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Die Schwächen ins Bild gerückt
Solange ein Wissenschaftler nicht über den engen Zaun seiner Disziplin hinausblickt, bleibt er unbehelligt und geachtet. Kritisch wird es meist dann, wenn sich jemand an „heiße Eisen” heranwagt, an Institutionen zu rütteln beginnt oder gar feierliche Anlässe stört.
Anton Pelinka, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, ist so ein Mensch. Just im Jubiläumsjahr der Republik hat er sich mit einem Buch hervorgewagt, das man einen persönlich-politischen Essay nennen könnte: „Windstille -Klagen über Österreich” versucht, in 20 Bildern die verdrängten, die beiseite geschobenen, die negativen Kehrseiten der so liebevoll gehätschelten österreichischen gesellschaftlichen Realität zu fassen.
Da werden zum Beispiel der latente Antisemitismus, der Fremdenhaß, die Intoleranz gegenüber Außenseitern ins Bild gerückt. Pelinka weist aber darauf hin, und das ist entscheidend, daß solche Haltungen der Intoleranz, solch vordemokratische Erscheinungen das Ergebnis eines unheilvollen Zusammenspiels von Politik und Psyche sind. Das ist so bedrückend am österreichischen Klima - keine Seite wagt einen Ausbruch. Welcher Politiker hat seine
Stimme gegen einen Bürgermeister mit SS-Vergangenheit erhoben? Wer hat sich ernsthaft für die Minderheiten oder Gastarbeiter engagiert?
Das ist die wahre Windstille, von Pelinka als Abwesenheit von Konflikten definiert: Politik ist hierzulande das, was niemandem wehtut. Wer wehtut, wer an den Grundlagen der Ruhe rüttelt, der fällt aus dem Konsens heraus -mit manchmal unangenehmen Folgen.
Das Buch wird dort besonders spannend, wo Pelinka seine persönlichen Erfahrungen einbringt: sein Engagement gegen Obrigkeitsdenken in der Kirche, seine Erfahrungen mit Vereinnah-mungsversuchen der Sozialdemokratie, seine Erlebnisse indirekter Zensur von kritischen Analysen der Sozialpartnerschaft.
Pelinka schreibt mit Recht, daß
Windstille kein Dauerzustand sein kann. Die niedergehaltenen Konflikte müssen sich irgendwo entladen, und sie zeigen sich in Österreich in überfüllten Gefängnissen, in hohen Selbstmordraten, in der hohen Zahl psychosomatischer Erkrankungen.
Es gibt also, und das ist eine wichtige Erkenntnis, kein Leben ohne Konflikte. Wenn Politik „Opium von oben nach unten verabreicht”, dann bleibt eben nur mehr der Weg nach innen - in Auflehnung oder Resignation.
Viele österreichische „Tugenden”, wie die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, die Suche nach Sündenböcken, die Beschwörung von Gemeinsamkeiten, all das sind Zeichen für mangelnde Konfliktfähigkeit. Das sind nur oberflächliche Rezepte gegen Komplexität und Ohnmacht.
Und die Politiker greifen nur allzu gerne nach solchen Rezepten. Schließlich sind sie selbst besonders ausgeprägte Produkte dieser konfliktscheuen politischen Kultur.
Soweit die Diagnose dieses Buches, das laut Vorwort Unbehagen vermitteln will. Was aber ist Pelinkas Therapie?
Paul Parin meint, daß eine vernünftige Politik sich den kleinbürgerlichen Sicherheitsbedürfnissen nicht anpassen darf, sondern Ängste bestätigen und bestärken muß: jawohl, es schaut sehr schlimm um die Umwelt aus, wir müssen drastische Maßnahmen setzen. Das ist eine gänzlich andere Reaktion als die Worthülse vom „Umweltpionier”.
Vielleicht bemerken wir als Reaktion auf Pelinkas Buch eine ernsthafte Auseinandersetzung statt des diskreten Hinweises „Schuster, bleib bei deiner Wissenschaft”. Das schlimmste, was dem Buch passieren könnte, wäre Ignoranz: sie wäre aber die Bestätigung des Unbehagens und ein Hinweis darauf, daß die Hoffnung auf Lösungen von oben aufgegeben werden kann. Auch das ist ein Weg zur Autonomie — vielleicht sogar eine Voraussetzung dafür.
WINDSTILLE - KLAGEN UBER OSTERREICH. Von Anton Pelinka. Medusa Verlag. Wien 1985.
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