Vorbild und Ideal. Der Lehrer besaß das Vertrauen seiner Schüler. Sie wußten, daß er selbst ehrfürchtig die Wahrheit suchte und sie dabei Schritt für Schritt mitzunehmen gedachte, daß er an seiner eigenen Menschwerdung arbeitete und bei derselben schwierigen Aufgabe den Schülern helfend zur Seite stand.

Man glaubte, das früher auf freiwilliger Basis bestehende Lehrer-Schüler-Verhältnis institutionalisieren zu müssen. Die Schule entstand. Ohne Zweifel wird die Fülle dessen, was der Mensch können muß, aber sich nicht auf Grund seiner Entwicklung von selber bildet, immer größer. Die Schule ist zur notwendigen Einrichtung geworden. Damit wurde das Lernen-Dürfen zum Ler-nen-MUssen. Lernen bedeutet nicht mehr erstrebte Auszeichnung, sondern lästige Pflicht.

Aber auch heute noch gedeihen die Heranwachsenden am besten, wenn sie dem Lehrer in williger Gefolgschaft anhängen; es gibt die schwärmerische Verehrung für den geliebten Lehrer, der Vorbild für eigenes zukünftiges Menschentum sein kann. Hier ist das optimale Klima für Lernprozesse gegeben. „Man lernt nur von dem, den man liebt” (Goethe). Dabei wächst der junge

„Ist es zuviel gesagt, daß man im Grunde gar keine guten Lehrer wünscht, sondern nur einer bestimmten Ideologie hörige?”

Mensch über sich selbst hinaus, ohne je den vielgeschmähten Streß zu spüren. -Gibt es das wirklich noch, oder sind es nostalgische Erinnerungen an längst Vergangenes?

Fest steht, daß es heute dem Lehrer unendlich schwer gemacht wird, Lehrer in diesem Sinne zu sein. Man fordert von ihm die Vorbildhaftigkeit, setzt ihn aber herab, wo es möglich ist. Man setzt voraus, daß er eine achtenswerte Persönlichkeit sei, gibt ihn aber bei jeder Gelegenheit der Lächerlichkeit preis. Es ist so leicht, dem Lehrer die Schuld an verkehrten Entwicklungen zu geben; wohl wissend, daß diese Entwicklungen durch andere Impulse initiiert wurden, und daß der Lehrer selber am meisten darunter leidet.

Vorwurfsvoll und scheinheilig bedauert man, daß die Erwachsenen das Vertrauen der Jugend verlören; daß diese aber ununterbrochen zur Kritik aufgefordert wird, ja daß sie sogar zur Denunziation verleitet wird, findet man in Ordnung. Stets sucht man Beweise für die Unzulänglichkeit der Lehrer, wobei die Beweise nur dazu zu dienen scheinen, ein bereits bestehendes Vorurteil zu untermauern. Unter anderen Vorzeichen würde man dieses Vorgehen als unpädagogisch und inhuman brandmarken, für den Lehrer gelten andere Regeln.

Diese Scheinheiligkeit, einerseits den Lehrer von Format zu postulieren und ihn anderseits zu verunglimpfen, hat System: die Schule ist ein wichtiges Instrument in der Politik, als daß man sie getrost den starken Persönlichkeiten überlassen könnte. Je extremer der Ruf nach einem Umsturz der bestehenden Ordnung ist, umso weniger kann man es zulassen, daß aus der Schule gereifte gefestigte junge Menschen hervorgehen, die die Unterscheidung der Geister beherrschen. Man bekämpft die sogenannte Manipulation durch den Lehrer, damit sich der junge Mensch umso leichter durch andere Kräfte manipulieren lasse.

Ist es zuviel gesagt, daß man im Grunde gar keine guten Lehrer wünscht, sondern nur solche einer bestimmten Ideologie hörige? Steigt nicht der Verdacht auf, daß man in den schulischen Apparat das Versagen von vorneherein hineinprogrammiert?

Es ist doch beschämend, daß die verschiedenen politischen Richtungen um die Schule wie auf einem Schlachtfeld kämpfen. Sie haben das arme Wesen spitalsreif geschossen und liegen nun einander in den Haaren, wer dem Verwundeten den kleidsameren Verband auflege und wer für den halb Gelähmten die fotogeneren Krücken habe. Dann zerrt man den gequält lächelnden Patienten vor die Öffentlichkeit, um sich selbst als patenten Wunderarzt zu präsentieren. So geht es jedem um sein eigenes Image. Auf der Strecke bleibt das Kind - und der Lehrer, der zwischen den Mühlsteinen zerrieben wird.

Diese Mühlsteine sind einerseits die berechtigten Forderungen der Eltern und der Öffentlichkeit, anderseits das Schulgesetz und die „Rechte” der Schüler. Damit dem bösen Lehrer keine Möglichkeit bleibe, die Schüler in Depressionen und Verzweiflung zu treiben, hat man genaue Normen für den Lehrer geschaffen und die Rechte der Schüler erweitert. Diese Rechte sind, bei Licht betrachtet, ein Recht auf weniger Bildung, auf weniger Wissen, auf weniger Selbstbeherrschung, auf weniger Fleiß, auf weniger Entwicklung des Charakters.

Der Staat verordnet Humanität in der Schule durch Gesetze. Als ob man mitmenschliche Tugenden durch Gesetze schaffen könnte! Das Schulgesetz ehrt den Schüler durch Vertrauen in seine Urteilsfähigkeit, beleidigt aber den Lehrer durch größtes Mißtrauen. Es will den Schüler so schnell als möglich mündig machen, stößt aber die zu diesem Zweck bestellten Lehrer in die Unmündigkeit.

Der ständig frustrierte und beleidigte Lehrer soll in heldenhafter Selbstüberwindung stets hilfsbereit, humorvoll, verzeihend, großzügig und ermutigend sein. Der Lehrer soll von so überirdisch strahlendem Idealismus erfüllt sein, daß er den Schüler, der ständig zur Zweckentfremdung des Schulbesuches angeleitet wird, trotzdem noch durch Uberzeugung zum Ziele führt.

Der frustrierte Schüler wird bemitleidet und beklagt, der Lehrer aber hat keine Frustrationen zu haben, obwohl er sich täglich an den Widersprüchlichkeiten seines Berufslebens wundreibt. Denn dieselbe Instanz, die dem Lehrer die Ziele setzt, versperrt den Weg hiezu durch immer neue, raffiniertere Hindernisse.

Die Prügel, die man dem Lehrer vor die Füße wirft, und die fortschreitende Demontage seines Selbstverständnisses als Mensch mit Anspruch auf entsprechende Wertschätzung bewirken eine Änderung im Lehrer selbst: eine Bewußtseinsänderung, wie sie manche Kreise nicht besser wünschen können. Er wird dargestellt als der, der die Schüler frustriert, streßt und peinigt. So kriecht ihn allmählich ein leises Schuldgefühl an. Seine Meinung von sich selbst und von seinem Stand ändert sich zum Negativen hin.

Dem geplagten Schüler ist stets das Mitleid der Öffentlichkeit sicher. Der Lehrer aber getraut sich nicht, über die Schwierigkeitn zu sprechen, die ihm die Schüler machen. Er kann kein Verständnis erwarten, sondern höchstens hämische Bemerkungen über seine pädagogischen Fähigkeiten.

Wenn in den Medien die Schule als problematische Institution hingestellt wird, die Schüler daher das Vertrauen in diese Einrichtung verlieren und nicht gerne in die Schule gehen, so wagt es der Lehrer nicht zu bekennen, daß er das Lehrziel nicht erreicht. Er möchte das Feld bestellen, aber andere säen das Unkraut und schaffen die Steine herbei. All seine Mühe ist umsonst; er resigniert und wird verbittert. Er leidet an all den seelischen Folgen, die eine unbe-dankte und unfruchtbare Arbeit erzeugt.

So bleibt es auch weithin unreflek-tiert, daß er allmählich zu einem unter-privilegierten Stand absinkt mit dem für einen solchen typischen Bewußtsein, nämlich der verminderten Bereitschaft, sich gegen Zumutungen und Beleidigungen zu wehren und seine berechtigten Ansprüche durchzusetzen.

Es ist ein Irrtum, zu meinen, daß die gute Schule von der Organisation abhänge, vom Lehrplan, vom Schulgesetz, oder daß man sie um den Medieneinsatz oder um das Schulbuch aufbauen könne.

Sondern die Schule hängt von den Lehrern ab. Nichts ist verderblicher für die Schule als Lehrer, die resignieren müssen. Es gibt zwar Kräfte, denen chaotische Zustände an der Schule gar nicht unwillkommen zu sein scheinen, und die daher solche anstreben. Alle verantwortlichen Instanzen aber, die wirklich die gute Schule wollen, müssen in erster Linie den Lehrer aufbauen.

Nur ein Lehrer, der Grund zum Optimismus hat, kann Fröhlichkeit in die Klasse tragen. Nur ein starker Lehrer kann gerecht sein. Nur wenn der Lehrer Anerkennung erhält und Bestätigung erfährt, kann er dasselbe auch den Schülern schenken. Nur wenn die Lehrer mit einem gewissen Maß an Vertrauen rechnen können, können sie auch die ihnen Anvertrauten bejahen und in Menschlichkeit und Zuneigung weiterführen.

Die Verfasserin ist Hauptschullehrerin in Rohrbach im MUhlviertel.

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