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Die Sexkrücken

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Genau genommen kommt die Krise auf dem Illustriertenmarkt nicht überraschend: Nachdem in den frühen sechziger Jahren das Thema Sex brandheiß serviert wurde, hat sich seit dieser Zeit nichts mehr getan. Vergeblich laufen Verleger und Redaktionsstäbe einem neuen Stil nach. Allein: Der Stein der Weisen ist bislang noch nicht gefunden, und es scheint so, als ob er auch noch lange nicht auftauchen würde.

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Genau genommen kommt die Krise auf dem Illustriertenmarkt nicht überraschend: Nachdem in den frühen sechziger Jahren das Thema Sex brandheiß serviert wurde, hat sich seit dieser Zeit nichts mehr getan. Vergeblich laufen Verleger und Redaktionsstäbe einem neuen Stil nach. Allein: Der Stein der Weisen ist bislang noch nicht gefunden, und es scheint so, als ob er auch noch lange nicht auftauchen würde.

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Das Illustriertenbild hat durch die Weiterentwicklung des Fernsehens an Faszination verloren. Die ursprüngliche Rivalität Fernsehen— Illustrierte in der Bildübermittlung hat sich zu Ungunsten der Illustrierten gelöst. Heute Ist das Fernsehen am Platz des Geschehens nahezu allgegenwärtig und vermittelt lebendiges Geschehen. Den Illustrierten bleibt dann lediglich der Prozeß des Nach vollziehens.

Deshalb — offenbar in Vorausahnung dieser Entwicklung — spezialisierten sich zahlreiche Illustrierte auf Sex, Crime und „abartige“ Erscheinungen — und zeichneten so ein wirklichkeitsfremdes Bild der Gesellschaft. Doch auch hier änderten sich die Zeiten: Während früher der nackte Busen den Illustrierten Vorbehalten war, kommen in letzter Zeit immer mehr Blätter auf den Markt, die die Illustrierten in Bezug auf Freizügigkeit noch weit übertreffen. Neben „Sexy“ und „Wochenend“ gibt es eine Reihe eindeutiger Druckwerke, welche die Sexdomäne der Illustrierten übernommen haben. Und der Leser, der das sucht, geht doch gleich zum Schmied und nicht zum Schmiedl. Da nun aber auch die Illustrierten nicht auf Sex verzichten wollen, versucht man das Weiterleben auf „Sexkrücken“.

Der linke „Stern“

Ein für Österreich typisches Beispiel ist der „Stern“, der von der Wiener Gruner-&-Jahr-Niederlas- sung herausgegeben wird. Um das „österreichische Schicksal“ dieser Illustrierten verstehen zu können, muß man allerdings die bundesdeutschen Verhältnisse kennen. Henry Nannen und sein „Stern“ haben es in Deutschland nur unwesentlich leichter als die österreichischen Mannen. Der „Stern“ in Deutschland aber ist bekannt für seinen SPD-freundlichen Kurs; und so kam der „Stern“ in Konflikt mit den keineswegs linksdenkenden Inserenten. Der Rückgang der Insertionsaufträge war für den Verlag ein Alarmsignal, dessen Auswirkungen in einem längeren Prozeß recht deutlich wurden.

Unter dem Deckmantel der „Konzentration im Verlagswesen“ wurde am 1. Jänner 1971 die Gruner-&- Jahr-Tochter Kindler & Schier- mayer in München dem Hamburger Verlagshaus einverleibt. Zur selben Zeit verabschiedete sich Gruner mit seinem Kapital vom Haus, weil er mit dem Linkskurs nicht einverstanden war. Hamburg hatte nämlich in dieser Zeit auch mit dem „Spiegel“ über Zusammenarbeit verhandelt —, offensichtlich ein Zusammenrücken im linken Lager. Gruner wiederum hegte und hegt heute noch Pläne, einem „Anti-Spiegel“ Pate zu stehen. Zwar scheiterte eine vollkommene Verschmelzung der beiden Verlage, aber immerhin haben „Der Spiegel“ und Gruner & Jahr einen gemeinsamen Vertrieb und eine technisch- kommerzielle Koordination erreicht.

Daß diese Vorgänge in Deutschland nicht ohne Rückwirkung auf Österreich bleiben könnten, versteht Sich von selbst. Dazu gesellt sich noch eine nicht ausgesprochene, aber vorhandene Existenzangst der österreichischen Niederlassung. Denn finanzielle Schwierigkeiten in Hamburg und ein Defizit in der Wiener Niederlassung könnten zu dem Umstand führen, daß in Wien „einfach zugesperrt“ wird. Hinter dem allen steht deutscher Geschäftsgeist, dem es herzlich gleichgültig ist, ob man in Wien darüber glücklich oder unglück- ist.

In Österreich munkeln Branchenkenner, daß zwar in letzter Zeit alle Illustrierten Leser verloren haben, der „Stern“ davon aber hauptsächlich betroffen ist. So mußten die wöchentlichen Illustrierten mehr als 5 Prozent ihrer Konsumenten abschreiben. Fast drei dieser fünf Prozent gehen auf Kosten des „Stern“.

Die Bemühungen, dieser Entwicklung Herr zu werden, sind einstweilen im Sand verlaufen. So sollte etwa mit ortsbezogenen „Stories“ ein neuer Leserkreis angesprochen werden. Der Erfolg ließ sich an einer Hand abzählen. Vergeblich bemüht sich der neue Chefredakteur Ekhard Mahov- sky um einen neuen Stil mit typisch „sternischen“ Themen. Mahovsky, früher beim Konkurrenzunternehmen „Bunte“, führt einen verzweifelten Kampf: „Stemisch“ ist für ihn das, was in der nächsten „Bunten“ stehen könnte. Anstatt eben einen eigenen Stil zu entwickeln, wird überlegt, welche Themen die Konkurrenz aufgreifen könnte, um dann dort einzusteigen. Lokalreportagen der Bundesländerzeitungen werden aufgeblasen und im „Stern“ serviert. Dabei werden bei einem Umfang von 56 bis 80 Seiten (Je nach Anzeigenaufkommen) sowieso lediglich acht bis 16 Seiten in Österreich gemacht, der Rest wird aus Hamburg übernommen.

Silvia-Roman, Science-fiction

Im wesentlichen bestimmt aber Hamburg auch den österreichischen Kurs: Die Diskussion über die Abtreibung — „Wir haben abgetrieben“ — war in Deutschland eine „flankierende Maßnahme“ für die Bonner Koalition, Wien blieb im gleichen Fahrwasser. Jetzt, vor den Wahlen, vergißt man überdies nicht, welchem Lager man sich verbunden fühlt. Minister Androsch kann in Fortsetzungen über seine Pläne schwelgen, der Opposition wird in dieser Frage kein Platz eingeräumt. Die parteipolitische Ungebundenheit versucht man zwar hervorzukehren, letztlich bestimmt aber der Verlag und nicht die Redaktion, „wie der Hase zu laufen hat“.

Zur Zeit läuft eine Fortsetzungsserie „Wer regiert Österreich?“ Abgesehen davon, daß Alexander Vodopivec seinerzeit ein Buch unter dem Titel „Wer regiert in Österreich“ geschrieben hat, ist man im „Stern“ auch bei den Untertiteln dieser Serie etwas hilflos. Just zu der Zelt, in der Altkanzler Klaus über „Macht und Ohnmacht“ sein Buch erscheinen läßt, vermeldet der „Stern“ zum Thema Parlament: „Die Ohn-Mächtigen“. Was den Leser in dieser Serie erwartet, läßt sich als Mittelding zwischen Silvia-Roman und Sciencefiction umschreiben.

Dieser Illustriertenstil ist aber für die Entwicklung durchaus bezeichnend. Die Leser aus den gehobenen Schichten sind verloren, sie fühlen sich durch die Art der Berichterstattung kaum oder überhaupt nicht angesprochen. Was bleibt, sind die unteren Leserschichten, die sich aber, dem optischen Trend der Zeit folgend, bequemer vom Fernsehen bedienen lassen.

Durch das Sinken der Verkaufs- Ziffern und durch den Umstand, daß Inserenten immer mehr Mittel in die Fernseh- und Tageszeitungswerbung stecken, ist daher die finanzielle Lage, verschärft durch steigende Herstellungskosten, triste. Deshalb überlegt man bereits eine Preiserhöhung von 7 auf 10 Schilling für den österreichischen ,.Stern“, um ein drohendes Defizit — und vielleicht sogar die Stillegung der Wiener Niederlassung — abwenden zu können. Wenn man dazu bedenkt, daß der Hamburger „Stern“ bei zwei- bis dreifachem Umfang lediglich eineinhalb Mark kostet, so ist daraus leicht abzulesen, mit welchen Schwierigkeiten die „Stern“-Männer der Alpenrepublik zu kämpfen haben.

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