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Die Schwechater „Jakobiner“

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Wenn jemand das Schwechater „Amateurtheater St. Jakob“ kennt, dann am ehesten durch die seit 1973 im Schloß Rothmühle veranstalteten Nestroy-Spiele, die stets starke Resonanz in den Medien finden. Dieses professionell aufgezogene Theaterereignis ist sicher der Höhepunkt des Arbeitsjahres, das im Durchschnitt zwei weitere Inszenierungen umfaßt, davon eine im großen Saal der Schwechater Körner-Halle, die andere bisher im kleinen eigenen Lokal - eine Leihgabe der Brauerei Schwechat - mit etwa 50 Personen Fassungsraum, dessen baulicher Zustand aber nun keine Proben und Aufführungen mehr zuläßt.

Entstanden ist die Gruppe im Krieg. Seit 1942 wurden auf Initiative von Pater Dominik Poppen in der Kirche St. Jakob kleine religiöse Spiele, aber auch „Das große Mysterium“ und „Das große Welttheater“ von Calderon aufgeführt. Später lösten sich die „Jakobiner“ von ihrer Stammpfarre, mit der sie heute nur noch der Name verbindet, spielten in Gasthaussälen, landeten 1949 den ersten großen Erfolg mit Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“, etablierten sich 1960 in der neuen Körner-Halle und wurden durch die Nestroy-Spiele berühmt. Gastspiele im Ausland (Belgien, Schweiz, BRD, DDR, CSSR) und bei österreichischen Theatertreffen kamen hinzu, ferner die ehrenvolle Auszeichnung mit der Goldenen Max-Mell-Medaüle.

Hinter fast jeder erfolgreichen Amateurtheatergruppe steht ein äußerst aktiver Leiter, hinter diesem eine verständnisvolle Ehefrau. Das gut auch und vor allem für Schwechat. Walter Mock, der nach dem Krieg die Leitung der Gruppe übernahm, wollte von Jugend an Schauspieler werden, scheiterte aber am väterlichen Widerstand. Immerhin brachte er es als Amateur zu höchsten Ehren, integrierte 1960 sein Ensemble als Sektion in das von ihm selbst gegründete Kulturwerk in der Stadt Schwechat und amtiert heute auch - hauptberuflich ist er bei den österreichischen Bundesforsten tätig - als Leiter des Landesverbandes für Schulspiel, Jugendspiel und Amateurtheater in Niederösterreich. Seine Theaterbegeisterung wird von Frau und Kindern geteilt, alle sechs Mocks standen bereits zumindest einmal auf den Brettern. Unter den rund 70 Mitgliedern der Gruppe - Alter: 15 bis 60 - sind viele Wiener (darunter mehrere Ex-

Schwechater), etliche aus umliegenden kleineren Gemeinden und natürlich vor allem Schwechater (etwa der Kulturstadtrat der Braustadt, Friedrich Pfertner).

An Dekorationen und Kostümen besitzt man bereits einen ansehnlichen Fundus, nötige Neuerungen werden selbst besorgt. Der Spielplan umfaßt praktisch alles vom Klassiker über Boulevard- und Volksstück bis zum modernen Problemstück. Mock selbst schätzt den „Jedermann“, die Nestroy-Aufführungen - hier besonders „Lumpazivagabundus“ -, Kleists „Der zerbrochene Krug“, Mülers „Hexenjagd“, Frischs „Andorra“ und „Der Lügner und die Nonne“ von Curt Goetz als die größten Erfolge ein. Die zwölf Aufführungen der Nestroy-Spiele waren zuletzt praktisch ausverkauft (6000 Zuschauer), die anderen Vorstellungen sind schlechter besucht. 1975 ergab eine Erhebung bei den Nestroy-Spielen, daß 55 Prozent der Besucher aus Wien, 26 Prozent aus Stadt und Bezirk Schwechat, 16 Prozent aus dem übrigen Niederösterreich und 3 Prozent aus dem übrigen Bundesgebiet oder aus dem Ausland kamen. Rund 95 Prozent der Besucher waren so zufrieden, daß sie wiederkommen wollten.

Schon werfen die nächsten Nestroy-Spiele, geplant ist „Der Unbedeutende“, ihre Schatten voraus. Dazu kommen das ebenfalls bereits traditionelle Internationale Nestroy-Symposium, eine Ausstellung und als Gustostückerl Nestroys „Frühere Verhältnisse“ in vier Versionen: je eine aus der Schweiz, aus der BRD, aus der DDR und aus Wien (durch die in dieser Serie bereits behandelte Amateurgruppe „team 65“). Als übrigens 1972 nach einer „Jedermann“-Freüichtaufführung im renovierten Schloß Rothmühle durch die St. Jakob-Gruppe die Idee zu einem ständigen Sommertheater auftauchte - Initiatoren waren Dr. Gottfried Heindl vom Bundestheaterverband, der Schauspieler Bruno Dallansky und der Schriftsteller und FURCHE-Mitarbeiter György Sebesty6n -, wollte man zunächst die Schwechater Laien nur als Ubergangslösung akzeptieren und später auf Profis umsteigen. Inzwischen hat man diese Pläne fallengelassen. Wohl ist bei den Nestroy-Spielen ein Berufsregisseur (bisher Peter Gruber) am Werk, aber es blieb bei Laienschauspielern. Die Schwechater „Jakobiner“ werden sich hoffentlich auch in Zukunft als Hausherren behaupten. HEINER BOBERSKI

Konzerte

Nicht für die Ewigkeit geschrieben ist dieses Requiem, das Gae-tano Donizetti zum Tode seines verehrten Meisters der Belcanto-Oper, Vincenzo Bellini, komponierte. Ein Werk von interessanter, farbiger Melodik, wie fast alles, was aus Do-nizettis Feder stammte; aber im Grunde ein Stück ohne Kraft, ohne stilistische Einheitlichkeit, ohne den genialen Wurf, wie er etwa Verdis Requiem auszeichnet. Die Aufführung im ORF-Zyklus des Wiener Musikvereins durch ORF-Symphonieorchester und -Chor unter Argeo Quadri bestätigte das. Auch wenn das Solisten der ersten Sängerelite angehört hätten, wäre der Eindruck wohl kaum gewichtiger, kaum tiefer gewesen. Man spürt zuviel die nur hübsche Oberfläche, hinter der sich wenig an Substanz verbirgt. Auch der souveräne Maestro Quadri konnte da mit beschwörender Gestik nicht viel ändern. Vivaldis „Gloria“ ergänzte die, Raritätenschau. R. W.

Im Konzerthaus konnte man die Gegenüberstellung eines traditionellen, geradezu wienerischen Beethovenbüdes mit der analytisch klaren Auffassung einer jungen Pianistin erleben: Die Georgierin Elisabeth Leonskaja, in schlichtes Steinway-Schwarz gehüllt, spielte das fünfte Klavierkonzert. Die anfängliche Nervosität war rasch überwunden, die Leonskaja führte ihre temperamentvolle Musikalität ins Treffen und brillierte mit perlenden Trillern und Laufketten. Die Begleitung dickte den Klang etwas ein. Vorher gab es die erste und die zweite Symphonie: kein glückliches Nebeneinander zweier relativ früher Werke, aber Erich Leinsdorf wußte nicht nur genau, was er wollte, er übertrug seinen Willen mit klarer, unprätentiöser Zeichensprache auf die Wiener Symphoniker und erreichte eine in dem Tempi etwas verhaltene, kluge Wiedergabe. Am 31. März geht es mit der „Eroica“ und dem dritten Klavierkonzert weiter.

HERBERT MÜLLER

Ein Streit um Oberammergau

In Oberammergau, dem 5000-See-len-Dorf der Holzschnitzer, Gastwirte und immer weniger werdenden Bauern am Fuße des Kofel, geht der seit Monaten schwelende Streit, welcher Text beim 1980 fälligen Passionsspiel zum Zuge kommen soll, weiter. Zur Wahl stehen die von der Kritik als „süßlich-kitschig-antisemitisch“ abqualifizierte Version des früheren Ortspfarrers Daisenberger mit der Musik von Rochus Dedler, die bisher gespielt wurde, und die zur Barockzeit vom Ettäler Benediktiner Rosner geschriebene und von Franz Xaver Richter vertonte „Passio“. Der letzteren werden nach mehreren Probeaufführungen im Herbst von namhaften Vertretern der katholischen, evangelischen wie auch von der israelitischen Kultus-Gemeinde unisono Lob gezollt und ein höherer künstlerischer Wert bescheinigt. Auch das Presseecho war überwiegend positiv.

Doch diese Stellungnahmen küm-

mern die traditionalistischen „Daisenberger“ wenig. Angeführt von Bürgermeister Zwink verwiesen sie darauf, daß ihre Fassung sich über fast ein Jahrhundert hin bewährt habe, daß sie im guten Sinne bäuerliches Laienschauspiel und frommen Sinn vereine und die antijüdischen Passagen entschärft worden seien. Die Bibel könne man eben nicht umschreiben. Die halbe Million Besucher 1970 und die rund 40 Millionen Mark Einnahmen hätten außerdem deutlich gemacht, daß trotz einiger Boykottmaßnahmen aus Amerika die Richtung nach wie vor stimme und den entsprechenden Anklang finde.

Der reformierte Flügel der „Rosner“ - angeführt vom Christus-Darsteller von 1970, dem stellvertretenden Bürgermeister Dr. Fischer und dem Judas-Spieler Schwaighofer, Chef der Schnitzer schule, ist indes völlig konträrer Meinung. Für sie ist Daisenberger eindeutig überholt, ohne künstleri-

schen Gehalt, theologisch verkürzt. Im Barockdichter Rosner glauben sie dagegen einen Autor gefunden zu haben, der Kunst und religiösen Gehält vereint, die Anklage gegen die Juden durch den symbolisch gezeigten Kampf zwischen Gut und Bös, Himmel und Hölle, beinahe gegenstandslos macht und in seiner barocken Art dem bayrischen Lokalkolorit am besten entspricht.

Seit den sechs Probeaufführungen im Herbst, in die immerhin 1,4 Millionen Mark investiert und gut zur Hälfte durch Eintrittsgebühren wieder hereingespielt werden konnten, schlagen die Auseinandersetzungen hohe Wellen. Mehr als einmal haben sie zum handfesten Krach geführt. Der Forderung nach einem Volksentscheid entsprach der mehrheitlich reformerisch gesinnte Gemeinderat insofern, als er das Münchner Infratest-Institut mit einer allgemeinen Befragungsaktion beauftragte, bei der nicht nur nach

dem schlichten Ja und Nein zu den beiden Alternativen, sondern auch nach dem Lebens- und Motivhintergrund des Antworters gefragt wurde. Als dann im Dezember die rund 3600 Stimmberechtigten Gelegenheit erhielten, ihr Blatt mit den elf Fragen auszufüllen, starteten die „Daisenberger“ eine Boykottaktion, die nur das Ja oder Nein beantwortet haben wollte.

Das Mitte Januar veröffentlichte Ergebnis zeigte, daß sich — bei einer „Wahlbeteiligung“ von 68 Prozent - die Mehrheit (60 Prozent) für das bisherige Spiel und nur 34 Prozent für eine Reform ausgesprochen hatten. Bei den vollständig ausgefüllten Fragebögen hält sich die Entscheidung hingegen die Waage. Interessante Hinweise vermitteln die Einzelauswertungen. Danach waren es vor allem die Frauen sowie die Gruppe der 40- bis 60jährigen und die Jugendlichen (im Alter von 16 bis 20), die für die traditionelle Version stimmten. Zur Reform bekannten sich dagegen mehrheitlich Männer, die Altersgruppe zwischen 20 und 40, die

unmittelbar wirtschaftlich von den Passionsspielen Betroffenen sowie die Mehrheit der Schauspieler. Zusammenfassend stellte Infratest eine „von ihren Verfechtern mehr emotional als rational gegründete Präferenz für die Daisenberger-Fassung“ fest.

Die letzte Entscheidung ging an den reformerisch geprägten Gemeinderat. Doch dieser wurde im März neu gewählt, und so ist denn der WahU kämpf in Oberammergau zur zweiten leidenschaftlichen Auseinandersetzung darüber geworden, wie „der Passion“ - so nennt man hier die Spiele -zur Aufführung gelangen soll. „Hie Daisenberger“, „hie Rosner“ lautete der Schlachtruf um ein christliches Thema, das wohl wie kein anderes auf Versöhnung hinzielt. Und die Oberammergauer mußten sich insgesamt die Frage stellen lassen, weshalb sie Gestriges mit Vorgestrigem - das 19. Jahrhundert mit dem 18. Jahrhundert - reformieren wollen. Seit den Gemeinderatswahlen scheinen sie selbst dazu nicht mehr Willens oder fähig.

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