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„... die Seinen nahmen ihn nicht auf“

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Von Anfang an liegt über Weihnachten eine gewisse Tragik. Jesus, dessen Geburtstag wir feiern, wird von vielen in seiner Bedeutung nicht erkannt und nicht aufgenommen. Der Evangelist Lukas erwähnt diese tragische Tatsache nur mit einem Nebensatz: „Maria wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für ihn war“ (Lk 2,7).

Der Evangelist Johannes aber deutet dieses Geschehen mit den lapidaren Worten: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt. Die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,9-11).

Der da gekommen ist, immer neu kommt, und keine Aufnahme findet, das ist Jesus, „das Wort, das Fleisch geworden ist“ (Joh 10, 14).

Das „Eigentum“, in das er kommt, ist das Volk Israel, aber auch die heutige Welt und auch die Kirche in unseren Tagen.

Die „Seinen“, die ihn nicht aufnehmen, das sind nicht nur die Zeitgenossen Jesu, das sind Menschen aller Zeiten und auch so manche Christen.

Aber warum wird Jesus, von dem so viel Gutes berichtet wird, von dem Johannes sagt, daß er der Logos, das Wort ist, durch das alles geschaffen wurde, und das Licht, das alle erleuchtet, von vielen Menschen nicht erkannt und nicht aufgenommen? Hat der Mensch sich selbst so absolut gesetzt und die Welt so sehr für sich in Anspruch genommen, daß er vom ursprünglichen Eigentümer nichts mehr wissen möchte und sich von niemandem in seinen Plänen und in seinem Tun stören lassen will? Oder ist er so böse, daß er das Licht, das alles erleuchtet, scheut?

Das mögen Ursachen sein. Aber es gibt noch andere Gründe, warum Jesus nicht erkannt wird und keine Aufnahme findet. In Jesus kommt Gott in einer Gestalt, die den Gottesvorstellungen fast aller Menschen widerspricht.

Gott, der sich in Jesus zeigt, ist nicht der Mächtige, der seine Herrschaft durchsetzt und sein Reich aufrichtet; er erscheint vielmehr als der Hilflose, als Kind in der Krippe, als der Gekreuzigte, als einer, der von den Mächtigen besiegt wird.

Gott, der sich in Jesus offenbart, ist auch nicht der Revolutionär, der mit Gewalt die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht. Alle, die dies erwartet haben, waren enttäuscht.

Gott, der sich in Jesus zeigt, ist nicht der Erfolgreiche. Gerade das ist es auch, was der Großinquisitor von Fjodor M. Dosto-jewskij Jesus vorzuwerfen hat: „Hättest du Krone und Schwert genommen, so hätten sich dir alle freudig unterworfen. In einer einzigen Hand wäre die Herrschaft über die Leiber und über die Seelen vereint, und das Reich des ewigen Friedens wäre angebrochen. Du hast es versäumt Du stiegst nicht herab vom Kreuz, als man dir mit Spott und Hohn zurief: Steig herab vom Kreuz, und wir werden glauben, daß du Gottes Sohn bist. Du stiegst nicht herab, weil du die Menschen nicht durch ein Wunder zu Sklaven machen wolltest, weil dich nach freier und nicht nach einer durch Wunder erzwungenen Liebe verlangte“.

Gott, der sich in Jesus zeigt, befreit die Menschen auch nicht von jeglichem Leid; er nimmt in Jesus das Leid auf sich, er läßt Jesus eines gewaltsamen Todes sterben.

Das Gottesbild, das in Jesus offenbar wird, ist tatsächlich „den Juden ein empörendes Ärgernis und den Heiden eine Torheit“( (1 Kor 1,23). Viele erkennen in Gott, der im Leben Jesu sichtbar wird, nicht „ihren“ Gott und nehmen ihn darum nicht auf.

Auch die Christen und christlichen Kirchen tun sich oft schwer, Gott, wie er sich in Jesus geoffenbart hat, als „ihren“ Gott zu erkennen und aufzunehmen. Sie sind ständig in Versuchung, sich mit den Mächtigen oder mit jenen, die mit Gewalt nach Macht streben, zu verbünden, um ihre Ziele erfolgreicher zu erlangen und sich den mühsamen Weg der Freiheit, der Wahrheit und der Liebe zu ersparen. Und auch in den eigenen Reihen ist die Kirche ständig versucht, das mit Zwängen durchzusetzen, was sie nach dem Vorbild Jesu nur auf dem Weg der Freiheit und Liebe erreichen kann.

Die Christen - der Papst, die Bischöfe, Priester, alle Gläubigen sollten aber nicht nur Gott, wie er sich in Jesus zeigt, selbst erkennen und aufnehmen, sondern diesen Gott auch repräsentieren. In ihrem Leben, Handeln und Reden soll jener Gott hier und heute sichtbar und erfahrbar werden, der in Jesus Christus unter den Menschen war und ist.

Die Insignien Jesu waren nicht die Insignien der Macht, Papst Paul VI. hat die dreifache Krone verkauft und den Erlös den Armen gegeben. Das war ein wichtiges Zeichen. In Richtung dieses Weges gibt es nicht nur für Päpste und Bischöfe noch viel zu tun. Gott soll repräsentiert werden, nicht als der Mächtige, sondern als jener, der auf Gewalt verzichtet, als jener, der den Menschen nicht zum Sklaven macht, sondern zum Freien und Liebenden.

Weihnachten bringt uns Jahr für Jahr die Wahrheit in Erinnerung. Gott kommt in der Gestalt des Menschen; er kommt besonders in der Gestalt des Armen, des Hungernden, des Leidenden, des Ausgestoßenen, des Gescheiterten, des Suchenden, des Sünders.

Das Verhalten zu den Armen und Benachteiligten jeglicher Form ist eine Nagelprobe für die christlichen Kirchen und für jeden einzelnen Christen.

Weihnachten ist ein Anlaß, zu überdenken, wie wir uns zu den Armen und Benachteiligten verhalten. Gibt es unter den Christen tatsächlich die heute so oft genannte Option für die Armen? Hat der materiell, psychisch, sittlich oder religiös Arme einen Platz in der Kirche? Sie soll sich so wandeln, daß sie fähig wird, die Armen so aufzunehmen, wie sie Jesus aufgenommen hat.

Wo das geschieht, erfüllt sich auch das Wort des Evangelisten Johannes: .Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (1,12). Wo es gelingt, Jesus besonders in der Gestalt des Armen aufzunehmen, und ihn so aufzunehmen, wie ihn Gott durch Jesus aufnimmt, dort eröffnen sich neue Horizonte. Der Mensch wird Gott ähnlich, mit Gott verwandt, Kind Gottes.

Wo Christen so zu leben versuchen, dort bricht das Reich Gottes an; das Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe.

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