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Die „Solidarität“ kennt ihre Grenzen

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Tadeusz Mazowiecki gilt als einer der wichtigsten Männer innerhalb der polnischen Gewerkschaftsbewegung. Er ist der unumstrittene „Chef“ im intellektuellen Expertenkomitee der„Solidarität“, Chefredakteur der gewerkschaftlichen Wochenzeitschrift, tätig im „Klub der katholischen Intelligenz“ und nach wie vor Redakteur der zuvor von ihm geleiteten katholischen Wochenschrift „Wiez“. Für die FURCHE führte Peter Bruder in Warschau ein Gespräch mit dem einflußreichen „Solidarität“-Berater.

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Tadeusz Mazowiecki gilt als einer der wichtigsten Männer innerhalb der polnischen Gewerkschaftsbewegung. Er ist der unumstrittene „Chef“ im intellektuellen Expertenkomitee der„Solidarität“, Chefredakteur der gewerkschaftlichen Wochenzeitschrift, tätig im „Klub der katholischen Intelligenz“ und nach wie vor Redakteur der zuvor von ihm geleiteten katholischen Wochenschrift „Wiez“. Für die FURCHE führte Peter Bruder in Warschau ein Gespräch mit dem einflußreichen „Solidarität“-Berater.

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FURCHE: In den bisherigen Krisen und Konfrontationen hat sich gezeigt, daß die Gewerkschaft,,Solidarität” einig und stark ist. Ein Nachlassen der Spannungen führte immer wieder zu internen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten. Braucht die Solidarität den äußeren Druck, um innerlich gefestigt zu bleiben?

MAZOWIECKI: Das ist normal, das ist soziologisch zu begründen. Aber ich glaube, das Problem kommt daher, was man unter Einheit versteht. Wir brauchen eine Einheit, aber eine mit innerer, prinzipieller Diskussion. Es ist notwendig für .-die Gewerkschaft, für eine Bewegung mit zehn Millionen Leuten, daß Konsens durch innere Diskussion entsteht. Das bedeutet keinen inneren Bruch, das ist nur Diskussion.

FURCHE: Wie sieht die „Solidarität" langfristig ihre Rolle? Soll sie vornehmlich eine A rt Kontrolle der Macht und der führenden politischen Kraft sein, oder soll sie sich eher hin zu einem Sozialpartner der Regierung entwik- keln?

MAZOWIECKI: Ich glaube, daß - wenn man wirklich ein Sozialpartner sein will - man auch eine Kontrolle ausüben muß.

FURCHE: Welche Möglichkeiten der Kontrolle gibt es für die Gewerkschaft?

MAZOWIECKI: Das ist zunächst einmal die Diskussion und dann der Einfluß auf die wirtschaftliche und soziale Planung. In der Planung sollen die Forderungen und Probleme der „Solidarität“ berücksichtigt werden - etwa bei der Wirtschaftsreform oder bei sozialen Verbesserungen für alle Menschen. In dieser Richtung geht unsere Art von Kontrolle.

FURCHE: Walesa selbst und auch andere Funktionäre der „Solidarität” haben in der Vergangenheit wiederholt gesagt, die Gewerkschaft sei keine politische Bewegung. Politbüromitglied Olszowski hat am jüngsten ZK-Plenum behauptet, die Gewerkschaft entwickle sich immer mehr in Richtung einer Partei. Kann im politischen System Polens eine unabhängige Gewerkschaft überhaupt unpolitisch sein und wirken?

MAZOWIECKI: Sie haben in ihrer Frage schon ein wenig die Antwort vorweggenommen. Es ist nicht leicht, Politisches und Unpolitisches zu trennen, vor allem bei so großen Änderungen, wie wir sie jetzt im Lande erleben. Wenn die „Solidarität“ sagt, sie ist unpolitisch, dann bedeutet das, daß sie keine Aspiration auf die Macht hat, selber zur Macht oder zur Regierung zu gelangen. Das ganz bestimmt nicht. Sie will eine Kontrollkraft bleiben.

Trotzdem gestehe ich ihnen zu -es ist nicht leicht, Politisches und Unpolitisches zu trennen. In den Abkommen von Danzig und auch in anderen sind solche Probleme wie die Regulierung der Zensur, Zugang zu den Massenmedien usw. angeschnitten worden. Das gehört normalerweise nicht zu den gewerkschaftlichen Aufgaben, aber das ist bei uns so wichtig, daß es nicht möglich ist, nur bei sozialen Problemen stehenzubleiben.

In dem Sinn, daß sie sich nicht von den wichtigen nationalen politischen Problemen - etwa auch der Rechtsstaatlichkeit - trennen kann und will, ist Solidarität auch politisch. Aber sie weiß um ihre Grenzen, sie versteht, daß die politische Rolle, die politische Verantwortung jemandem anderen gehört.

FURCHE: Die Kirche und Kardinal-Primas Wyszyriski haben bei der letzten großen Krise, dem angedrohten Generalstreik, sehr wesentlichen Einfluß ausgeübt. Der Appell Wyszynskis zur Mäßigung und zum Einlenken, sogar auf Tonband gesprochen, soll nach unseren Informationen in der Sitzung des Koordinierungsausschusses, wo es um die Frage Generalstreik Ja' oder .Nein' ging, vorgespielt worden sein und große Wirkung erzielt haben. Wie weit geht der kirchliche Einfluß in der „Solidarität” und gibt es von Seiten jener Gewerkschaftsführer, die nur eine lose Verbindung zur Kirche haben, dagegen Widerstände?

MAZOWIECKI: Der Kardinal hat damals die „Solidarität“ - auf unseren Wunsch empfangen. Er hat sich nicht von sich aus eingemischt in unsere inneren Angelegenheiten. Er hat nur seine Meinung zur Situation, seine Diagnose gesagt, ohne uns Direktiven zu geben.

Aber diese Diagnose des Primas war natürlich sehr wichtig. Es war ein ganz offenes Gespräch, ich bin dabei gewesen und ich muß ihnen sagen, daß auch anders gesinnte Leute, etwa von Bromberg, die Meinung des Kardinal-Primas geteilt haben; sie haben ihm aber auch gesagt, daß es nicht leichtfallen wird, das den Leuten zu erklären, weil doch viele für den Generalstreik sind.

Und sie haben den Primas gefragt, ob er bei dieser schwierigen Aufgabe helfen kann. Der Kardinal-Primas hat erklärt: „Das, was ich gesagt habe, das können sie auch auf Tonband haben und den Leuten vorspielen, damit sie, wissen, was der Primas von Polen und Bischof von Bromberg - weil er ist auch dort Bischof - überhaupt meint.“ Das war also keine Direktive und keine Einmischung. Das war eine Diagnose von einem, der bei allen im Lande Ansehen und große Autorität hat.

FURCHE: Aber hat das nicht doch einen großen Einfluß gehabt auf die Entscheidung im Koordinierungsausschuß. den Generalstreik endgültig abzusagen?

MAZOWIECKI: Ich glaube, daß alle Diagnosen, Einschätzungen und Lagebeurteilungen einen Einfluß hatten und damit natürlich auch die des Kardinals, der so große Autorität hat. Aber gleichzeitig muß man unterstreichen, daß die Entscheidung selbst frei und demokratisch war.

FURCHE: Gibt es oder kann es später einmal so etwas wie ein Konkurrenzverhältnis, einen Konkurrenzkampf zwischen Kirche und „Solidarität" geben? Hat die Kirche nicht schon durch die Existenz der Gewerkschaft an gesellschaftlichem Einfluß verloren?

MAZOWIECKI: Ich sehe hier keine Konkurrenz. Sie wissen doch sehr gut, daß die Kirche früher oftmals die selben wichtigen Forderungen erhoben hat wie dann die Solidarität auch. Jetzt hat die Kirche sehr scharf und deutlich verschiedene Forderungen der „Solidarität“ unterstützt - etwa die einer Gewerkschaft für die Bauern.

Ich sehe also hier keine Konkurrenz. Es geht doch um dieselben Probleme dieses Volkes. Nur muß jeder eine eigene Rolle spielen und seine eigene Identität bewahren. Jeder muß seine eigenen Methoden haben und entwik- keln, jeder muß seine Grenzen sehen. Das ist das einzige Problem.

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