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Die Sieger in der Defensive

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In Jugoslawien wirft der 40. Jahrestag des Kriegsendes weite Schatten voraus. Er wird am 9. Mai als „Tag des Sieges” gefeiert - seit über einem Jahrzehnt schon in sehr ziviler Art und Weise.

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In Jugoslawien wirft der 40. Jahrestag des Kriegsendes weite Schatten voraus. Er wird am 9. Mai als „Tag des Sieges” gefeiert - seit über einem Jahrzehnt schon in sehr ziviler Art und Weise.

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Der Siegestag, da Tito in Marschalluniform und weißen Glaceehandschuhen vor dem Belgrader Parlament defilierenden Armee-Einheiten zuwinkte, ist längst Historie. Ein Szenario der Feiern zum 40. Jahrestag steht noch aus. Belgrad bedrücken gewichtigere Sorgen.

Titos etablierte Partisanen aber müssen Sieg und Revolution wieder verteidigen, nach innen und nach außen. „Der Beitrag der Titoarmeen zum Kriegsgeschehen wird ignoriert”, klagt das Blatt der Kriegsveteranen Titos, während es eine slowenische Schriftstellerin anklagt, die Spaltung im Vielvölkerstaat verewigt und die Versöhnung versäumt zu haben. „Wir sind im letzten Krieg unsere eigenen Mörder und Henker geworden”, klagt Spomenka Hribar, Sproß einer Partisanenfamilie aus Slowenien und meint, „das Vaterland ist nicht identisch mit einem gesellschaftspolitischen System. Das Vaterland ist eins und gehört uns allen”. Dafür dürfte die „neue Klasse” kaum gekämpft haben.

Tito hatte die Zahl der Kriegsopfer mit 1,4 Millionen beziffert. Sein Generalstabschef, Kosta Na-gy, sprach jetzt von 350.000 Opfern direkter Kampfhandlungen und noch „viermal soviel anderen Opfern”.

Tatsächlich war die Abrechnung mit dem inneren Feind ungemein blutig und das Datum 9. Mai ist ein symbolisches. Die Kämpfe in Jugoslawien währten noch zwei Jahre länger - mit „Banden”, wie es heute offiziell heißt. Im Kosovo kämpften die Albaner für ein Großalbanien, in den Wäldern Serbiens, Bosniens, Kroatiens, in den Bergen Sloweniens leisteten Cetniks, Usta-schas, Domobranzen und Weißgardisten der sozialistischen Revolution Titos hinhaltenden Widerstand.

Unversehens erheben Kinder und Kindeskinder unschuldiger Opfer jetzt ihre Stimmen, den Anteil der Titopartisanen am Kriegsverlauf dagegen bestreiten die Verbündeten von gestern.

Die Generalität der jugoslawischen Volksarmee und die Kriegskommandanten sind jetzt Versuchen zur Fälschung der Militärgeschichte entschieden entgegengetreten. Sie und Titos Historiker führen an, daß seine Partisanenkriegsführung seit dem Sommer 1941 mindestens 22 deutsche Divisionen, einige italienische, bulgarische, ungarische und Hilfswillige gebunden hat, die an der Front gegen die Sowjetunion dringend benötigt worden wären.

Das Sprachrohr der Roten Armee „Krasnjaja Svezda” indessen heftet den Lorbeer der Befreiung Jugoslawiens an die eigenen Fahnen. Tatsächlich hat die „Ukrainische Armee” eine wichtige Rolle bei den Kämpfen um Belgrad und weiter entlang des nördlichen Ufers der Donau bis in den österreichischen Raum gespielt.

Die Jugoslawen aber pochen fest auf Titos militärische Selbständigkeit. Tito hatte der Roten Armee das Betreten jugoslawischen Territoriums ausdrücklich gestattet und auch den Abzug der sowjetischen Verbände gleich nach Kriegsende durchgesetzt. Er war auch von allen Alliierten als Verbündeter anerkannt worden. ' Daß die jugoslawische Generalität, die Kriegskommandanten und Politkommissare jetzt gemeinsam aufgetreten sind, ist kein Zufall. Das Datum markiert den Jahrestag der Aufstellung dreier Armeen durch Tito und aus ihrer Sicht das Ende der Partisanenkriegsführung und den Ubergang zur klassischen Kampfweise regulärer Armeen. Die Titoarmeen bildeten die Brücke zwischen der Front der Roten Armee im Norden und der Front der Westalliierten im Süden.

„Unsere Anfang 1945 auf gestellten Armeen waren in der Lage frontale Operationen zu führen”, erklärte Verteidigungsminister Admiral Mamula und verwies darauf, daß „die selbständige strategische Position in der Endphase des Weltkrieges die Basis der unabhängigen, blockfreien Verteidigungspolitik und Doktrin Jugoslawiens ist”.

Als Zeugen für die militärischen Leistungen der bei Kriegsende angeblich 600.000 Mann-Armee führte Admiral Mamula den britischen Feldmarschall Mont-gomery an, der 1945 erklärt hatte, daß „die jugoslawische Volksbefreiungsfront die einzige verbündete Armee in Europa war, die eine eigene Front hielt und selbständige Operationen unter dem Kommando Marschall Titos geführt hatte”.

Als Zeugen führte er weiters als Novum einen Feind von gestern an. Generalleutnant von Ludwiger, Kommandeur des 21. Armeekorps, der nach seiner Gefangennahme am 10. Mai 1945 bei Varaz-din in Kroatien die militärischen Leistungen der Titoarmee würdigte. Und schließlich nannte Jugoslawiens Verteidigungsminister Mamula in seiner jüngsten Rede im Haus der Armee in Belgrad auch noch den sowjetischen Schriftsteller Ilija Ehrenburg als Zeugen. Er hatte als Kriegsberichterstatter im Oktober 1944 beim Zusammentreffen der Roten

Armee mit der Armee Titos in der nördlichen Wojwodina festgestellt, daß „diese einen neuen, ehrenvollen Platz für Jugoslawien im Nachkriegseuropa erkämpft hat”. Das scheint freilich sowjetische Militärhistoriker heute kaum mehr zu kümmern.

Für Jugoslawien aber ist dieser Platz — nicht nur in Europa - das entscheidende Kriterium. Die Selbständigkeit des eigenen sozialistischen Weges ist vom eigenen außenpolitischen Kurs Belgrads nicht zu trennen. Beide werden von den Nachfolge-Kollektiven strikt beachtet. Der blockfreien Orientierung werden selbst Reminiszenzen und Erinnerungen an die Zeit des Volksbefreiungskrieges untergeordnet.

So ist bei der Konferenz der jugoslawischen Generalität, der Kriegskommandanten und Politkommissare der um Sachlichkeit bemühte Ton aufgefallen. Der Feind von gestern wurde nicht öfter beim Namen genannt, als notwendig und das in korrekter Bezeichnung. Das schließt zwar nicht aus, daß Heldenepen auf Zelluloid aus den Archiven geholt werden, bei den unzähligen Partisanengedenkstätten anklagende Worte fallen können und in den Gazetten blutrünstige Partisanenerlebnisse ausgebreitet werden. Der Blick der jungen Generation auf das europäische Umfeld wird durch Kreuze und Mahnmale deshalb nicht verstellt.

Das offizielle Belgrad will seine im Frieden geordneten zwischenstaatlichen Beziehungen nicht ohne zwingenden Grund belasten. Primär sind heute die Aufbauleistungen in 40 Jahren Frieden.

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