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Die Selbstabwertung der Presse

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Die Boule vardiiisierung geht weiter: Der „Express” ist auf der Strecke geblieben, es gibt nun eine Zeitung weniger am Wiener Zeitungsmarkt. Nach einem Auf und Ab bewegter Zeitungshistorie hat das zwischen „unabhängig” und „rot” hin- und hergerissene Blatt nunmehr das Feld geräumt, auf dem es sich wirtschaftlich nicht mehr behaupten konnte.

Zurück bleibt ein Markt, auf dem derzeit noch zwei Parteitagesizeitun- gen existieren (die sozialistische „Arbeiter-Zeitung” und die kommunistische „Volksstimme”), außerdem die renommierte „Presse” und zwei parteiungebundene Auflagenriesen, nämlich der „Kurier” und die „Kronan-Zeitimg”.

Aber schon diskutiert man in der SPÖ neuerlich die Einstellung der „Arbeiter-Zeitung” (die — so die „Zukunft” — für den Augenblick gesichert ist). Auf wie lange?

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der „Presse” und ihrer Herausgeber sind bekannt, die „Volksstimme” erscheint schon heute unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

Hinter dieser Entwicklung, die auch die Bundesländerzeitungen erfaßt hat, steht freilich ein wtenig mehr als nur Verschiebungen auf einem Teil des kapitalistischen Marktes, dessen Gesetze sich primär nach der Nachfrage richten; hinter dieser Entwicklung steckt ein Prozeß zunehmender Vermachtung der Öffentlichkeit durch ganz wenige Meinungskonkurrenten.

Nun ist die Vielfalt der Publizistik aber ein ganz wesentliches Element einer funktionierenden Demokratie, gekennzeichnet durch ein breites Spektrum veröffentlichter Meinung und Informationsplurialität.

Welcher Entwicklung aber sehen wir uns schon seit längerem gegenüber? Tatsächlich werden bald an die 90 Prozent des ostösterreichischen Lesermarktes nur von zwei Zeitungen beherrscht werden. Abgesehen von der Verzerrung der Konkurrenz engt sich das Breitband der Information, an sich bereits durch Auswahl und Transformierung über mehrere Informationsträger verändert, in unzumutbarem Maße ein. Was 90 Prozent unserer Bürger auf schriftlichem Wege erfahren, modellieren ganz wenige, im Letzten zwei Chefredakteure. Das aber ist gefährlich nahe an jener Schnittlinie, durch die sich ©ine offene Demokratie von einer manipulierbaren, informationsbeschränkten und amputierten Normgesellschaft unterscheidet.

„Macht durch Information” — diese Fragestellung war durch zwei Jahrhunderte als Kampf um Publizistik und als Kampf um äußere und innere Pressefreiheit markiert. Metternich und Gentz: sie wußten, warum Ihre vormärzliche Rigoroszensur zum Kontrapunkt einer Entwicklung des europäischen Geisteslebens wurde, die 1848 mit jenem so vehementen Aufbruch explodierte. Denn jener nachvollzogene Prozeß bürgerlicher Öffentlichkeit führte in Österreich mit der institutioneilen Sicherung des Räsonnement« schnurgerade zur demokratischen Neuordnung. Aus dem Räsonnement entwickelte sich jene Funktion der Kontrolle und Kritik, die im Dienste eines veränderten gesellschaftlichen Bewußtseins die Zeitungen auszuüben haben, will eine Demokratie funktionstüchtig sein — funktionstüchtig im Sinne der Erziehung mündiger Bürger, im Sinne der Weckung staatsbürgerlichen Selbstverständ- nisses vollinformierter Wähler.

Was wir freilich heute erleben, ist ein Zeitungs-Diopol ahne öffentliche Aufgabe, ein Institut der Marktkonkurrenz in Richtung auf die Eskalierumg des Geschmackes und der Bildung nach unten. Tatsächlich müssen ja Zeitungen, je größer ihre Auflage wird, möglichst meinungslos werden, müssen so schreiben und informieren, daß sie möglichst keinen Leser vergrämen und zum Konkurrenten treiben. Was also eintritt, ist zwangsläufig eine Tendenz zum Un-, ja Antipolitischen, eine Flucht in die Lokalmeldung, bei der Crime und Klatsch überwiegen. Niemand will es sich mehr leisten, zu einer umfassenden Meinung seiner Leser bedzutragen: jeder muß fürchten, durch angebotene Irufor- maticmsvielfalt sich selbst Platz für die Story zu stehlen, die ein immer breiter werdendes Medienpublikum erwartet.

Es wird viel darüber diskutiert, ob die Presse eine öffentliche Aufgabe habe und ob diese öffentliche Aufgabe auch vom Staat und von der Gesetzgebung anzuerkennen sei. Man muß sich heute fragen, ob die übergroßen Tageszeitungen tatsächlich noch diese arrondierte öffentliche Aufgabe erfüllen, ob die Demokratie einen Gewinn aus einer (etwa verfassungsgesetzlichen) Tabuisierung ziehen kann.

Denn zuviel hat sich fließend schon entwickelt. Und vor allem ist da als neues Medium das Fernsehen eingerückt, das ganz entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung am Zeitungsmarkt genommen hat. Dort, in diesem Medium manifestiert sich heute auch eine öffentliche Aufgabe, soll ein Vorschriftenpaket des Rundfunkgesetzes zur Ausformung kommen, das im letzten eine maximale und objektive Information der Öffentlichkeit garantieren will.

Man muß es heute aussprechen: das (Gott sei Dapk!) Monopolunternehmen bietet “in seinen fünf Programmen tatsächlich noch die größte Informationsmenge, verarbeitet in möglichst direkter Form Zeitgeschehen und beteiligt sich nicht an der apolitischen Niveau deformie- rung.

Um so bedauerlicher ist es daher dann, wenn sich der Staatsrundfunk selbst an Pressekriegen beteiligt , (wie das im letzten Herbst so augenfällig der Fall war). Denn Rundfunk und Fernsehinformation haben seit dar österreichischen Rundfunkreform faktisch jene Aufgabe übernommen, die leider die großen Tageszeitungen nicht mehr wahrnehmen.

„Information permanente” — ein Wahrwort unserer Zeit — ist „Education permanente”. Eine Gesellschaft ohne ständige Konfrontation ihrer Bürger mit den Meinungen der Zeit, ohne Information über die Zusammenhänge der Welt muß im internationalen Wettlauf industrie- a’lisierter Zivilisation unterliegen. Die Presse ist von der Geschichte einst zu dieser Aufgabe aufgerufien worden. Sie ist auf dem Weg, ihren Part zu verspielen.

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