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Die Slums besuchte keiner

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Auf den Philippinen sind die Menschen Ausbeutung und Leid gewöhnt. Die Spanier kamen ins Land und beuteten es aus, wie der philippinische Freiheitskämpfer Jose Rizal beweist, der am 3. Dezember 1896 von den damaligen Machthabern hingerichtet wurde.

Rizal ist heute der große Freiheitsheld der Philippinen. Doch nach seiner Hinrichtung ging die Ausbeutung weiter.

Allen Warnungen zum Trotz konnte und wollte man nicht von Korruption, Unterdrückung und Ausbeutung Abstand nehmen. Da half nicht einmal der christliche

Glaube, ja man bezog vielfach den Namen Gottes in diese himmelschreiende Sünde ein.

Die Ausgebeuteten aber, mit Gott im Herzen, lächelten und lächelten weiter. Schild des Lächelns aus den Seligpreisungen der Bergpredigt: demütig, aber zornig. So konnte ich während meiner zwei Aufenthalte auf dem Philippinen im August, September und November des vorigen Jahres jenes Lächeln erleben, das zur Schande der Herrschenden wurde und das am Ende doch stärker war als alle Maschinengewehre. '

Die Revolution der ausgebeuteten christlichen Nächstenliebe stürzte den Diktator ohne Blutvergießen.

Gerade dieses Lächeln machte den „christlichen“ Marcos und seine schöne Frau blind, und die fast unendliche Geduld der Philippinos setzte nur scheinbar der Unterdrückung keine Grenzen, bis ein Symbol geschaffen wurde: die Ermordung des Oppositionsführers Benigno Aquino.

Monate vor dem Sturz des Diktators verlangte die Präsidentengattin Imelda Marcos vom Vatikan die Absetzung des Kardinals Jaime Sin. Wohl speiste der Kardinal mit den Machthabern, aber er predigte auch heftig gegen die Unterdrücker.

Wo immer er konnte, trat Kardinal Sin mutig der Korruption und Ausbeutung entgegen.

Gegen den niederen Klerus ging das Regime mit brutaler Härte vor: Pater Romano, ein Redemp-torist, wurde in Cebü auf offener Straße entführt. Seine Arbeit in den Slums und für die Rechte der Arbeiter wurde den Mächtigen zu gefährlich. Er verschwand. Man riet mir, mich nicht nach ihm in Cebü zu erkundigen. Ich tat es trotzdem, denn in der Kirche von Cebü geißelte der Zelebrant in seiner Predigt die Entführung des Priesters, und die Gläubigen beteten für seine Befreiung.

Die offiziellen Stellen geben keine Auskunft, oder sie sagen, er sei von den kommunistischen Rebellen von der NPA (New Peoples Army) entführt worden. Die NPA aber beteuert, Pater Romano sei von den Militärs entführt worden.

Ein Bischof in Cebü reagierte auf meine Frage nach dem Pater heftig und verlegen.

Ein Priester in den Slums von Manila schrieb verzweifelt: Wenn ich jetzt keine Hilfe von der Kir-

che bekomme, werde ich Kommunist. Die Slums in Manila erlebte ich in allen Dimensionen. Vom riesigen Abfallberg in Tondo, auf dem die Ärmsten hausen, über die Slums an den Ufern der stinkenden und giftigen Industrieabwässer bis hin zu den manchmal „besseren“ Slums entlang der Hauptverkehrsadern. Frau Marcos ließ dort Mauern mit Torbögen entlang der Straße errichten, damit der Papst auf seiner Fahrt durch die Metropole, nicht das Elend sehe.

Ausbeutung der Tüchtigen

Wie funktioniert nun ein solches System der Ausbeutung? Ein Beispiel: Hat ein Bauer aufgrund seines Fleißes Erfolg, dann wird der Pachtzins erhöht, denn das Land selbst gehört ja den Reichen. Hat der Bauer nun wegen seiner Tüchtigkeit und Mehrarbeit noch immer Erfolg, wird der Zins weiter erhöht, bis der Bauer immer mehr verarmt und als Besitz- und Rechtloser in die Großstadt in den Slum zieht, aus dem er nicht mehr herauskommt.

Wir fuhren um den großen Binnensee „Laguna de Bay“, südlich von Manila. Dort sprachen wir mit den Fischern und erfuhren,

daß ihnen die Fischbänke von den Freunden der Imelda Marcos weggenommen wurden und ihnen wertlose Wasserareale zugestanden wurden. Ich erlebte die Verzweiflung dieser Fischer, denen man den Lebensunterhalt entzog. Wir besuchten die Station der Schwestern von Mutter Theresa. Die total, abgemagerten, in den Slums ausgesetzten Kleinkinder waren wohl meine erschütterndsten Erlebnisse. Diese Kleinkinder werden mit großer Hingabe von den Schwestern für das Leben gerettet.

In der Leprastation Tala (Provinz Rizal) erlebte ich die Aussätzigen. Hier beteten wir mit den Kranken und Siechen, mit den von der Lepra verstümmelten und erblindeten Krüppeln gemeinsam im Geiste von Lourdes für eine bessere Welt.

Die Medikamente für die Stoppung der Lepra würden 150 Schilling pro Person und Woche ein halbes Jahr lang kosten. Der Staat bezahlt lediglich drei bis vier Schilling. Dies zeigt die Dimension auf, wie wenig der Mensch der Regierung des Ferdinand und der Imelda Marcos wert war.

Österreich leistet auf den Philippinen durch seine Leprahilfe wertvolle Dienste.

Im Pressebüro des Kulturzentrums von Manila fragte mich die Leiterin des dortigen Pressebüros, was ich denn schon alles auf den Philippinen gesehen hätte.

Ich antwortete: Ich ging fast überall hin, unter anderem besuchte ich Tondo, den Slum-Müll-berg und andere Slums in der Hauptstadt Manila.

Zuerst betretenes Schweigen, dann schrie die Dame plötzlich aus: Was machen Sie dort? Das gehört doch nicht zum Besuchsprogramm. Und wandte sich dann entsetzt von mir ab.

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