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Die Soldaten, die Retter...

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In drei diktatorisch regierten Staaten wurde das Militär zu einem Faktor des Fortschritts — in den wenigen Wochen, in denen dies geschah, hat sich nicht nur Europas politische Landkarte, sondern auch das Image von Offizieren als politischer Faktor ziemlich gründlich verändert. Auch in Peru spielt das Militär bislang eine positive Rolle, die aber durch die jüngste Gleichschaltung der Presse nebst Verhaftung von hunderten Mißliebigen ins Zwielicht geraten ist. Linke wie Rechte suchen die peruanische Junta auf ihren Weg zu zerren. Bislang waren Parteien gestattet, genossen die Journalisten eine gewisse Meinungsfreiheit. Sollte die Junta dieses Ventil verstopfen, könnte der Druck im Kessel bald steigen.

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In drei diktatorisch regierten Staaten wurde das Militär zu einem Faktor des Fortschritts — in den wenigen Wochen, in denen dies geschah, hat sich nicht nur Europas politische Landkarte, sondern auch das Image von Offizieren als politischer Faktor ziemlich gründlich verändert. Auch in Peru spielt das Militär bislang eine positive Rolle, die aber durch die jüngste Gleichschaltung der Presse nebst Verhaftung von hunderten Mißliebigen ins Zwielicht geraten ist. Linke wie Rechte suchen die peruanische Junta auf ihren Weg zu zerren. Bislang waren Parteien gestattet, genossen die Journalisten eine gewisse Meinungsfreiheit. Sollte die Junta dieses Ventil verstopfen, könnte der Druck im Kessel bald steigen.

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Den portugiesischen Umsturz könnte man als Resultat der Erkenntnis umschreiben, daß eine Armee zu schade ist, in längst verlorenen Dschungelkriegen demoralisiert und zerrieben zu werden — aber die portugiesischen Offiziere hatten den Mut, nicht nur die überfällige Liquidierung des längst obsoleten portugiesischen Kolonialismus, sondern auch gleich den anderen großen Schritt, die Demokratisierung, zu erzwingen.

Auch in Äthiopien erzwang des Militär Neuerungen, die zu erzwingen niemand anderer die Kraft hatte. Auch hier wurde die Unzufriedenheit der Soldaten mit ihren Lebensumständen, im gegenständlichen Fall mit einer krassen Unterbezahlung (die übrigens 1960 in der Türkei auch nicht gerade eine geringe Rolle gespielt hat), nicht nur zum Motor der Unzufriedenheit, sondern auch zum politischen Lehrmeister der Militärs, die immer wieder zurückgewiesene Forderungen nach Armeereform zum Ruf nach Staatsreform ausweiteten.

In Griechenland schließlich vollzog sich die Rückkehr zu demokratischeren Verhältnissen auch nicht ohne Zutun der Bewaffneten. Bekanntlich haben die USA ihre Liebkinder von der Athener Junta weit über den Punkt des politischen und wirtschaftlichen Bankrotts hinaus gehalten. Die Hintergründe des plötzlichen und unerwarteten Rücktritts der Junta werden erst später aufgehellt werden — erkennbar ist schon jetzt, daß dabei der Garnison von Saloniki größte Bedeutung zukam, und daß der Blick in die Geschützrohre ihrer Panzer nicht nur in Athen, sondern auch in Washington Wirkungen hatte. Damit wurde die griechische Garnison von Saloniki zu einem Faktor griechischer Erneuerung, ebenso wie die „Jungtürken“, die jungen türkischen Offiziere der 'türkischen. Saloniki-Garnison, die vor dem Ersten Weltkrieg zu einem Faktor halbherziger türkischer Erneuerung wurden, bis nach dem Ersten Weltkrieg ein anderer aus dem Offizierskorps von Saloniki, Mustafa Kemal, als Kemal Atatürk zum türkischen Generalre-novator wurde.

Militärs, die dem politischen und sozialen Fortschritt Eintritt verschaffen, stehen andere Militärs entgegen, die ihn verhindern. Auf der einen Seite: Militärregimes, die man ruhig faschistisch nennen kann, wie in Chile und bis vor kurzem in Griechenland. Auf der anderen Seite „fortschrittliche“ Qffiziersjunten. Eines der interessantesten fortschrittlichen Militärregimes ist in, Peru an der Macht, in jenem Land,das an der Westküste des südamerikanischen Kontinents nördlich an Chile anschließt. Die beiden politisch und sozial entgegengesetzten Militärregimes haben, wie es in Lateinamerika üblich ist, kaum eine Tendenz, einander zu beeinflussen, dabei aber gute wirtschaftliche Beziehungen innerhalb der Anden-Zollunion.

Peru ist ein politisches Unikum. Die Offiziere, die seit fast sechs Jahren an der Macht sind, haben zwar Wahlen und Parlament abgeschafft, nicht aber die Parteien, die sozusagen ein Vereinsleben führen dürfen, was bedeutet, daß sie zwar keinerlei politischen Einfluß haben, anderseits aber, sollte eines Tages die Rückkehr zum Parlamentarismus stattfinden, diesen eben durch ihr legales Vorhandensein erleichtern dürften. Man darf in Peru zwar Meinungen äußern, die von denen, der Junta abweichen, aber man ist da bei besser vor-1 sichtig. Man darf oppositionelle Meinungen theoretisch drucken — neuer-

dings aber nur noch in einer nationalisierten Presse, und das dürfte heißen: Nur im Rahmen dessen, was die Junta für richtig findet. Anderseits gibt es in Peru keine politischen Gefangenen. Wer den herrschenden Offizieren allzusehr auf die Nerven geht, wird eines Tages im Morgengrauen abgeholt und auf den Flughafen gebracht. Das bedeutet Abschiebung in ein Land eigener Wahl. 15 bis 20 Personen wurden bislang „deportiert“ und dürfen, ungeachtet der sonst sehr strengen Devisenbestimmungen, Geldüberweisungen ihrer Freunde und Angehörigen empfangen. So war es zumindest bisher.

Es gibt in Peru heute keine sichtbare politische Kraft, die der Junta gefährlich werden könnte. Die Politik der Junta könnte als linke Sozialisierungspolitik auf streng katholischer Grundlage definiert werden und hat zweifellos außerordentlichen Modellcharakter. Die Junta hat wahrscheinlich als einzige westliche Regierung eine totale Bodenreform ohne Lücken und Umgehungen durchgeführt. 80 Prozent des kultivierten Bodens waren Großgrundbesitz und sind heute Eigentum von Kooperativwirtschaften. Die Eigentümer wurden so entschädigt, daß für-Anlagegüter-(Bauwerke, In^ veniar, Vieh usw.) wesentlich-höhere Entschädigungen bezahlt wurden als für den Boden und der Ertrag den Hauptmaßstab bildete. Der Ertrag aber wurde auf Grund der in den vorangegangenen Jahren abgegebenen Steuererklärungen ermittelt, so daß ehrliche Steuerzahler ein gutes Geschäft machten, unehrliche Steuerzahler aber hereinfielen.

Eigentümer der Betriebe wurden jene Menschen, die bis dahin in ebendiesen Wirtschaften gearbeitet hatten, wobei der Staat dem Vorbesitzer gegenüber für die Entschädigung haftet und einen Teil, der Ablöse von den neuen Kollektivbesitzern in Form langfristiger Ratenzahlung rückfordert. Das Einkommen der neuen Kollektivbauern setzt sich aus drei Teilen zusammen: Aus einer kostenlosen Versorgung mit allen Grunderfordernissen, wie Wohnung, Strom, Grundnahrungsmittel, Schule und medizinischer Betreuung, aus einem zusätzlichen „vereinbarten Lohn“ je nach Arbeitsleistung und aus einer gleichmäßigen Verteilung des erzielten Überschusses. Der vereinbarte Lohn ist außerordentlich verschieden — er beginnt bei 1000 So-les monatlich und endet bei 40.000 Soles bis 50.000 Soles. (Ein Sol ist offiziell einen, real eher zwei Schilling wert, Industrieprodukte. sind allerdings so teuer, daß hier etwa drei Soles einem. Schilling, entsprechen.)

Kehrseite der Medaille: Am Besitz der enteigneten peruanischen Großgrundbesitzer haben nur jene teil, die dort ständig beschäftigt waren, nicht aber das Millionenheer der Gelegenheitsarbeiter, Taglöhner, Saisonarbeiter und so fort, die heute so arm sind, wie sie immer waren, und deren Los eng mit der Zukunft der peruanischen industriellen Entwicklungsprogramme gekoppelt ist. Dies aber bedeutet: Warten in Armut — ein vielleicht lebenslängliches Dasein im Wartesaal der Entwicklung.

Der leider nicht allzu breiten Schichte jener, die, als ständige Beschäftigte eines Großgrundbesitzers, in vielen Fällen kaum etwas Besseres als Leibeigene waren, geht es heute sehr viel besser. Ihr Lebensstandard hängt freilich oft davon ab, wie gut der enteignete Vorbesitzer sein Land bewirtschaftet hat. Ihr Lebensstandard hängt aber auch von der Bodenqualität und oft von der Besitzgröße ab — eine Mini-Kommune mit 100 Menschen kann sich kaum einen höher qualifizierten Krankenpfleger leisten und schon gar keinen Arzt, und wird sich meist auch mit einem weniger teuren und damit weniger qualifizierten „Gsne-raldirektor“ begnügen müssen, als eines der 40.000- und 50.00-Seelen-Kollektive.

Die peruanische Linke kritisiert vor allem die Generaldirektorsge-hälter der von den Kollektiven beschäftigten Manager, doch wäre der hohe Standard der peruanischen Wirtschaft ohne die willige (und freiwillige) Mitarbeit der Enteigneten kaum denkbar. Die Großgrundbesitzer von gestern und ihre land- und forstwirtschaftlich gut ausgebildeten Kinder mußten sich auf ein unselbständiges Dasein umstellen — sie leiten heute Kollektivwirtschaften (niemals die ehemalige eigene!), wodurch ihr Know-how dem Land er-^ halten blieb, und wobei der hohe Leistungslohn auch einen entsprechenden Leistungsanreiz bildet.

Ähnliches gilt für die peruanische Industrie, deren forcierte Entwicklung ebenfalls auf einem starken Leistungsanreiz beruht, zusätzlich aber auf einem starken Investitionsanreiz.

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