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Die Selbstgerechten

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„Diffamierungskampagne und Kopfjägerei” - „Heuchelei und Verleumdung” - „Lüge”

Mit harten Worten trat vergangenen Donnerstag Finanzminister Hannes Androsch, derzeit Österreichs meist- angegriffener Politiker, zur selbstgerechten Rundumverteidigung an. Und die läuft darauf hinaus: Nach der geltenden Gesetzeslage kann einem Finanzminister kein Strick daraus gedreht werden, wenn er äußerst vitale Querverbindungen zu einer Steuerberatungsfirma unterhält, die dazu da ist, ihre Klienten dem Finanzminister gegenüber in Schutz zu nehmen.

Angriff für Angriff wird von Androsch juristisch pariert. Man nehme zur Beweisführung eine Handvoll Paragraphen aus den Bestimmungen der Kammer für die Wirtschaftstreuhänder, aus dem Unvereinbarkeitsgesetz, aus dem Einkommensteuergesetz: Und schon ist die weiße Weste wieder weiß!

Frei nach dem Motto „Was nicht verboten ist, ist alles erlaubt”, glaubt Androsch, sich nichts Unbilliges vorwerfen lassen zu müssen. Aber ist es für einen Spitzenpolitiker ausreichend, den Gesetzen gemäß zu handeln? Ist nicht der absolute Wille, gesetzestreu zu leben und zu handeln, eine Art sittliche Mindestausstattung des Politikers? Ist es nicht so, daß für einen Spitzenpolitiker besonders hohe ethisch-moralische Maßstäbe gelten, wonach für ihn alles das, was für einen einfachen Bürger ausreicht, um mit dem Gesetz nicht in Konflikt zu kommen, als unbefriedigendes Zuwenig erscheinen muß?

Hannes Androsch hatte in gewissem Sinne in den letzten Wochen jenseits der Grenze einen Zwillingsbruder: Hans Filbinger, den langjährigen und erfolgreichen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der nun nach mehrmonatigen Angriffen sein Amt zur Verfügung gestellt hat.

Die gegen Filbinger vorgebrachte Kritik war sachlich freilich eine total andere: Vom Schriftsteller Rolf Hoch- huth als „furchtbarer Jurist” bezeichnet, der noch nach Hitlers Tod deutsche Matrosen mit „Nazi-Gesetzen” verfolgt habe, beschritt Filbinger den

Rechtsweg. Er wollte den Beweis an- treten, sich als Marinerichter 1945 exakt an die ihn bindenden Gesetze und sonstigen Normen gehalten zu haben.

Die militärischen Pflichten, die Filbinger als Marinerichter erfüllen mußte, haben neben ihm Tausende andere Filbingers getan. In allen Armeen, und meist ohne je ins Zwielicht geraten zu sein. Das spezifische Problem des Hans Filbinger aus Baden-Württemberg beginnt wahrscheinlich an einem ganz bestimmten Punkt: Dort, wo er sich die Frage stellen muß, ob das, was er im Dritten Reich getan, unterlassen, gedacht und gesagt hat, mit den für einen Spitzenpolitiker geltenden höheren ethisch-moralischen Maßstäben in Einklang zu bringen ist. Das Problem verschärfte sich für Filbinger, als entgegen seinen selbstgerechten Beteuerungen immer neue Todesurteile, an denen er beteiligt war, bekannt wurden. Angesichts Filbingers Gedächtnislücken, die zusehends seine eigene Partei bedrohten, fragten sich die Deutschen: Lügt der Ministerpräsident oder hat er keine Moral?

Ausdrücklich sei festgehalten, daß die Schwere der gegen Filbinger gerichteten Vorwürfe keineswegs mit der hitzigen Kritik an Androschs sonderbarem Doppel-Beruf auf eine Stufe gestellt sein soll. Frappierend ist nur die Parallelität, das Politiker mit einer rein rechtlichen Argumentation das Auslangen zu finden glauben. Als ob alles, was strafrechtlich irrelevant ist, logischerweise auch moralisch und politisch bar jeder Relevanz wäre.

Frappierend ist eine weitere Parallele, wonach Filbinger, ebenso wie Androsch den Märtyrer mimend, den Angriffen entgegentrat: „Es ist dies eine Rufmordkampagne, die in dieser Form bisher in der Bundesrepublik nicht vorhanden war”, kommentierte Filbinger seinen Rücktritt. Auch Filbingers Worte „Mir ist unrecht geschehen” könnten genauso von Hannes Androsch stammen.

In kaum einem anderen Spannungsbereich tritt der Gegensatz zwischen Moralität und bloßer Legalität, wie ihn schon Kant formuliert hat, so deutlich zutage wie im politischen Felde. Kein auch noch so ausgeklügeltes Gesetz wird es je dem vom Volk beauftragten Mandatar abnehmen können, seine sehr persönliche Antwort auf die Frage der politischen Ethik zu finden. Uber das Gewissen ist auch jeder Politiker sein eigener Herr.

Der FPÖ-Bundesparteiobmann Friedrich Peter hat seine persönliche Antwort auch gegeben: Als er wegen seiner Weltkriegsvergangenheit als Mitglied der 1. SS-Infanteriebrigade schärfsten Attacken ausgesetzt war, muß sein persönlicher Eindruck von der eigenen Moralität und Glaubwürdigkeit ein insgesamt positiver gewesen sein (was nicht ausschließt, daß seine eigene Partei anders dachte und längst ih aller Stille in Richtung Götz marschiert war): Der FPÖ-Obmann entschloß sich damals nicht, seinem politischen Spitzenjob adieu zu sagen.

Auch der einstige Landeshauptmann Erwin Wenzl hat auf seine Art eine persönliche Antwort auf sein Problem gegeben: Wohl wissend, daß das, wofür er sich in seinem privaten Bereich entschied, Tausende andere tun, und wohl wissend, daß die fesche „Begleiterin” bei manchen anderen Politikern als Statussymbol längst den Rennwagen ausgestochen hat, nahm er Abschied vom Amt und Würden: Er trat als Landeshauptmann und ÖVP- Obmann von Oberösterreich zurück, bevor auch nur irgend jemand auf die Idee gekommen war, dies von ihm zu verlangen.

Noch einmal: Die Probleme aller vier sind nicht gegeneinander aufrechenbar. Aber es fällt auf, daß der, der am weitaus geringsten ins Zwielicht geraten war, die härtesten Konsequenzen zog. Aber alle Politiker sollten sich von Zeit zu Zeit die selbstkritische Frage stellen: Bin ich noch der, für den mich die Wähler gehalten, als den sie mich gewählt haben?

Vielleicht haben wir die Politiker in der Vergangenheit viel zu lange ihrem eigenen „Schicksal” überlassen. Wenn man Politiker in völliger Eigenregie beschließen läßt, wieviel sie verdienen, was sie der Steuer schuldig sind, wie ihre Immunität beschaffen ist und welche sonstigen Privilegien sie besitzen, darf man sich eines Tages nicht wundern, wenn der Sinn für moralische Werte in der Politik zu schwinden beginnt.

In den letzten Tagen war viel die Rede davon, daß die Politiker durch ein Gesetz zur Offenlegung ihres Vermögens angehalten werden sollten. Es wäre wünschenswert, wenn mit einer radikalen Neuordnung aller die Stellung von politischen Mandataren betreffenden Regelungen (Bezügegesetz, Unvereinbarkeit, Immunität etc.) auch der Zwang zur permanenten moralischen Offenlegung verbunden werden könnte - indem der Politiker jederzeit mit seiner ganzen Persönlichkeit „öffentlich einschaubar” gemacht wird. Denn wenn die Schleusen in die tieferen Sphären der Politiker-Seele nur dann und wann geöffnet werden, ist nicht zu verhindern, daß Dinge mit heraufgespült werden, die besser unten geblieben wären.

Der Eintritt ins politische Geschäft sollte wieder mehr den Charakter einer Risikoinvestition bekommen: Wer Erfolg hat, etwas leistet und korrekt ist, soll gut verdienen und Ansehen genießen. Wer sich danebenbenimmt, soll seinen Konkurs anmelden. Insbesondere den moralischen.

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