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Die serbische Provokation

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Kosovo ist das Armenhaus Jugoslawiens. Durch politische Mobilisierung der Serben gerieten die Albaner schwer unter Beschuß. Der Vielvölkerföderation droht der Zerfall.

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Kosovo ist das Armenhaus Jugoslawiens. Durch politische Mobilisierung der Serben gerieten die Albaner schwer unter Beschuß. Der Vielvölkerföderation droht der Zerfall.

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„Die Zeiten der Vernunft sind endgültig vorbei“, urteilt „Mladi-na“, das Skandalblatt Jugoslawiens. Der slowenischen Wochenschrift, die unzählige Male verboten, eingestampft und zensuriert wurde, die sich ihren Weg jedoch immer wieder freischaufelte, um zu provozieren, aufzurütteln und Kontroversen einzuleiten, verschlägt es die Sprache. „Es ist hoffnungslos“, heißt es in einem Kommentar zu den Massendemonstrationen fanatischer Serben, die seit Wochen das politische Leben in Jugoslawien in Atem halten.

Man gibt es auf, sich noch einzumischen, man resigniert in der kritischen „Mladina“. Denn kein Wochenende vergeht, an dem nicht die alte Leierkastenmelodie aus monarchischen Zeiten neu aufgelegt würde. „Gebt uns Waffen, wir ziehen ins Kosovo“, „AIbaner raus aus Jugoslawien“ und „Hängt die Konterrevolutionäre“: Kaum ein Tag ohne „spontane“ Demonstration Tausender erboster Serben. Keine 24 Stunden, in denen die Belgrader Sicherheitsorgane nicht Flugblätter in albanischer Sprache sicherstellten, in denen angeblich eine „Volksbefreiung der Marxisten-Leninisten“ zum bewaffneten Kampf gegen Belgrad aufruft. Keine Tageszeitung ohne Notiz, man habe Parteimitglieder aus den Reihen des „Bundes der Kommunisten“ ausgeschlossen, weil diese die serbischen Massendemonstrationen als „staatsfeindlich und chauvinistisch“ verurteilt hätten.

Und die albanischen Intellektuellen? Sie haben Angst. Äußern ihre Meinung nur hinter vorgehaltener Hand. Ihre Volksgruppe — erzählen sie — fühle sich in Vorkriegszeiten versetzt, als sie unter serbischen Königen verfolgt und ausgesiedelt wurde und ständigen Pogromen ausgesetzt war. Uberall im zu 75 Prozent albanisch besiedelten Kosovo traten in den letzten Tagen staatliche Provokateure offen auf und „hinterlegten“ in Kneipen und auf dem Campus der Universität Flugblätter, in denen der Anschluß des Kosovo an das stalinistische „Mutterland“ Albanien gefordert wird, was nur mit Waffengewalt zu erreichen sei.

Das sei eine ungeheuerliche Unterstellung und Provokation, so die albanischen Universitätsprofessoren aus Pristina. Man stemple die albanische Volksgruppe — schon immer wie die Zigeuner für alles Böse verantwortlich gemacht — zum Prügelknaben des Landes, um von den enormen wirtschaftlichen Problemen abzulenken.

Dies ist sogar in der offiziellen Presse nachzulesen. Die Serben-Postille „Duga“ aus Belgrad schrieb es dieser Tage ganz offen: Die seit 1981 währende „Konterrevolution der Albaner Kosovos“ habe dazu geführt, daß jeder „sozialistische Fortschritt“ behindert werde. Jedem nationalgesonnenen Serben ist klar, was damit gemeint ist. Die Albaner vergifteten jedem nichtalbanischen Bauern die Brunnen, skalpierten deren Haustiere und vergewaltigten junge Mädchen aus „politischen Gründen“—und das eben seit 1981. Sätze, die man auch aus angesehenem Politikermund hören kann.

Was sind die Hintergründe? 1981, März, der Schnee war gerade geschmolzen, hatte sich die albanische Minderheit Jugoslawiens — ähnlich wie im letzten Jahr die Armenier in der autonomen Region Bergkarabach - zu einem nationalen Aufstand erhoben. Sie forderte mehr Rechte, denn in der Tat ist Kosovo das Armenhaus Jugoslawiens. Und die Albaner sind weit häufiger von Führungspositionen ausgeschlossen als andere Bürger der Föderation.

Zehntausende gingen damals auf die Straße, Hunderte rebellierten — und es gab auch Fortschritte. Wirtschaftlich ging es auf einmal bergauf, albanisch wurde als Amtssprache weiter hoffähig und die seit Jahrhunderten schlecht behandelte Minderheit atmete auf.

Doch im vergangenen Herbst erschien Slobodan Milosevic, ein unbeschriebenes Blatt, auf der Politbühne. Er „putschte“ im Belgrader Stadtrat, dann in der Belgrader Distrikt-KP und zuletzt im serbischen Republiksparlament. Man gab dem „Putschisten“ keine allzu großen Chancen, daß er es zu etwas bringen würde. Und doch gelang es ihm, in einem kometenhaften Aufstieg, die alten Partisanen-Politiker auszuschalten.

Slobodan Milosevic, erst 47, ist mittlerweile oberster Parteiboß in Serbien. Und auch wenn es nicht in seiner Verfügungsgewalt liegt, eilt er sofort nach Kosovo, wenn serbische Frauen behaupten, von unbekannten, aber sicherlich albanischen „Konterrevolutionären“ vergewaltigt worden zu sein. Er mischt sich unter das Volk und wird populär. Er sagt offen, er habe die Sache der serbischen Tradition und Geschichte zu seiner eigenen gemacht — wie man weiß, eine Hege-monialpolitik seit Jahrhunderten auf dem Balkan — und wolle eine

Ordnung, die sich auf die alten Traditionen stütze, auf alle Fälle auf die Zeit vor 1981. Und er werde daran weiterarbeiten, auch wenn er als Stalinist verschrien werden sollte, wie er in einem Interview freimütig erklärte.

Seine Gegner in der Partei nehmen denn auch nicht die Hand vor den Mund: Ihm fehle noch das Roß, auch sei er noch nicht so fesch gekleidet wie Mussolini, sagen sie; aber er habe eine Frau mit Ambitionen, die noch dazu den gleichen Vornamen trägt, wie die Frau des rumänischen Conduca-tors Nicolae Ceausescu, nämlich Elena.

Die Zeit läuft offenbar für die radikal-nationalistischen Serbenvertreter, die sich selbst von Abrechnungen ihrer eigenen Parteileute nicht abschrecken lassen.

Stimmen wie die des renommierten Wirtschaftswissenschaftlers Branko Horvat, die gegen den „rassistischen Vergewaltigungsmythos“ argumentieren und statistisch nachweisen, daß die Albaner im Kosovo — wie zu erwarten - nicht öfter straffällig werden als andere Volksgruppen und die ihnen unterstellten Verbrechen einer Massenhysterie entspringen, werden in der Milo-sevic-gelenkten Presse von Leserbriefschreibern angepöbelt: „Ustascha (Faschist) go home“, mußte sich Horvat mehrmals sagen lassen, obwohl sein wissenschaftlich fundiertes Buch „Die Kosovofrage“ in der Bestsellerliste auf dem ersten Platz rangiert.

All das kümmert Milosevic und seine Anhänger nicht. Uber das Parteiblatt „Politika“ beschuldigte er letzte Woche das ZK-Mitglied General Matic, Vorsitzender des ehrwürdigen Altkämpferbundes, sowie den serbischen Vi-

,,Die Zeit läuft für die radikal-nationalistischen Serbenvertreter“ zeparteichef Bosko Krunic aus der Wojwodina und den albanischen Parteichef Azem Vlasi in Kosovo der pauschalen Unterstützung der albanischen Konterrevolution. Sie sollten lieber freiwillig den Hut nehmen, bevor es zu spät sei, polemisierte „Politika“.

Noch schlägt die Gegenseite zurück. Das dogmatische Parteiblatt „Oslobodjene“ aus der bosnischen Zentrale Sarajevo schrieb dieser Tage, in Serbien werde an einer nationalistischen Atombombe gebastelt, die das Ende Jugoslawiens als Vielvölkerstaat bedeuten könne.

Doch Milosevic und seine Kohorten — wie man die Serbenführer in anderen Republiken sarkastisch nennt — setzen weiter auf Konfrontation.

Am kommenden Wochenende werden möglicherweise serbische Nationalisten nach Sarajevo ziehen, um dort die Ablösung der moslemischen Politiker zu fordern, die ihrer Ansicht nach unfähig sind, die Geschicke des Landes zu leiten. Noch ist politisch nicht entschieden, ob es so weit kommt. Noch ist Milosevic nicht allmächtig.

Er werde ein „neuer Tito“, prophezeit Milosevic selbst. Und um dies unter Beweis zu stellen, will er Anfang Oktober eine Million Menschen auf die Straßen Belgrads bringen, die ihm zujubeln sollen.

Ambitiöse Träume, gefährliche Träume, denn außer Nationalismus hat Milosevic noch nicht bewiesen, daß er auch etwas anderes zu bieten hat.

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