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Die Selbstausschaltung Europas

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Wir leben in einem überaus kriegerischen Jahrhundert. Es begann mit dem Burenkrieg in Südafrika, auf den der Russisch-Japanische Krieg folgte, worauf zwei Balkankriege den Auftakt zu einem Zeitalter der Weltkriege bildeten. Seit 1945 gab es sogenannte lokale Kriege in Palästina, in Korea, in Vietnam, in Algerien, noch einmal in Vietnam und wiederholt im Nahen Osten — von den Interventionen fremder Mächte in Osteuropa, in Afrika und in Lateinamerika nicht zu reden.

Das wären genug Gründe, um nach Mitteln zur Herbeiführung des Friedens, zur Vermeidung neuer Kriege und zur Organisierung des friedlichen Zusammenlebens der Völker im internationalen Rahmen Ausschau zu halten.

Herbeigeführt wurde bloß ein prekärer Friedenszustand in Korea und in IndoChina — falls man nach dem Abzug der Amerikaner von Frieden in Vietnam und in Kambodscha sprechen kann (was kaum der Fall ist). Und in Genf ist immerhin eine Konferenz zusammengetreten, an der zum erstenmal versucht wird, Israeli und Araber zur Erörterung einer seit 25 Jahren andauernden Konfliktsituation zu bewegen (um njpji't zu sagen: zu zwingen). Diese Versuche, Friedensabkommen unter dem Druck der Großmächte herbeizuführen, Abkommen, die von den Unterzeichnern kaum ernstgenommen und bei der ersten Gelegenheit gebrochen werden, sind sicherlich keine genügende Friedensgarantie.

In Indochina und dem Nahen Osten fehlt das, was man „Versöhnung“ nennt und erst die Grundlage eines aufrichtigen Friedenszustandes bilden kann. Es fehlt auch das Vertrauen — und daher die Voraussetzung der Sicherheit.

In anderen Fällen — und das gilt glücklicherweise für Europa — beruht der Friedenszustand auf sogenannten „normalen“ Beziehungen zwischen den Staaten. Wie versöhnlich und einvernehmlich sich zum

„Unabhängig“ — das war in den fünfziger und sechziger Jahren der Qualitätsausweis von Zeitungen, die sich nicht mehr politischen Gruppierungen verpflichtet fühlten.

Die Zeit dieses Wonnemonds dauerte nicht lange. Immer mehr Zeitungen geraten heute wieder in Abhängigkeiten. Und der neueste Schnellgang im Presse-Karussell endet dort, wo man einst angefangen hat — in der totalen Markt-verschränkung. Heute sind nicht mehr Parteien die geheimen (und offenen) Zeitungszaren, sondern die Interessenvertretungen. Kammerfunktionäre und ÖGB-Sekretäre als Schatten hinter Journalisten, die sich sowieso schon seit langem wie Landsknechte an Meistbietende verkaufen: das zeichnet sich am düsteren österreichischen Himmel heute ab. Und wenn gar die beiden Zeitungsriesen „Kurier“ und „Kronen-Zeitung“ einen gemeinsamen SuperChefredakteur erhalten — dann ist das schlichtweg ein Henkersdienst am Rest von Glaubwürdigkeit, den sich diese Medienbranche noch bewahrt hat.Beispiel die deutsch-französischen Beziehungen seit einem Vierteljahrhundert gestaltet haben, hätte kein Zeuge der beiden Weltkriege vorauszusagen gewagt. Nun hat auch die Entspannungspolitik den Ost-West-Gegensatz wenigstens atmosphärisch entschärft,

Diese Konvergenz der amerikanischen und sowjetischen Interessen war nur möglich, weil sich sowohl West- wie auch Osteuropa mit einem politischen Zustand zufriedengeben mußten, den der französische Außenminister unverblümt ein „amerikanisch-russisches Kondominium“ genannt hat. Die beiden Großen haben faktisch Europa als selbständig handelnden Faktor ausgeschaltet. Wie lange Europa in diesem Zustand verharren wird, ist eine Frage, die alle Regierungen einer möglichst fernen Zukunft zur Beantwortung überlassen möchten; denn jeder grundsätzliche politische Positionswechsel, den einer der großen europäischen Staaten versuchen könnte, müßte nicht nur unseren Kontinent erschüttern, sondern würde in irgendeiner Form auch die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion auf den Plan rufen. Europa hat Frieden auf Grund einer Zwangslage, die man akzeptiert, we^il sie gestattet, den Krieg und daher die Vernichtung Europas zu vermeiden.

Die bloße Herbeiführung von Friedensabkommen und die erzwungene Vermeidung von Konflikten kann kaum als ein Idealzustand betrachtet werden. Die Organisierung des Friedens nach verbindlichen Regeln, wie sie der Völkerbundpakt aufgestellt hatte und die Charta der Vereinten Nationen vorschreibt, wäre eine Aufgabe, der sich die Völker in einem Geist widmen sollten, der sowohl von ehrlichem Friedenswillen als auch von einem gesunden Selbsterhaltungstrieb getragen sein müßte. Beide Weltorganisationen — der ehemalige Völkerbund und die Vereinten Nationen — haben auf dem Gebiete der praktischen internationalen Zusammenarbeit Bedeutendes geleistet, das nur deshalb nicht genügend in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, weil auf dem machtpolitischen Felde ihre Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt waren und sind.

Die gegenwärtig in Genf tagende Konferenz zur Beilegung des Nahostkonflikts erhellt diese Sachlage. Zwar liegen ihren Beratungen die Resolutionen des Sicherheitsrates zugrunde, und die Vereinten Nationen stellen ihre Räumlichkeiten, ihre technischen Einrichtungen und ihr Personal zur Verfügung. Aber in der UNO-Versammlung in New York konnte keine Debatte über den Nahen Osten stattfinden, weil nach den Statuten eine Frage, die beim Sicherheitsrat anhängig ist, von der Versammlung nicht diskutiert werden darf. Das gestattet den beiden Supermächten, die Szene in Genf zu beherrschen und die Konfliktparteien unter Druck zu setzen, weil sie den lästigen Brandherd im Orient endlich loswerden möchten.

Aber man sollte über das Tagesgeschehen hinausblicken. Es könnte über kurz oder lan geschehen, daß die beiden Imperien, die heute einander helfen, ihre Machtpositionen in der Welt aufrechtzuerhalten, doch wieder Rücksicht auf andere Regionen, Völker und Staaten werden .nehmen müssen.

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