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Die „Skipetaren“ proben den Aufstand

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Eines der vielen ungelösten Probleme, das Tito dem Vielvölkerstaat Jugoslawien hinterlassen hat, ist plötzlich akut geworden: Der albanische „Nationalismus“ in der autonomen Provinz Kosovo hat in den letzten Tagen und Wochen zu blutigen Unruhen geführt. Ende der vergangenen Woche waren noch immer Notstandsmaßnahmen, Versammlungsverbot und faktisch eine Einreisesperre in Kraft.

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Eines der vielen ungelösten Probleme, das Tito dem Vielvölkerstaat Jugoslawien hinterlassen hat, ist plötzlich akut geworden: Der albanische „Nationalismus“ in der autonomen Provinz Kosovo hat in den letzten Tagen und Wochen zu blutigen Unruhen geführt. Ende der vergangenen Woche waren noch immer Notstandsmaßnahmen, Versammlungsverbot und faktisch eine Einreisesperre in Kraft.

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Aus den zunächst spärlichen und verspäteten, schließlich ausführlicheren, aber widersprüchlichen offiziellen Nachrichten aus Jugoslawien über die Unruhen in Kosovo läßt sich noch kein exaktes Bild der Ereignisse zeichnen, die vor mehr als einem Monat begonnen haben.

Wohl aber lassen sich ziemlich eindeutig die Ursachen für jenen wiederaufgeflammten Konflikt in jenem vergessenen Winkel des Balkans ausmachen, der für die ganze Region eine gefährliche Sprengwirkung haben kann. • Das albanische Volk konnte weder im 19. noch im 20. Jahrhundert seinen „Nationalismus“ - ein scheinbar unvermeidlicher, wenn auch nicht immer „harmloser*’* Prozeß der Identitätsfindung - ausleben wie andere Völker des Balkans. Obwohl die Albaner anfangs die Hauptlast des Kampfes gegen den Vorstoß des osmanischen Reiches auf dem Balkan trugen, integrierten sie sich später und wurden 1913 - nach dem faktischen Zusammenbruch der Türkenherrschaft auf dem europäischen Festland - wie Verlierer behandelt.

Griechen, Montenegriner und vor allem die Serben teilten sich das albani-

sehe Siedlungsgebiet, nur ein kleiner Teil, das heutige Albanien, erhielt formelle Unbahängigkeit - unter einem deutschen Prinzen. Das nach dem Er- sten Weltkrieg entstandene „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ verbot den einverleibten Albanern sogar, die eigene Sprache zu erlernen und ließ Kosovo buchstäblich verkommen:

Vor 1940 konnte nur jeder zehnte Albaner lesen und schreiben, es gab nur 49 Ärzte, nur 390 Krankenbetten, in nur 14 Orten gab es Strom, es existierte keine einzige asphaltierte Straße. Und das für eine Million Kosovo-Albaner.

Im Zweiten Weltkrieg wandte sich ein Teil der Albaner gegen die Serben, es gab sogar eine Waffen-SS-Division „Skanderberg“ mit albanischen Freiwilligen; zum Teil kämpften aber die „Skipetaren“ in zuletzt sieben Brigaden an der Seite Titos.

Doch nach dem Sieg des Partisanenmarschalls setzte im Nachkriegsjugoslawien eine Unterdrückung der Albaner ein, die in krassem Gegensatz zu der von Tito versprochenen Autonomie stand. 40.000 Albaner wurden nach 1945 als Tito-Gegner ermordet, ganze

Dörfer verbrannt, 500.000 unter Druck vornehmlich in die Türkei ausgesiedelt.

Über 30.000 Albaner wurden bis Mitte der sechziger Jahre unter der Herrschaft des allmächtigen Serben und Tito-Stellvertreters Aleksandr Rankovic ermordet. Nach Rankovics Sturz 1966 erschienen selbst in der jugoslawischen Parteipresse Berichte über jene Zeit - wie man Gefangene folterte, Frauen vergewaltigte, Kinder erschlug: „Selbst die türkischen Sultane ließen sich nichts Grausameres einfallen.“

Das Ende von Rankovic brachte den Albanern aber nicht das, was sie sich erhofft hatten: eine eigene Teilrepublik im Rahmen Jugoslawiens. Kosovo blieb - trotz der Unruhen von 1968 auch nach der Verfassungsreform von 1969 - eine autonome Provinz innerhalb Serbiens.

Die Albaner blieben auch in der Folge in allen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Schaltstellen des Vielvölkerstaates krass unterrepräsentiert. Kulturell und wirtschaftlich wurde freilich viel getan, um dem Kosovo auf die Beine zu helfen.

• Diese Hilfe des übrigen Jugoslawien für seine unterentwickelte Region Kosovo war und ist jedoch, wie nicht zuletzt die nun wieder aufgebrochenen Unruhen beweisen, völlig unzureichend gewesen - sie verschwand gleichsam in einem Faß ohne Boden.

Das Nationaleinkommen pro Kopf der Bevölkerung liegt in Slowenien siebenmal so hoch wie bei Albanern in Kosovo. Das ist eine Kluft, die auch nicht dadurch statistisch zu schließen ist, daß das jährliche Durchschnittseinkommen der Albaner vor dem Kriege umgerechnet 1300, Ende der 70er Jahre rund 6000 Schilling betrug.

Zwar arbeiten heute in Kosovo rund 40 Prozent der Erwerbsfähigen in der Industrie (vor dem Krieg lebten mehr als drei Viertel armselig von der Landwirtschaft), aber die Arbeitslosigkeit ist dennoch hoch - was nicht zuletzt die Zahl der albanischen Gastarbeiter beweist: rund 40.000 in Westeuropa, rund 100.000 in den übrigen Republiken Jugoslawiens.

Das Nationalprodukt in Kosovo - gemessen pro Kopf der Bevölkerung - sank in nur zehn Jahren im Vergleich mit dem übrigen Jugoslawien von 38 auf 29 Prozent ab.

Schuld an dieser Entwicklung ist nicht nur die schleppende, bürokratische, wenn auch gutwillige „Bundeshilfe“ aus Belgrad, nicht nur die allgemein sich verschlechternde wirtschaftliche Lage des Vielvölkerstaates - schuld sind daran auch die Albaner selbst. _

Die Bevölkerung des Kosovo-Gebietes vermehrte sich allein zwischen 1961 und 1980 um rund 50 Prozent und liegt gegenwärtig bei etwa 1,5 Millionen Albanern; außerhalb des Kosovo gibt es noch rund 280.000 Albaner in Mazedonien und 40.000 in Montenegro. Daß die sich explosionsartig vermehrenden Albaner und ihr zum Teil aggressiver Nationalismus auch dazu führt, daß die serbischen Siedlungsgebiete in der Provinz durch Abwanderung zunehmend entvölkert werden, sei nur am Rande als Problem vermerkt.

Aus der jüngsten Krise in Kosovo, die immerhin 11 Tote und mindestens 57 Verletzte forderte, einen massiven Polizei- und Landwehreinsatz nötig machte, scheint Belgrad vorerst nicht die richtigen Schlüsse zu ziehen. Mit. Verschwörungstheorien von „ausländischen Drahtziehern“ und bloß „Irregeleiteten“, wie es Belgrad nun tut, wird das Problem nicht aus der Welt geschafft.

• Die Anstrengungen, un) das Nord- Süd-Gefälle in Jugoslawien zu schließen und auch das Kosovo an das Niveau der übrigen Republiken schrittweise heranzuführen, müßten verstärkt fortgesetzt werden. Diese Bemühungen werden allerdings bei der gegenwärtigen ökonomischen Lage Jugoslawiens eher der Quadratur des Kreises gleichen.

• Der Ruf der Albaner nach einer siebenten Republik kann, auf Grund ihrer Bevölkerungszahl, des Geburtenüberschusses und auch der flächenmäßigen Größe sowie der wirtschaftlichen Möglichkeiten (etwa riesige Lignit-Vorkommen) nicht dauerhaft ignoriert werden.

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