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Die Sommerdebatte über den Zivildienst war nicht sehr klug

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Bundespräsident Thomas Klestil über Sicherheitsfragen, die EG-Beitrittsver-handlungen und die Neu-traliät sowie über die Medienkonzentration. Für Klestil hat die Politik in diesem Bereich versagt.

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Bundespräsident Thomas Klestil über Sicherheitsfragen, die EG-Beitrittsver-handlungen und die Neu-traliät sowie über die Medienkonzentration. Für Klestil hat die Politik in diesem Bereich versagt.

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furche: Nicht nur der ORF ist in einer Umbruchphase, sondern die gesamte Medienbranche... Bundespräsident Thomas Klestil: Wir haben strukturelle Veränderungen durch die Deregulierung des Rundfunks mit dem Privatradiogesetz, das wird auch weitergehen in Richtung Fernsehen. Wir haben aber auch konzeptionelle Veränderungen hin zur populären Zeitung, zur populären Sendung, das gilt ja auch fürs Fernsehen. Sachthemen werden zunehmend oberflächlich und ausschließlich personenbezogen diskutiert. Sorgen bereitet mir vor allem die Pressekonzentration -1946 hatten wir 36 Tageszeitungen mit eigenen Redaktionen, 1990 waren es 16 und es gibt Prognosen, wonach wir im Jahr 2000 nur mehr fünf Tageszeitungen haben werden. Das ist eine unglaubliche Presse-und damit Machtkonzentration. Was wir daher endlich brauchen, ist eine echte Medienpolitik. Darunter verstehe ich nicht die Frage, welcher Politiker in welchem Medium vorkommt, sondern es geht um die Erhaltung der Medien-und Meinungsvielfalt, den Schutz vor marktbeherrschen -den Monopolen und vor allem um die Zurückdrängung des Pärtei-eneinflusses. Die Journalistengewerkschaft klagt, daß die Zulassungsbehörde für das Privatradio - so wie das ORF Kuratorium - von den Parteien kontrolliert werden dürfte. Ich habe die Parteien schon im Frühsommer darauf aufmerksam gemacht, daß die Journalisten bei der Gesetzes-werdung nicht eingebunden waren -aber leider war es bereits zu spät, das Gesetz wurde so vom Parlament beschlossen.

durch Personalisierung überlagert werden. Andererseits wird ja die Personalisierung in der Politik - Stichwort Persönlichkeitswahlrecht - forciert

klestil: Ich sehe schon ein, daß man Personen nur schwer von jenen Sachthemen trennen kann, die sie vertreten. Das eigentliche Sachthe-ma sollte aber nicht überdeckt werden. Das meine ich mit der boulevardartigen Präsentation in der vereinfachten Form - nach dem Motto: „Der eine sagt das, darum sagt der andere das Gegenteil" und der Leser weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich geht.

Thema, das zwischen SPÖ und ÖVP fiir Konfrontation sorgt, ist die Frage Bundesheer - Zivildienst Einerseits soll der Wehrdienst attraktiver gemacht werden, andererseits darf es aber nichts kosten Und als Mitglied in einem künftigen europäischen Sicherheitssystem werde wir sicher mehr einbringen als bisher -finanziell oder militärisch Dafür sind aber bisher keine Anzeichen zu erkennen Bereitet Ihnen diese Entwicklung als Oberbefehlshaber des Bundesheeres keine Sorgen'

klestil: Es war sicher nicht sehr

klug, mit der Frage Wehrdienst -Zivildienst eine Sommerdebatte zu beginnen. Sie müssen mir aber gestatten, daß ich mich nicht in der üblichen Offenheit äußere. Derzeit gibt es Gespräche zwischen Innen- und Verteidigungsminister, bei denen es nicht nur um die Frage des Zivildienstes geht. Das sind laufende Verhandlungen, zu denen möchte ich daher vorweg nichts sagen. Ich bin aber unbedingt für eine effektive Landesverteidi-mk gung. Die poli-tisch Verantwort-M liehen sollten gerade in diesem

Bereich nicht einfach das sagen, was populär ist, sondern versuchen das populär zu machen, was notwendig ist. Die Sicherheit des Landes hat Priorität - es ist daher unbedingt notwendig, sie zu gewährleisten.

furche: Warum glauben Sie, machen heute immer mehr junge Männer einen großen Bogen um das Bundesheer?

klestil: Ich habe vor wenigen Tagen bei meinem Besuch in Schweden die Frage gestellt, ob es dort ähnliche Schwierigkeiten wie in Österreich gibt. Die Antwort war: Nein. Es muß also in Schweden etwas geben, was es bei uns nicht gibt.

Vielleicht liegt es daran, daß noch immer nicht alle Grundwehrdiener während des gesamten Wehrdienstes sinnvolle Sachen machen, wenn sie etwa eine Sekretärin ersetzen müssen, bloß weil sie Stenographieren können. Andererseits haben doch viele junge Männer beim Zivildienst das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun - etwa in einem Behindertenheim, wo der Dienst sicher nicht einfach ist. Mein Appell lautet daher: hören wir auf, Heer und Zivildienst gegeneinander auszuspielen, beides ist notwendig. Das Wichtigste ist aber die Sicherheit des Landes.

furche: Bleiben wir bei der Sicherheitspolitik, die in den nächsten Wochen das Hauptthema der EG-Verhandlungen sein wird Haben Sie Signale aus Brüssel, welchen Stellenwert bei den Verhandlungen unsere Neutralität spielen wird? klestil: Die Neutralität steht meines Erachtens erst 1996 auf dem Prüfstand, wenn wir als EG-Mitglied bei den Beratungen am Tisch sitzen, bei denen es um die konkrete Ausformulierung der politischen Union geht. Bis dahin bleiben wir bei einer Neutralität, die durch Solidarität ergänzt wurde und die realistischerweise das ist, was sie immer war: vor allem militärische Allianzfreiheit. Die Neutralität entspricht nicht dem Nimbus, der jahrzehntelang im Bewußtsein der Bevölkerung aufgebaut wurde.

Furche: Auch wenn es derzeit noch keine konkreten Antworten auf die Frage nach der Zukunft der Neutralität gibt - könnte die Unsicherheit darüber nicht gerade jene Emotionen mobilisieren, die möglicherweise entscheidende Anti-EG-Reserven freisetzen?

klestil: Das ist sicher ein Problem. Man muß den Menschen aber offen sagen, daß es sicherheitspolitisch gesehen keinen Neutralitätsbonus mehr gibt. Es wird vielleicht die Zeit kommen, wo Historiker feststellen, daß uns in den letzten Jahren nicht so sehr die Neutralität geschützt hat, sondern das Gleichgewichtsdenken der Großmächte. Mit Bundespräsident thomas Klestil sprachen Hannes Schopf und Norbert Stanzel

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